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Neue Filme
Vom palästinensischen Zoo zum Imbisswagen

Ein palästinensischer Junge, der Giraffen liebt, ein Kochtruck, ein ungewöhnlicher Soulklassiker und das Regiedebüt "Lost River" von Ryan Gosling: Die neuen Filme berühren, empören, enttäuschen oder erwischen einen hinter dem Rücken wider Erwarten dann doch.

Von Jan Tengeler | 28.05.2015
    Giraffenweibchen Gaia im Giraffenhaus im Zoo in Dresden (Sachsen)
    Liebt Giraffen: Rani Massalha (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
    "Giraffada"
    Die Welt aus der Sicht eines Kindes. Rani Massalha hat in "Giraffada" für den palästinensisch-israelischen Konflikt ein wundervolles Bild gefunden: Ziad lebt mit seinem Vater, Tierarzt im letzten Zoo von Palästina, an der Mauer im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Westjordanland. Der Zehnjährige liebt Giraffen, vor allem Rita und Brownie, das Pärchen im Zoo:
    "Giraffen haben unheimlich viel Kraft. Sie können sogar einen Löwen im Kampf."
    "Du Lügner, Löwen sind viel stärker als Giraffen. "
    "Lügner, Lügner, Lügner."
    Dass seine Mitschüler Ziad für einen Spinner halten, ist ihm egal. Doch Brownie stirbt bei einem israelischen Luftangriff; Rita hört auf zu fressen. Nun ringt der Junge seinem Vater das Versprechen ab, für Rita einen neuen Gefährten zu finden. Den aber gibt es nur im Zoo hinter der Mauer, in Israel.
    "Und hier sind die Papiere."
    In dem ein Freund von Ziads Vater arbeitet.
    "Der Passierschein für eine Giraffe hierher nach Israel."
    Dieser Freund aber glaubt seinen Ohren nicht zu trauen.
    "Wir haben vor, eine Giraffe aus deinem Zoo nach Kalkyla zu entführen. - Ja klar. Das soll ein Witz sein, oder?"
    Nein, kein Witz. Vom Westjordanland nach Israel und zurück. Mit einer Giraffe. "Giraffada" ist ein Roadmovie durch ein Land voller Checkpoints, wo jederzeit die Verhaftung droht, wo der Hass überall lauert:
    "Lassen Sie meinen Jungen."
    "Scheiß-Araber."
    "Lassen Sie meinen Jungen."
    Rani Massalha lädt seine düstere Erzählung am Ende allerdings mit magischem Realismus auf, wenn Romeo, der aus Israel entführte Giraffenbulle, wie unberührt von dem Absurden, das die Menschen da unten treiben, durch eine Lücke in der Grenzmauer schreitet. Richtung Zoo zu seiner neuen Gefährtin. Ein wundersames Bild als Kontrapunkt zu dieser brutalen Welt, in der diese Geschichte spielt.
    "Giraffada" von Rani Massahlha - traurig, wunderschön, herausragend.
    "Lost River"
    Ryan Gosling in Cannes
    Der Finger zeigt eher in Richtung Schauspielkarriere: Ryan Goslings erster Film als Regisseur, "Lost River", kam in Cannes nicht gut an. (picture alliance / dpa)
    Die Welt als Albtraum, dunkel, abgründig. "Lost River". Regiedebüt des Schauspieler Ryan Gosling. In den Hauptrollen "Mad Men"-Darstellerin Christina Hendricks, Saoirse Ronan, Eva Mendes und Ben Mendelsohn als zwielichtiger Banker. Er macht der Frau, die die Hauskredite nicht mehr zahlen kann, ein Angebot:
    "Sie sind eine sehr schöne Frau. Jeder von uns muss seine Beinchen schwingen. Ich muss auch die Hose runterlassen, obwohl mir das keinen Spaß macht. Aber, wenn ich Sie wäre, würde ich die Raten bezahlen und mit dem restlichen Geld einfach verschwinden."
    In "Lost River" geht es um den Zusammenbruch. Der Städte, der Zivilisation. Der Familien. Die Mutter, ihre beiden Söhne, der eine fast erwachsen, der Club für die dunkelsten Fantasien, wo der Bankmann, der natürlich nicht nur Bankmann, sondern schwarzer Engel ist, der Mutter den Job anbot:
    "Nur da rein steigen? Und was dann? - Es bezahlt die Miete."
    Ryan Goslings Filmsprache erinnert natürlich an David Lynch, an die verstörende Atmosphäre des Unterbewusstem, das die Kinobilder strukturiert. Aber der Albtraum, den Ryan Gosling erzählt, ist quasi eingelegt in die Bilder des zerfallenden Detroit. So bekommt diese flirrend-morbide Geschichte einen ganz eigenen Ton zwischen Realität und Wahn.
    "Lost River" von Ryan Gosling - mutig, empfehlenswert.
    "Kiss The Cook"
    Zwei Köche, ein Junge und die Sicht auf die Welt durch das Kochen.
    "Du wirst lachen, ich habe einen Imbisswagen. - Du hast einen verfluchten Taco-Wagen?"
    Ja. Hat Carl in Jon Favreaus Komödie "Kiss The Cook". - Die schlimmsten Momente im Kino sind die, wenn die Schauspieler mitten in der Handlung anfangen zu singen. Der Musical-Albtraum! Es sei denn, der ist so schräg inszeniert wie im Film "Kiss The Cook", in dem Regisseur und Hauptdarsteller Jon Feavreau einen Chefkoch spielt, der den Job verliert.
    "Drohen Sie mir jetzt, mich zu feuern?"
    "Nein, ich sage nur, was ich gewillt bin zu tun, wenn Sie nicht mein Menü kochen."
    Und aus Trotz mit einem Imbisswagen quer durch die USA fährt, was dank der Twitter-Kompetenz seines kleinen Sohnes, der mitfährt.
    "Ich habe einen Foto in deinem Account getweetet."
    "Wegen dir sind all diese Leute hier, ist dir das klar?"
    Zu einem Geheimtipp wird. Der Chefkoch wird wieder zu sich finden - "Kiss the Cook" ist vorhersehbare Feel-Good-Komödie, na ja, mit den zu erwartenden Koch- und Esssequenzen ... bis, ja, bis dann der Imbisswagen Louisiana verlässt. On the road. Und dann mischt sich da dieser schräg-erdige Brass-Sound in die Bilder; langsam erkennen wir den Marvin-Gaye-Klassiker "Sexual Healing". Carl auf dem Fahrersitz, Co-Koch Martin hinten stehend: Jon Favreau und John Leguizamo - sie fangen an zu singen, immer schräger, immer lebenslustiger, immer durchgeknallter. Und der kleine Percy schüttelt grinsend den Kopf. Nur für diese eine Szene muss man diesen Film sehen. So ist das manchmal im Kino. Diese unfassbare "Sexual Healing"-Version stammt von der "Hot 8 Brass Band". Die Musiker aus New Orleans blasen einem mit ihren Bläsern die Birne weg.
    "Kiss The Cook" von Jon Favreau - bis zu dieser schrägen Szene vorhersehbar, aber dann ...