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Triebgesteuert

Von einem deutschen Trio, das wahllos Ausländer ermordet, erzählt das Drama „Wintermärchen“. Der Dokumentarfilm „Free Solo“ begleitet einen Extremsportler auf seinen ungesicherten Klettertouren. Im US-Horrorfilm „Wir“ trifft eine Familie auf ihre Doppelgänger.

Von Jörg Albrecht | 20.03.2019
Der Horrorfilm "Wir" von Jordan Peele, 2019 mit Lupita Nyong'o als Adelaide Wilson
Lupita Nyong'o als Adelaide Wilson in "Wir" von Jordan Peele (imago stock&people )
Becky und Tommy machen Schießübungen im Wald. Danach fahren sie mit dem Auto durch die Stadt.
"Der da. Was ist mit dem?"
"Ich ballere hier nicht rum."
"Was ist mit dem?"
"Das ist ein Deutscher."
"Wo ist denn der deutsch, Mann?!"
Zuhause angekommen – in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung – lässt Becky Tommy dann wissen: "Irgendwas muss passieren. Irgendwas muss sich ändern. Ob gut oder schlecht. Dass es mal wieder richtig knallt. Irgendwas."
Bevor es aber knallt und drei Männer mit ausländischen Wurzeln tot sein werden, haben die Beiden noch Sex, schieben Frust und bekommen Besuch von Maik, einem Gesinnungsgenossen.
"Dass wir hier so leben und wie das alles abläuft – das hat schon alles seinen Sinn. Das kapierst du aber leider nicht, dass wir hier im Untergrund sind."
"Hör doch mal auf mit diesem Untergrund-Getue!"
Radikal und hässlich
Zwei Stunden lang lässt Regisseur Jan Bonny in "Wintermärchen" das Trio infernal abwechselnd Sex, Depressionen und Langeweile ausleben sowie immer wieder morden. Der Zuschauer denkt natürlich unweigerlich an Mundlos, Bönhardt und Zschäpe. Aber das hier ist kein Film über das NSU-Gespann. "Wintermärchen" begnügt sich bei seiner Neonazi-Geschichte mit der reinen Beobachtung von drei ausschließlich triebgesteuerten Figuren. Das Ergebnis ist radikal, es ist hässlich und es tritt zwei lange Stunden auf der Stelle.
"Wintermärchen": zwiespältig
Ein Mann klettert ohne Sicherung eine senkrechte Felswand hinauf, die hunderte Meter emporragt. Der Mann heißt Alex Honnold, ist 33 Jahre alt und der gegenwärtig beste Extremkletterer der Welt. Extrem heißt in Honnolds Fall: Er verzichtet bei seinen Kletterrouten auf alle technischen Hilfsmittel. Genauso wie dieser Kletterstil – nämlich Free Solo – heißt auch der Film über ihn.
"Jeder Mensch kann an jedem Tag sterben. Beim Solo-Klettern fühlt es sich nur viel direkter und viel präsenter an."
Wie tickt ein Mensch, der sich dann am Lebendigsten fühlt, wenn er sich über Stunden freiwillig in eine Lage begibt, in der ein einziger Fehler den sicheren Tod bedeutet? Dieser Frage gehen die Filmemacher Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin nach und blicken mit Hilfe der Computertomographie sogar in das Gehirn von Axel Honnold. Ihr atemberaubend fotografierter Film ist mehr als der dokumentarische Thriller, den man erwarten durfte. "Free Solo" ist das Porträt eines Mannes, der seit Jahren in einem Van lebt und im Moment eine Freundin hat.
"Du hast jetzt eine Freundin?"
"Es entwickelt sich noch."
"Es entwickelt sich noch?"
"Sie unterstützt mich sehr und ich verwirkliche mich. Aber die großen Lebensziele beim Klettern werde ich immer über die Frauen stellen. Zumindest war es bisher so."
Packende Bilder
Bergsteiger in "Free Solo", Dokumentarfilm von Jimmy Chin
Jimmy Chin Dokumentarfilm "Free Solo" (imago stock&people)
Eines dieser Lebensziele ist die Free-Solo-Erstbesteigung des El Capitan im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien. Sie ist der Höhepunkt eines Films, dessen packende Bilder Schwindelfreiheit auch beim Zuschauen erfordern.
"Free Solo": empfehlenswert
"Manchmal passieren doch komische Dinge in ganz kurzen Abständen. Wie Zufälle. Ich habe das Gefühl, das bedeutet, dass sie jetzt näherkommen."
"Das Spiegelmädchen?"
1986 – Adelaide Wilson ist noch ein kleines Kind gewesen – war sie schon einmal am Santa Cruz Beach Boardwalk, einem der ältesten Vergnügungsparks der USA. Damals hatte sie sich – unbemerkt von ihren Eltern – in einem Spiegellabyrinth verirrt. Dort war ihr ein Mädchen begegnet, das haargenau so aussah wie sie selbst. Adelaides Erinnerungen sind jetzt – über 30 Jahre später – wieder präsent. Denn sie macht mit ihrer Familie – Ehemann, zwei Kinder – ganz in der Nähe von Santa Cruz Urlaub.
Von der ersten Sekunde an versteht es Regisseur Jordan Peele, in seinem Film "Wir" ein Gefühl des Unbehagens zu erzeugen. Richtig unheimlich aber wird es, als eines Abends vier Gestalten vor dem Ferienhaus der Familie auftauchen.
"Ich dachte, ich hätte euch das schon gesagt: Runter von meinem Grundstück! Also die Cops sind schon unterwegs."
Statt aber zu verschwinden, verschaffen sich die Vier gewaltsam Zutritt zum Ferienhaus.
"Was seid ihr für Menschen?"
"Das sind wir."
Bösartige Doppelgänger
Damit wäre zwar der Filmtitel erklärt, nicht aber das übernatürliche Phänomen um die offensichtlich bösen Zwillinge. Wer sind diese Doppelgänger, die davon getrieben werden, ihre Ebenbilder zu töten?
"Die hören nicht auf, bis sie uns getötet haben. Oder wir sie."
Jordan Peele bedient sich der typischen Spannungselemente aus Horrorfilmen. Diese setzt er dann – wie schon in seinem Vorgängerfilm "Get Out" – in einen soziokulturellen und religiösen Kontext. Aufregend, mysteriös und surreal bleibt "Wir" bis zum Schluss und für die meisten Zuschauer wohl auch noch über den Abspann hinaus.
"Wir": empfehlenswert