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Neue Lehrpläne in der Türkei
Evolution kein Thema mehr im Bio-Unterricht

Mit Beginn des neuen Schuljahrs in der Türkei treten die neuen, kritisierten Lehrpläne inkraft. Staatsgründer Atatürk bekommt weniger Raum, stattdessen lernen die Schüler mehr über islamische Gelehrte. Eltern und Lehrerverbände sehen darin eine weitere Islamisierung des Bildungssystems.

Von Christian Buttkereit | 18.09.2017
    Schulkinder stehen am 03.03.2015 vor der Schule im Camp in Kahramanmaras.
    In türkischen Schulen werden nicht nur vermehrt religiöse Themen unterrichtet - der Unterricht findet auch vermehrt in religiösen Schulen statt (picture alliance / dpa / Can Merey)
    Wenn erstmals nach mehr als drei Monaten wieder die Schulglocke läutet, mag sich in mancher Schule etwas Staub angesammelt haben. Die Lehrpläne hingegen seien gründlich entstaubt worden, ist Bildungsminister Ismet Yilmaz stolz: "Die neuen Lehrpläne wurden gemäß den Erfordernissen der Zeit aktualisiert und den sich wandelnden Ansprüchen von Individuums und Gesellschaft angepasst."
    Überflüssiges und Veraltetes streichen, weniger Auswendiglernen. Klingt erst mal gut. Doch Lale Kayabiyik, Abgeordnete der oppositionellen CHP, kommt zu einem ganz anderen Urteil: "Wir haben die aktualisierten Schulbücher Wort um Wort, Satz um Satz untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass sich der aktualisierte Lehrstoff vom Ziel, hinterfragende, kritische Geister heranzubilden, weiter entfernt hat."
    Kritiker: weiterer Schritt zur Islamisierung
    Was die CHP vor besonders stört: Selbst der Unterricht über Staatsgründer Atatürk wurde zusammengestrichen. Stattdessen erfahren die Kinder künftig mehr über osmanische Gelehrte und natürlich über den niedergeschlagenen Putschversuch vom Sommer 2016. Auch Terrorbekämpfung nimmt einen großen Raum ein.
    Weiterer Streitpunkt: Darwins Evolutionslehre. Darüber erfahren die Kinder im Biologieunterricht künftig nichts mehr. Sie sei ohnehin zu kompliziert und ja auch umstritten, meint Bildungsminister Yilmaz. Aber: "Die Evolution wird auf philosophischer Ebene im Philosophieunterricht beibehalten. Naturgeschichte, Evolutions-Biologie und die Evolutionstheorie haben wir allerdings den Universitäten überlassen."
    Kritiker sehen darin einen weiteren Schritt zur Islamisierung der Türkei. Ilknur Kaya, Präsidentin des Elternverbandes Veli. Der sieht dafür weitere Anhaltspunkte: "Bei den Wahlfächern gibt es ein entscheidendes Problem. Eltern und Schüler werden quasi genötigt, Fächer, die sie nicht wollen, zu wählen. Insbesondere in der 5. und den 9. Klasse. Die Wahlfächer werden in Paketen angeboten werden und diese haben immer auch einen religiösen Schwerpunkt."
    Reguläre Schulen oft überfüllt
    Für Aufregung hatten auch Pläne gesorgt, den Dschihad, also den Heiligen Krieg zum Unterrichtsstoff zu machen. Doch dieser Teil der Lehrplanreform wurde zunächst um ein Jahr verschoben. Trotzdem werden in den Schulen nicht nur vermehrt religiöse Themen unterrichtet, sondern der Unterricht findet auch vermehrt in religiösen Schulen statt, beklagt Elternvertreterin Ilknur Kaya:
    "Da die meisten normalen Gymnasien zu Imam-Hatip-Schulen umstrukturiert werden, bleiben den Eltern weniger Auswahlmöglichkeiten. Und da auch die wenigen neuen Schulen als Imam-Hatip-Schulen eingeweiht werden, drängeln sich Schüler, deren Eltern ihre Kinder nicht auf die Imam-Hatip-Schulen schicken wollen, in den regulären Schulen. Da sind die Klassen deshalb oft überfüllt."
    Die Folge: Viele Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder auf eine Privatschule. Die Änderungen im Lehrplan betreffen vor allem die Klassen eins, fünf und neun. Aber auch die Berufsschule für Hotelfachleute ist nicht ausgenommen: Dort entfällt künftig der Unterricht über alkoholische Getränke und über die Zubereitung von Cocktails.