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Neue HIV-Therapie
Forscher rätseln über Behandlungserfolg

US-amerikanische Forscher haben an Affen eine neues Mittel getestet, das die Vermehrung des HI-Virus im Körper bremst. Die Behandlung funktionierte im Tierversuch unerwartet gut - allerdings wissen die Studienleiter bisher nicht warum.

von Martin Winkelheide | 14.10.2016
    Das HI-Virus in einer Darstellung
    Die US-amerikanischen Forscher wissen noch nicht, welcher Wirkmechanismus das HI-Virus im Tierversuch davon abhält, sich weiter zu vermehren. (imago stock&people)
    Wer sich mit HIV angesteckt hat, merkt in der Regel erst einmal wenig davon. Gliederschmerzen, leichtes Fieber – die Beschwerden in der ersten Zeit erinnern an einen grippalen Infekt. Und sie verschwinden auch wieder. Im Körper aber geschehen dramatische Dinge. Das Virus vermehrt sich mit großem Tempo, insbesondere im Verdauungstrakt, sagt Tab Ansari. Er ist Professor für Pathologie an der Emory University in Atlanta, in Georgia:
    "Das Virus befällt im Darm Immunzellen, so genannte CD4-Zellen. Das Virus vermehrt sich in ihnen, und die Zellen sterben. Nach vier bis fünf Wochen sind keine intakten CD4-Immunzellen mehr im Darmtrakt vorhanden."
    Das Problem: Das Immunsystem sorgt in dieser Phase der Infektion für immer neuen Nachschub für das Virus, sagt Ansari: "Sobald CD4-Zellen im Darm-Trakt sterben, wandern neue CD4-Zellen ein, um die toten zu ersetzen. Und das wiederholt sich immer wieder. Es gibt also eine stetige Wanderung von neuen intakten Immunzellen in den Darm hinein."
    Protein-Blockade bremst die Virenvermehrung
    Seit ein paar Jahren wissen Forscher: Ein kleines Protein auf der Zelloberfläche, "Alpha 4-Beta 7-Integrin" mit Namen, macht es Immunzellen möglich, bei ihrer Wanderung durch den Körper Darmzellen zu erkennen und sich an ihnen anzuheften.
    "Wir haben uns gefragt: Können wir verhindern, dass CD4 Zellen in den Darm wandern, indem wir genau dieses Eiweiß blockieren? Und so verhindern, dass - bildlich gesprochen - immer neues Öl ins Feuer gegossen wird? Wir könnten so die Virus-Vermehrung bremsen und dem Immunsystem Zeit geben, sich zu erholen und das Virus aus eigener Kraft zu kontrollieren."
    Tab Ansari probierte die Idee aus - im Tierversuch. Er infizierte Rhesusaffen mit dem Affen-AIDS-Virus SIV. Nach fünf Wochen bekamen die Tiere täglich eine herkömmliche Medikamenten-Kombination, um die Virusvermehrung zu blockieren. Nach weiteren vier Wochen gab Ansari den Tieren Abwehrmoleküle gegen das Alpha 4-Beta 7-Integrin. Alle drei Wochen – elf Infusionen insgesamt.
    Behandlung stoppte HIV-Infektion bei Affen
    Mit einem erstaunlichen Effekt: Nach dem Absetzen aller Medikamente wäre zu erwarten gewesen, dass das Virus innerhalb von Tagen wieder beginnt, sich zu vermehren. Dass die Infektion neu aufflammt. Dies aber geschah nicht. Während der Laufzeit der Studie über neun Monate war kein Virus mehr nachweisbar im Blut der Tiere. Und auch in der Zeit danach nicht, sagt Tab Ansari:
    "Seit dem Absetzen der Therapie sind jetzt fast zwei Jahre vergangen, und die Tiere kontrollieren das Virus immer noch. Und das ohne jegliche Behandlung."
    Die Behandlung mit Medikamenten und den zusätzlichen Abwehrmolekülen gegen das Alpha 4-Beta 7-Integrin stoppt das Virus also längerfristig. Sie wirkt besser als erwartet, und sie stellt Forscher vor Rätsel.
    Die Kombi-Therapie wirkt - aber niemand weiß warum
    Klar ist: Die Kombi-Therapie verhindert tatsächlich, dass Immunzellen in den Darm wandern und dort leichte Beute sind für das Virus. Aber dies allein erklärt nicht, warum das Virus sich nicht weiter vermehrt. "Wir wissen nicht, welcher Wirkmechanismus verantwortlich ist für diesen Effekt", sagt Toni Fauci. Er leitet die Infektiologie an den Nationalen Gesundheits-Instituten, NIH, in Bethesda, Maryland.
    Was im Tierversuch funktioniert, mahnt er, hilft nicht immer auch HIV-positiven Menschen. Dennoch hat er am NIH im Sommer bereits mit einer kleinen Studie begonnen. An 15 Patienten will er überprüfen, ob die Abwehrmoleküle auch für Menschen mit HIV gut verträglich sind. Und dann kann in größeren Studien untersucht werden, wie genau die Antikörper helfen, das Virus in Schach zu halten.