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Neue Heimat, "promised land"

Die "Vision Amerika", die noch heute Dynamik und Kraft der USA antreibt, war von jeher der Motor für diese junge Nation. Von wie viel Zuversicht, religiöser Hoffnung, Pathos und Selbstbewusstsein sie schon immer getragen wurde, spiegelt sich in der frühen Kunstproduktion Amerikas. Sie ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Diese Lücke schließt nun ein Band zur amerikanischen Malerei von 1800 bis 1950.

Von Martina Wehlte | 23.07.2007
    So bekannt amerikanische Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland ist, so unbekannt ist diejenige des 19. Jahrhunderts. Wohl kennt man den elegant-dekorativen John Singer Sargent oder hat schon eine der effektvoll komponierten Landschaften von Frederic Church gesehen. Doch im Großen und Ganzen ist die amerikanische Malerei vor Edward Hopper hierzulande ein blinder Fleck. Das ändert sich nun mit einer Monographie zur Hudson River School, die im Hirmer Verlag unter dem Titel Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei erschienen ist. Der Titel ist Programm, erfasst er doch den Identität stiftenden Anspruch und das selbstbewusste Auftrumpfen einer Landschaftsmalerei, die in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts das Bild von der überwältigenden Größe und Erhabenheit der Natur in Amerika prägte.

    Geschichts- und kunstlos, auf Distanz zum Kulturerbe des feudalen Europa bedacht, ließen sich die Nachkommen der Pilgrim Fathers nur schwer für weltlich Schöngeistiges gewinnen. Der Einstieg gelang mit der Landschaftsmalerei von Thomas Cole, der nach seiner Ankunft in New York 1825 erstmals das Gebiet des Hudson River bereiste und zum Begründer der gleichnamigen Malerschule wurde. Reiseberichte über die White Mountains, die Niagara Fälle oder das Yosemite Tal verbreiteten damals eine wahre Euphorie über die Schönheiten der vermeintlich noch unberührten, wilden Natur. Und welche Aufgabe bot sich den Landschaftsmalern darin, ihre neue Heimat als "promised land" zu verherrlichen!

    Die Hudson River School hatte bis in die 1870er Jahre eine führende Stellung innerhalb der nationalen Landschaftskunst. Sie bezeichnet einen Kreis von Malern, die ihre Motive in den Catskill Mountains nördlich von New York fanden. Den Auftakt bildeten ihre Vorläufer Alvan Fisher und John Trumbull mit ihren pittoresken Ansichten, beispielsweise der Niagarafälle. Trumbull, der einer bekannten Politikerfamilie entstammte und als talentierter Porträtist begonnen hatte, wurde seit 1804/05 zu einer künstlerischen Institution in New York. Zwei seiner Ansichten von den Niagarafällen sind in der Monographie und an den Ausstellungsorten Hamburg und Stuttgart zu sehen. Sie entstammen der Sammlung von Trumbulls Neffen Daniel Wadsworth, die den Grundstock des Wadsworth Atheneum Museums in Connecticut darstellt.

    Wadsworth war auch der Entdecker des jungen Frederic Church, den er dem etablierten Thomas Cole 1844 als Schüler andiente. Er hätte nichts Besseres tun können! Church erwies sich als kongenialer Ziehsohn Coles, der mit neobarocken historischen und allegorischen Darstellungen Ikonen des amerikanischen Patriotismus geschaffen hatte, dessen Hauptverdienst es aber war, eine amerikanischen Landschaftsmalerei aus der niederländischen Tradition des siebzehnten Jahrhunderts heraus zu bilden. In seinen Landschaften fand die junge amerikanische Nation ebenso ihren selbstbewussten Ausdruck wie einst die eigenständigen, wirtschaftlich aufstrebenden Niederlande in den pathetischen Landschaften eines Ruisdael, van Goyen oder Meindert Hobbema. Kunst als identitätsstiftende Kraft -, das ist hier mit Händen zu greifen.

    Die gewählten Naturausschnitte und spektakulären Schauplätze wurden theatralisch inszeniert. Verschlungene Bachläufe zwischen entwurzelten Bäumen, heroische Felsgebilde, Grotten und herabstürzende Wasserfälle, verschleierte Täler und tiefliegende Horizonte mit einer alles überstrahlenden Sonne oder symbolträchtigem Regenbogen: Darin erwiesen sich Cole und Church, William Bradford oder Albert Bierstadt als Virtuosen in der Übertragung jener Effekte und Kompositionsprinzipien, die ihre holländischen und niederländischen Kollegen zwei Jahrhunderte zuvor zur Meisterschaft geführt hatten.

    Amerikas Wildnis als "Manifestation göttlichen Wirkens und Verheißung irdischen Wohlstands": so formuliert Karsten Müller in seinem Essay die Intention der Maler. Manches ist dabei – sowohl motivlich als auch in der Farbgebung – für den heutigen Geschmack gefährlich nahe am Kitsch; aber das kennt man auch aus der europäischen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Anderes – etwa von Samuel Colman oder John Kensett – weist schon auf einen schlichten Naturalismus voraus und besticht durch seinen kontemplativen Charakter und die Wirkung von Licht und Luft. Hier zeigen sich Verbindungslinien zu Edward Hopper, der fürs europäische Publikum Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einer Entdeckung wurde. Er und seine gegenständlich arbeitenden Kollegen in den USA sind in Kenntnis dieser Vorgeschichte weit besser zu verstehen, und das Neuland, das sich deutschen Kunstfreunden mit diesem ersten Band früher amerikanischer Malerei eröffnet hat, lässt uns auf weitere Entdeckungsreisen in diesem Terrain gespannt sein.


    Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei. Hg. von Ortrud Westheider und Karsten Müller.Publikationen des Bucerius Kunst Forums. 240 S., Hamburg 2007, Hirmer Verlag, gebundene Ausgabe. Preis: 34,90 Euro.