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Neue Männer - muss das sein?

Männer leben riskant: Sie rauchen und trinken mehr als Frauen, gehen aber seltener zum Arzt; als Schüler haben sie schlechtere Noten. Dennoch: In der wissenschaftlichen Diskussion stehen Frauen als unterdrückt und hilfebedürftig im Mittelpunkt. Um das zu ändern, wurde an der Uni Düsseldorf nun der Männerkongress 2010 durchgeführt.

Von Mirko Smiljanic | 25.02.2010
    Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Düsseldorf, ist ein geduldiger Mensch, den nur wenig aus der Ruhe bringen kann. Bei der Vorbereitung des Männerkongresses 2010 erlebte er jedoch etwas Ungewöhnliches: Bei seiner Suche nach Referenten sagte nicht nur jeder Angerufene sofort zu, alle kommentierten die Anfrage mit einem "Endlich, das wird auch Zeit". Womit sie nicht sich meinten, sondern das Thema der Tagung: Männer! Die Notwendigkeit, sich nach jahrzehntelanger Diskussion über Frauen, endlich den Männern zuzuwenden, liegt für Matthias Franz auf der Hand. Es geht ihnen schlecht, wobei er drei große Bereiche im Blick hat.

    "Gesundheit, Bildung, Identität. Fangen wir mit der Gesundheit an. Männer werden drei bis vier Mal häufiger vom frühen Herztod ereilt als Frauen, Männer rauchen mehr, trinken mehr, sind häufiger Gewalt- und Unfallopfer, sie bringen sich drei Mal häufiger um als Frauen, jeden Tag sterben bei uns in Deutschland 20 Männer durch Suizid. Das führt dazu, dass ihre Lebenserwartung fünf bis sechs Jahre niedriger ist. Dazu gehört auch, dass sie so schlecht Hilfe annehmen, sich so schlecht öffnen können, sich anvertrauen können, siehe Robert Enke."

    Bei der Bildung sieht es für Jungen ebenfalls schlecht aus. In der Schule erzielen immer mehr Mädchen anspruchsvollere Abschlüsse und sind dabei auch noch schneller als Jungen. 13 Prozent aller männlichen Schüler eines Jahrganges verlassen die Schule ohne Abschlusszeugnis. Gleichzeitig sind Jungen häufiger verhaltensauffällig und neigen zu Gewalt. "Boys Crisis", "Jungenkatastrophe" - unter diesem Schlagwort diskutieren Wissenschaftler die Gründe für diese Entwicklung. Den Jungen

    "fehlen die männlichen Vorbilder, die männlichen Identifikationsmöglichkeiten, nicht nur zu Hause, sondern auch in den Kitas und Schulen und Grundschulen. Sie werden hier einer weiblichen Erziehungsmacht entgegengestellt und es ist dann manchmal schwer für sie, ihr männliches Selbstwertgefühl festzuhalten, zu entdecken und zu entfalten, weil sie mit einer Fülle weiblicher Edukationsziele aufwachsen, und das macht es schwer bis ins Erwachsenenalter."

    Der Unterricht sei weitgehend "feminisiert" und nach weiblichen Kriterien gestaltet, schreibt der Hamburger Pädagoge Frank Beuster in seinem Buch "Die Jungenkatastrophe - das überforderte Geschlecht". Mädchen könnten besser still sitzen als die lebhafteren Jungen. Rumtoben und Streiten würden rasch als Aggressivität gewertet, obwohl es normale altersgemäße Verhaltensmuster seien. In allen Bereichen des Erziehungssektors fehlten männliche Vorbilder. Das Schlagwort von der "vaterlosen Gesellschaft" spielte in diesem Zusammenhang natürlich eine große Rolle, ein Schlagwort, das übrigens nicht Alexander Mitscherlich geprägt hat, sondern auf den Psychoanalytiker Paul Federn zurückgeht, der nach dem Ersten Weltkrieg die vaterlose Gesellschaft euphorisch begrüßt hat.

    "Nach dem Motto, jetzt sind wir sie endlich los, die uns in den Tod geschickt haben, der Kaiser hat abgedankt, jetzt kann es nur noch besser werden. Das war die optimistische Variante der vaterlosen Gesellschaft, wir alle wissen, was daraus geworden ist, die Vatersehnsucht ist in einen hochdestruktiven Führerkult gemündet, an dessen Folgen wir bis heute noch leiden."

    So ist zum Beispiel Männlichkeit in der Gesellschaft ein auslaufendes Wertemodell.

    "Die Entwertung des Männlichen in Funk, Film und Fernsehen und Werbespots ist evident. Der Mann gibt den Trottel, den emotionalen Ignoranten, den eitlen Gockel und im schlimmsten Fall den Gewalttäter. In öffentlichen Räumen wird kaum noch kommuniziert, dass Männer auch positive Eigenschaften haben. Wenn ich bei meinen Veranstaltungen ins Publikum frage, nennen Sie mir einige, dann ist ein betroffenes Schweigen die häufige Folge."

    Trotz aller Schwierigkeiten haben Männer von heute ein breites Anforderungsspektrum: Sie sollen neue und moderne Väter sein, emotional kompetente und konfliktfähige Partner, selbstsicher und erfolgreich im Beruf, blendend aussehen, intelligent sein und bei Bedarf knallharte Kämpfer abgeben, wie sie ja mittlerweile in Afghanistan und vielen anderen Orten gebraucht werden, an denen die Bundeswehr die Freiheit Deutschlands verteidigt. Es liegt auf der Hand, dass so etwas auf Dauer nicht funktioniert. Wir müssen - sagt
    Matthias Franz von der Universität Düsseldorf - politisch gegensteuern.

    "Das heißt, das Bundesfamilienministerium ist aufgefordert, für eine Gleichstellung von Jungen und Männern auch im Sinne einer übergreifenden Gender-Gerechtigkeit zu sorgen und hier entsprechende Programme aufzulegen und beispielsweise mit Mitteln wissenschaftlicher Forschungsmitteln auszustatten. Erfreulicherweise hat das Familienministerium erstmals in seiner Existenz ein Referat gegründet, Referat zur Gleichstellung von Jungen und Männern, das ist ein erster Schritt, das ist die richtige Richtung."


    Weshalb die rhetorische Frage "Neue Männer - muss das sein?" von allen Referenten des Düsseldorfer Männerkongresses 2010 mit Ja beantwortet wurde. Es muss im Interesse der Männer sein, die zunehmend verunsichert sind und sich immer mehr aus Ehen und Partnerschaften zurückziehen. Und es muss im Interesse der Frauen sein, die übrigens etwa die Hälfte der Teilnehmer stellten.

    "Ich habe diese Frage auch gewälzt und habe Ja und Nein gesagt. Ich habe Ja gesagt, wenn es um die Prävention von Gewalt geht, da habe ich Ja gesagt, da brauchen wir neue Männer; ich habe Nein gesagt, wenn es um Zusammenarbeit, um Partnerschaft geht, da brauchen wir sie nicht, aber ich denke, diese Frage müssen die Männer auch selber beantworten und nicht die Frauen. Ich denke schon, dass wir ein neues Rollenverständnis von Männern brauchen, seit etwa fünf Jahren hat sich das ja eingeleitet dieses neue Männerbild, also, ich denke, da ist noch viel zu tun, ich bin davon überzeugt, dass wir einen neuen Mann brauchen."

    Der sich jenseits aller Politik natürlich auch seiner Probleme bewusst werden muss. Eine schlichte Forderung, die aber viele Männer überfordert. Matthias Franz setzt deshalb auf kleine Schritte.

    "Ich würde die Männer gerne ermutigen, achtsamer und sorgsamer mit sich und ihrem Körper umzugehen, auch der männliche Körper ist keine hyperaktive Maschine, die man auf Teufel komm raus missbrauchen kann. Männer sollen früh auf ihren Körper und auch auf ihr Gefühlsleben hören. Diese Gefühlsgeneigtheit kann auch Männern helfen, gesund und zufrieden zu leben, ohne dabei Angst haben zu müssen, zum Mädchen zu werden."