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Zirkus, Musik und Widerstand

Michael Gracey packt die Geschichte von Zirkus-Gründer P.T. Barnum in ein Musical, Matt Schrader versucht dem Thema "Filmmusik" in einer Doku Herr zu werden und Agnieszka Holland, die Grande Dame des polnischen Films, erzählt in "Die Spur" von einer widerständigen Tierschützerin.

Von Hartwig Tegeler | 03.01.2018
    Szene aus "Greatest Showman": Zac Efron als Philip Carlisle und Hugh Jackman als P.T. Barnum.
    Szene aus "Greatest Showman": Zac Efron als Philip Carlisle und Hugh Jackman als P. T. Barnum (imago / ZUMA Press)
    "Greatest Showman" von Michael Gracey
    Ein Mann hat einen Traum.
    "Mädels, ich glaube, ich habe eine Idee."
    Und Hugh Jackman singt diesen Traum im Film-Musical "Greatest Showman" von Michael Gracey. Die Geschichte vom Zirkus-Mann P.T. Barnum, der Menschen mit körperlichen Abnormitäten - den Riesen, den Kleinwüchsigen, die Frau mit Bart - zum Mittelpunkt seines Kuriositätenkabinetts macht. Und das immer gewitzt.
    "Der berühmte irische Riese. - Ich bin kein Ire! - Ich arbeite noch an Ihrem Akzent."
    Gewitzt also, geschäftstüchtig und mit einem klaren Credo:
    "Die werden doch nur über uns lachen. - Die lachen sowieso über uns. Ist doch besser, Geld dafür zu bekommen."
    Und es wird viel Geld in die Kassen kommen; es wird Rückschläge geben und wieder Erfolge. So, wie es sich für den amerikanischen Helden gehört. Auch, wenn seine Geschichte in Person des Zirkusbegründers P.T. Barnum mit vielen Klischees und Abgründen von Kitsch zu kämpfen hat, kann man sich dem Charme und der Dynamik nicht entziehen, wenn Hugh Jackman, Zac Efron und Michelle Williams singen und tanzen. Wobei sich eine Frage stellt: Warum muss eine Geschichte, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt, in einem großen Fluss von Popsongs daherkommen? Gut, ich weiß, rhetorische Frage. Weil´s gut kommt und die Choreografien gut "flutschen".
    "Greatest Showman": empfehlenswert.
    "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" von Matt Schrader
    Ja, die Musik im Film.
    "Hans took the string section and made them like a guitar. They playing rythm!"
    "Bei ihm klingen die Streicher wie Gitarren, sie spielen einen Rhythmus. Er hat die Filmmusik revolutioniert!" Sagt ein Kollege in Matt Schraders Doku "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" über den Filmkomponisten Hans Zimmer. Und...
    "Damm, damm, dadadimmdimm …"
    ...gibt dann schon mal den Drive von "Pirates" aus dem Soundtrack von "Fluch der Karibik" vor. Klinge wie Led Zeppelin auf Streicher.
    Ja, wir erkennen den Sound, so wie den ebenso legendären vom "Der weisse(n) Hai" oder von "Star Wars". Matt Schrader hat eine Vielzahl der Filmkomponisten vor die Kamera geholt, von Hans Zimmer über Marco Beltrami bis zu David Newman. Die Großen der Branche. Schraders Reise durch die Geschichte der Filmmusik beginnt bei den Gebrüdern Lumière, als noch ein Pianist live spielte, um den Krach des Projektors zu übertönen bis hin zu den komplexen Aufnahmen eines Filmorchesters in Hollywood.
    Immer geht es darum zu belegen, dass Musik der Geschichte auf der Leinwand die Seele gibt. Das wirkt an vielen Beispielen überzeugend, sowohl bei den Orchesterklängen, die Max Steiner 1933 bei "King Kong" für den Film quasi erfand, wie bei dem Opernsound, den Junkie XL alias Tom Holkenborg dem letzten "Mad Max"-Film verlieh. Und doch wirken die begeisterten Statements von Filmkomponisten und Regisseuren wie James Cameron über die wunderbare Macht der Filmmusik aneinandergereiht. Über die Dramaturgie und das Zusammenspiel von Musik und Geschichten und den mühseligen Entstehungsprozess erfährt man am Ende von "Score - Eine Geschichte der Filmmusik" wenig. Zuviel Lobhudelei kann irgendwann ziemlich nerven.
    "Score - Eine Geschichte der Filmmusik": interessant aber enttäuschend.
    "Die Spur" von Agnieszka Holland
    Janina, die pensionierte Brückenbauingenieurin in Agnieszka Hollands Film "Die Spur", lebt zurückgezogen an der polnisch-tschechischen Grenze. Aber das Dorf ist nur ein scheinbares Idyll, denn die Gegend gilt als beliebtes Jagdgebiet. Eines Tages sind ihre Hunde verschwunden:
    "Schon seit zwei Monaten sind sie weg. Ich habe sie wie jeden Morgen rausgelassen. Und sie sind nicht zurückgekommen."
    Janina geht zum Priester.
    "Und was soll ich jetzt tun, Herr Pfarrer? - Beten Sie. - Für meine Hunde? - Beten Sie für sich. Tiere haben keine Seele."
    Und wenn sie keine Seele besitzen, wie der Religions-Mann meint, dann sind Tiere zum Verbrauch bestimmt, zur Nutzung durch den Menschen. Der festen Überzeugung sind auch die fanatischen Jäger im Dorf. Dann entdeckt Janina in einer Winternacht ihren toten Nachbarn und bei dessen Leiche eine Hirschfährte. Weitere Männer sterben; alle passionierte Jäger. Haben wilde Tiere die Männer auf dem Gewissen? Werden die Jäger zu Gejagten? Dann fällt der Verdacht auf Janina, die Außenseiterin, die Vegetarierin. Agnieska Holland hat mit "Die Spur" das Porträt einer Gesellschaft gedreht, die von Korruption, Grausamkeit und Dummheit geprägt ist. Die polnische Filmemacherin betont in Interviews, dass wir ihren Film über die mutige Außenseiterin gern als Kommentar auf fehlende Weltoffenheit und das Erstarken traditioneller Werte in Polen sehen dürfen. Nun denn!
    "Die Spur": Der polnische Kandidat für den Auslands-Oscar 2018 - empfehlenswert.