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Neue Jobs für gefeuerte Banker

Viele Banker, die ihren Job aufgrund der Entlassungswellen in London verlieren, finden eine neue Stelle, sagt Headhunter Ulrich Seega. Allerdings meist in anderen Bereichen - bei Privat-Equity-Firmen, Versicherungen oder Infrastrukturfonds.

Ulrich Seega im Gespräch mit Andreas Kolbe | 07.02.2013
    Andreas Kolbe: Die Schweizer Großbank UBS streicht 10.000 Stellen im Investmentbanking vor allem in London. Die britische HSBC insgesamt 14.000 Stellen. Und bei der Royal Bank of Scottland sind seit 2008 sogar 34.000 Jobs über die Wupper gegangen.

    Die einst so stolze Londoner City sorgt in jüngster Vergangenheit vor allem mit Massenentlassungen in den Bankentürmen für Schlagzeilen. Nun bahnt sich Medienberichten zufolge die nächste Kündigungswelle an: Bei Barclays - so heißt es - müssen 2000 Investmentbanker ihren Hut nehmen.

    In London sind wir jetzt verbunden mit Ulrich Seega. Er ist Personalberater - neudeutsch Headhunter - im Investmentbanking. Herr Seega, haben Sie jetzt reihenweise arbeitslose Banker in London?

    Ulrich Seega: Ja und nein. Also diese Wellen, von denen Sie sprechen sind Wellen - wir haben gestern Anrufe bekommen von einigen der Mitarbeiter der Banken, die Sie genannt haben. Wir haben vor zwei Wochen eine Welle gesehen bei einer der Banken, wo in derselben Bank eine Welle für nächsten Montag erwartet wird. Das sind Sachen, die sind schon seit einiger Zeit immer wieder präsent und da geht es nicht mehr drum herum. Und ja, wir sehen mehr Leute, die in Kontakt mit uns treten und die sagen: Ich brauche einen neuen Job. Was können wir da denn machen und da Beratung suchen, definitiv mehr Leute als vor drei vier Jahren.

    Kolbe: Und finden die auch immer wieder neue Stellen oder gibt es dann auch tatsächlich Arbeitslose?

    Seega: Es gibt eine Menge Arbeitslose, da kann man nicht drum herum reden. Die finden aber auch neue Stellen. Die finden aber nicht mehr - wie das früher der Fall war - neue Stellen bei einem Konkurrenzunternehmen oder denselben Job irgendwo anders, sondern die finden Stellen in anderen Bereichen. Sei es bei Finanzberatern, die eine andere Struktur haben, sei es bei Private-Equity-Firmen, sei es in Versicherungen, in Infrastrukturfonds, bei Unternehmen in der Finanzabteilung. Die machen sich selbstständig. Hier quer über die Straße hat jemand einen Hamburgerstand aufgemacht, der früher einmal Bankangestellter war. Also die Variationen sind da viel größer als das mal der Fall war.

    Kolbe: Es geht um Tausende gut bezahlte Stellen, die in London abgebaut werden. In Deutschland würde das für einigen Wirbel sorgen. Bei Ihnen scheint das recht geräuschlos vonstattenzugehen. Wieso?

    Seega: Es ist arbeitsrechtlich etwas anders in England als in Deutschland. Die Kündigungsfristen sind kürzer. Das ganze mentale Herangehen an so eine Kündigung ist auch anders, wenn man in London arbeitet, als wenn man in Frankfurt arbeitet. Die Mentalität der Briten ist: Ich verliere meinen Job, ich gehe ein Bier trinken und ab morgen suche ich mir was Neues. Ich vereinfache das hier sehr. Und wenn es bei deutschen Arbeitgebern darum geht, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, ist das immer ein sehr langwieriger und schwieriger Prozess. Weil die Engländer das daher schon anders kennen, wird auch damit anders umgegangen.

    Kolbe: Wie steht es denn um die Kollegen, die ihren Job behalten können? Bekommen die den Druck auch zu spüren bei Gehältern oder Boni zum Beispiel?

    Seega: Ja, auf jeden Fall! Wir haben in den letzten drei Jahren eine sehr deutliche Richtung gesehen, was das Bezahlwesen angeht. Insgesamt ist es weniger geworden und viel stärker daran gemessen, wie gut jemand ist oder wie erfolgreich jemand war. Man sieht, dass die Spanne weiter auseinandergeht zwischen den Topperformern, wie man hier sagt, und denen, die einfach nur mitschwimmen. Früher war das alles eher standardisiert. Und man sieht aber auch, dass die oberen Zehntausend insgesamt weniger verdienen, weil sie auch dann mal die anderen mit durchziehen müssen. Also einer für alle, alle für einen.

    Das ist das Bezahlwesen. Wenn man dann noch auf die einzelnen Rollen der Leute guckt, sieht man, dass es viel mehr Generalisten gibt. Also es gibt kleinere Teams mit weniger Leuten, die aber immer noch ein bestimmtes Feld abdecken. Das heißt, jemand, der sehr spezialisiert ist, wird in den heutigen Großbanken seinen Job ganz anders sehen müssen, als es mal der Fall war. Weil eben nicht mehr drei Leute da sind, sondern nur noch einer vielleicht.

    Kolbe: Jetzt ziehen sich diese Entlassungswellen durch nahezu alle Großbanken in London. Kann man denn absehen, dass es irgendwann auch wieder Zeiten geben wird, in denen Investmentbanker eingestellt werden?

    Seega: Es würde mich wundern, wenn nicht. Weil ich mit den Bankern spreche, die die Pläne machen, die mit ihren Kunden sprechen. Weil da die Nachfrage nach gewissen Produkten ist, nach gewissen Dingen, die auf jeden Fall erledigt werden müssen, wo den Banken aber im Moment das Personal fehlen würde, wenn all das tatsächlich umgesetzt würde von den Kunden.

    Und ich spreche mit Bekannten und ehemaligen Kollegen, die bei Beratungen sind wie BGC, wie McKinsey und so weiter, die sich die Industrie angucken und sagen, sie werden immer wieder zurückkommen. Aber ich glaube, insgesamt wird es wahrscheinlich nicht mehr - das ist meine persönliche Meinung - nicht mehr zu dem Level kommen, was wir mal hatten. Was die Gehälter angeht und was insgesamt die Anzahl der Angestellten angeht. Ich denke, es wird alles ein bisschen moderater sein in der Zukunft.

    Kolbe: Wie wirkt sich das auf das Selbstverständnis der Branche und auch der Londoner City aus?

    Seega: Die Banker sind frustriert, dass sie die langen Arbeitszeiten, die sie haben und die sie vor allem in den sagen wir mal ersten sechs Jahren haben - da arbeiten die unmenschliche Arbeitszeiten, teilweise die ganze Woche, die ganzen Wochenenden durch bis morgens um vier und dann wieder um acht ins Büro, das über eine sehr lange Zeit.
    Die Investition scheint sich nicht immer mehr auszuzahlen. Und da ist die Frustration groß. Auf der anderen Seite ist natürlich auch klar, dass die Zeiten sich ändern und sich angepasst werden muss.

    Früher gab es Banken, die boten zehn Produkte an und jede Großbank bot die zehn Produkte an. Und jetzt sehen wir eben auch, dass manche Banken gewisse Produkte nicht mehr anbieten, gewisse Produkte nur noch gewissen Kunden zur Verfügung stellen, in gewissen Ländern nicht mehr vor Ort sind. Und das verändert natürlich die ganze Industrie.

    Kolbe: In London verlieren Investmentbanker reihenweise ihren Job - über den Arbeitsmarkt und die City war das der Headhunter Ulrich Seega bei uns im Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.