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Neue Leber von altem Patienten

Jeden Tag sterben drei Patienten, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ für sie gefunden worden ist. Seit einigen Jahren werden deshalb auch Organe von Spendern genommen, die nicht mehr topfit waren. Welche Organe unter welchen Umständen für welchen Patienten geeignet sind, ist Thema auf dem Kongress der internationalen Transplantationsgesellschaft in Berlin.

Von Marieke Degen | 17.07.2012
    Es gibt einen Begriff für besonders risikofreudige Motorradfahrer, der sich bis heute hartnäckig gehalten hat: Organspender. Dabei sind die Zeiten, in denen Spenderorgane hauptsächlich von jungen Unfallopfern stammten, lange vorbei.

    "Zum Beispiel als ich jung war, da haben viele Motorradfahrer ohne Helm einen Unfall gehabt, sind mit dem Kopf auf die Straße geknallt und dann haben sie ein Hirnödem bekommen. Heute haben sie einen Helm, und wenn sie ein Hirnödem bekommen, dann nehmen die Neurochirurgen ihnen die Schädeldecke weg, und dann kann sich das Hirn ausdehnen für einige Zeit, und dann wird's wieder normal. Das ist ein toller Erfolg – und diese Leute werden nie Organspender."

    Professor Dr. Peter Neuhaus leitet die Klinik für Transplantationschirurgie am Campus Virchow-Klinikum der Berliner Charité.

    "Das ist also der Fortschritt der Medizin, den wir begrüßen, aber deshalb müssen wir mit den Organspenden eher auf andere Diagnosen ausweichen."

    Heute kommen die meisten Organe von hirntoten Patienten, die eine Hirnblutung oder einen Schlaganfall erlitten haben. Diese Spender sind oft wesentlich älter als die Unfallopfer von damals. Einige haben jahrelang Medikamente eingenommen. Ärzte sprechen dann von Spendern mit erweiterten Spenderkriterien.

    "Ich nehme jetzt mal als Beispiel die Leber. Wir wissen bestimmte Eigenschaften, die mit einem schwierigeren Verlauf nach einer Transplantation zusammengehen: Alter des Spenders. Intensivstand. Hat er einen Herzstillstand gehabt und ist reanimiert worden, wie sind die Laborwerte, wie sind die Nierenwerte, welche anderen Organe, hat er die und die Medikamente zum Blutdruckunterstützen gebraucht.?"

    Chirurgen, die Spenderorgane entnehmen, müssen all diese Punkte sorgfältig dokumentieren. Das ganze wird dann bei Eurotransplant hinterlegt. Solche Organe sind für manche Patienten immer noch gut geeignet. Letzten Endes muss der behandelnde Chirurg entscheiden, welches Organ für seinen Patienten in Frage kommt.

    "Ich transplantiere einen 55-jährigen Patienten, der sonst relativ gesund ist, aber einen inoperablen Leberkrebs hat, mit einem Organ von einem 85-Jährigen, das funktioniert. Wenn ich aber einen 55-jährigen mit einem Endstadium einer Hepatitis-B-Leberzirrhose transplantiere, dann funktioniert das nicht. Weil einfach die Leberzellen durch die Viren beschädigt werden und die müssen dann nachwachsen. Und die könne aus einer alten Leber nicht so schnell nachwachsen wie aus einer jungen Leber."

    Wenn ein Chirurg das Organ nicht transplantieren will, weil es nicht zu seinem Patienten passt, dann eignet es sich vielleicht für einen Patienten, der weiter unten auf der Warteliste steht. Der bekommt das Organ natürlich nur, wenn er dem von vorneherein zugestimmt hat.

    "Man klärt ihn im Prinzip auf, ob er bereit ist, solche Entscheidungen zu akzeptieren. Wir sagen, da gibt es erweiterte Spenderkriterien, und sind Sie bereit, ein solches Organ zu akzeptieren, wenn wir es als passend heraussuchen. Der muss er also meine Entscheidung akzeptieren diesbezüglich, wenn er sagt, nein, das möchte ich nicht, dann ist das eben auch akzeptiert, dann wird er auch nicht in Betracht gezogen."

    Doch das sei die große Ausnahme, sagt Peter Neuhaus.

    "Eigentlich weil wir sehr intensiv und ausführlich mit unseren Patienten sprechen, sind praktisch alle Patienten bereit, das zu akzeptieren."

    Fast jeder zweite Spender fällt heute in die Kategorie "Spender mit erweiterten Spenderkriterien". Trotzdem ist die Langzeitprognose der Organempfänger so gut wie nie: Bei zwei Dritteln aller Empfänger wird das Spenderorgan auch noch in zehn Jahren funktionieren, schätzen Mediziner – auch dank neuer Immunsuppressiva. Doch das Grundproblem bleibt: Es gibt einfach zu wenig passende Spenderorgane.

    "Das tut einem manchmal weh, dass man auch junge Leute transplantieren muss, mit Organen, die nicht optimal sind, weil man ja vermutet, dass das auch nicht ewig halten wird. Aber wir haben ja nicht die Wahl."

    Das neue Transplantationsgesetz soll das jetzt ändern: In Zukunft werden alle in regelmäßigen Abständen von ihrer Krankenkasse gefragt, ob sie ihre Organe nach dem Hirntod spenden wollen oder nicht. Antworten muss aber niemand. Eine Widerspruchslösung wie in Österreich oder Spanien wäre da viel sinnvoller gewesen, sagt Peter Neuhaus. Dort kann jeder zum Organspender werden – es sei denn, er hat sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen.