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Neue Kräfte in der Politik
Sprachlos - Die Grünenspitze ohne Esprit

Stark im Land und klein im Bund. Für die Grünen hat sich dieses Kräfteverhältnis seit der letzten Bundestagswahl noch weiter verschoben, in Richtung der Länder. Denn dort ist die Partei an sieben Regierungen beteiligt. Im Bundestag jedoch ringen die neuen Chefs noch immer um Gehör.

Von Stefan Maas | 17.04.2014
    Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) spricht im Bundestag in Berlin.
    Hans-Christian Ströbele (Grüne) spricht im Bundestag ( picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Baden-Württemberg. Für Christian Kühn ist das Zuhause und politischer Auftrag zugleich. Seit 2009 ist er dort Vorsitzender des Grünen-Landesverbandes, in dem Bundesland, in dem ein Grüner Ministerpräsident ist. Seit vergangenem Jahr gehört Kühn im Bundestag der kleinsten Oppositionsfraktion an. Ein schwieriger Spagat?
    "Ja und nein. Also, ich bin in Berlin Oppositionspolitiker, auf der anderen Seite bin ich natürlich Abgeordneter aus dem Land Baden-Württemberg. Naja, und damit natürlich selbstverständlich Repräsentant einer grün-geführten Landesregierung. Und hier im Wahlkreis oder auch in Berlin muss ich natürlich auch für diese Regierungspolitik geradestehen."
    Mit den zwei Rollen kann er gut umgehen, sagt der 35-Jährige.
    "Ich glaube eher, es ist eine Stärke, wenn man ein Bundesland wie Baden-Württemberg im Rücken hat, auch wenn man in der Opposition in Berlin ist. Und das macht mir auch Spaß bei den Parlamentsdebatten, wenn dann baden-württembergische Themen kommen auch im Bundestag, da dann auch Zwischenrufe zu machen oder gemeinsam mit den Kollegen Zwischenfragen zu stellen, wenn die CDU mal wieder was Falsches sagt über Baden-Württemberg und die Landesregierung."
    Die Kanzlerin schaut nicht zu
    Stark im Land und klein im Bund. Für die Grünen hat sich dieses Kräfteverhältnis seit der letzten Bundestagswahl noch weiter verschoben. In Richtung der Länder. Denn dort ist die Partei an sieben Regierungen beteiligt. Im Bundesrat läuft es ohne die Grünen folglich nicht. Im Bundestag jedoch ringen die neuen Chefs noch immer um Gehör.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert: "Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-Eckart für die Fraktion Die Grünen."
    Direkt davor hat bei der Generaldebatte die Kanzlerin geredet. Hat die Politik der Großen Koalition in den Himmel gelobt:
    "Wie hieß doch der Spruch der westdeutschen Jugend damals: Erst wenn die letzte Rentenkasse geplündert, die letzte Sozialkasse geleert und alle Schulden versammelt sind, werden Sie merken, dass man Koalitionsverträge nicht essen kann."
    Immerhin, das Plenum ist nach der Rede der Kanzlerin noch gut gefüllt. Linken-Chefin Katja Kipping war vor Angela Merkel an der Reihe. Und sprach vor fast leerem Haus. Die Kanzlerin würdigt die Grünen-Fraktionsvorsitzende kaum eines Blickes, Kipping hat sie nicht mal namentlich erwähnt. Teil des politischen Spiels. Denn die Generaldebatte ist politisches Schaulaufen. Über Göring-Eckardt werden die Medien später schreiben: Informiert. Pastoral. Blass. Es fehlt ein Joschka Fischer, es fehlt ein Jürgen Trittin. Meister des lauten Wortes. Christian Kühn sagt zu der Rede: bemerkenswert.
    "Weil es eine Rede war, die nachdenklich war, die auf den Punkt war, die den Finger in die Wunde gelegt hat, ohne irgendwie groß auf Showeffekte zu setzen. Und ich fand das sehr, sehr gelungen. Und ich glaube, dass wir mit diesem konstruktiven Oppositionsstil, der auch ein bisschen nüchtern ist, auf lange Sicht sehr, sehr gut auch fahren werden. Und ich glaube, dass Politik, die rein auf Showelemente setzt und am Ende nicht liefern kann, langfristig keine Substanz dazu gewinnen wird."
    Wer gibt zukünftig die Richtung vor?
    Geliefert haben aber zum Beispiel bei der Reform der Ökostrom-Förderung vor allem die Länder. Ob CDU-, CSU-, SPD- oder Grün-geführt. Alle haben sie auf dem Energiegipfel im Kanzleramt mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel um Geld gerungen:
    Gabriel: "Ich darf mich noch einmal, insbesondere bei den Ländern, bedanken, dass wir uns in der Zielrichtung dessen, was hier zu tun war, sehr einig geworden sind."
    Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, gab sich zufrieden mit dem gefundenen Kompromiss. Weiter mit der Energiewende, ohne dass die Kosten zu sehr steigen:
    "Das ist uns heute, glaube ich, gut gelungen. Ich kann auch noch einmal die gute, konstruktive Atmosphäre nur loben."
    Und doch: Für die Grünen bleibt es ein Spagat. Wie Parteichef Cem Özdimir bei einem Radiointerview deutlich macht:
    "Es ist nach wie vor so, dass der Mittelstand und die Verbraucherinnen und Verbraucher die Zeche zahlen müssen für Industrieausnahmen. Die werden hier nicht eingedämmt. Ganz im Gegenteil. Wir haben hier scheunentorweite Ausnahmen. Und das werden wir als Bundestagsfraktion geißeln. Das Interesse der Länder ist, dass es zu einem Ergebnis kommt. Wir sorgen aber im Bundestag dafür, dass auch deutlich gemacht wird, wo nach wie vor Unterschiede sind."
    Als kleinste Fraktion Opposition machen
    Die Länder gestalten, die Fraktion ist dagegen? Wer also gibt zukünftig die Richtung vor? Lag das Machtzentrum der Partei doch bis zur letzten Wahl lange beim inzwischen ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin. Doch der hält sich – zumindest nach außen – zurück. Erklärt sogar, die neue Führung brauche Solidarität.
    "Ich glaube, dass wir im Moment bei den Grünen eher, wenn man das so sagen möchte, kooperative Führung betreiben", analysiert Chris Kühn. Immerhin sitzen sie in sieben Ländern in der Regierung.
    "Ich glaube, es kommt nicht auf die eine Führungsfigur an, die mal in Zampano-Manier mal eine gute Rede im deutschen Bundestag hält, sondern dass man wirklich unter dem Strich substanziell auch gute Politik macht. Und ich glaube, das machen wir in den Ländern und im Bund. Dass gerade die Medien schreiben, die Grünen bräuchten jetzt wieder eine neue Führungsfigur, halte ich für eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Und es entspricht auch nicht uns Grünen. Sondern wir wollen in einer kooperativen Führung in die nächsten Jahre gehen. Und das ist auch richtig so."
    Doch wohin wollen sie gehen? Und vor allem mit wem? Auf die Frage "Gibt es eine geschlossene Opposition gegen die übermächtige Koalition?", so wie sie sich im NSA-Untersuchungsausschuss gemeinsam dafür ausgesprochen haben, Edward Snowden als Zeugen einzuladen, erntet man im Gespräch mit Grünen Kopfschütteln. Mit der Linkspartei könne man in vielen wichtigen Fragen nichts anfangen, heißt es dann. Etwa bei der Außenpolitik. Auch Chris Kühn ist da mehr als skeptisch:
    "Ich glaube, dass es keine Koalition in der Opposition gibt."
    Und so werden die Grünen auch zukünftig erst einmal alleine als kleinste Fraktion Opposition machen. Und schauen, wie sich die Länder zur Politik in Berlin positionieren. Immerhin steht die Energiewende ja gerade erst am Anfang.