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Neue "Nathan"-Inszenierung mit muslimischem Chor
"Ach, was sind wir tolerant!"

Der Regisseur Volker Lösch ist bekannt dafür, dass er die aktuelle Politik auf die Theaterbühne bringt. In Bonn verbindet er gerade Lessings Aufklärungsklassiker "Nathan der Weise" von 1779 mit der erhitzten Diskussion um die Flüchtlingspolitik anno 2016. Unter anderem spielt ein Chor muslimischer Schüler eine wichtige Rolle. Wer klärt hier wen auf?

Volker Lösch im Gespräch mit Christiane Florin | 15.02.2016
    Der Theaterregisseur Volker Lösch
    Der Theaterregisseur Volker Lösch (dpa / picture alliance / Volker Hartmann)
    Christiane Florin: "Nathan, der Weise" heißt Lessings Stück, Ihres heißt nur "Nathan". Vermissen Sie einen Weisen in der aktuellen Debatte um Migration und Religion?
    Volker Lösch: Einen Weisen in der aktuellen Debatte? Ja, es könnte sein, dass da vielleicht im Moment ein paar zu wenige unterwegs sind. Aber die gibt es natürlich: Navid Kermani zum Beispiel ist einer dieser Weisen, die da die richtigen Worte finden. Aber es ist alles so aufgeladen, dass die Scharfmacher vor allem von rechter Seite die Keule schwingen. Insofern braucht man vielleicht gar nicht den Weisen, die Führerfigur. Vielleicht sollten wir etwas mehr Weisheit bekommen. Wir alle, wir sollten uns, was die großen Themen betrifft, die im Nathan angesprochen werden, damit abfinden, dass wir schon lange in einer Einwanderungsgesellschaft leben, die mit Menschen bestückt ist, die verschiedenen Religionen angehören und dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss, nebeneinander zu leben, ohne sich zu verfeinden, ohne anderen die Schuld zuzuschieben und sie zu Sündenböcken abzustempeln.
    Florin: In Ihrer Inszenierung spricht ein Bürgerchor aus jungen Muslimen, unter anderem prangert dieser Chor den "bürgerlichen Rassismus" an. Das Theater ist eine bürgerliche Institution. Wie viele Rassisten sitzen denn da im bürgerlichen Publikum?
    Lösch: Wir haben eine Umfrage gemacht in Bonn zu dem Thema und haben nach Vorstellungen im Schauspiel und in der Oper Fragebögen verteilt. Die Ergebnisse sind schon recht ernüchternd. Wenn man bedenkt, dass so etwas wie eine intellektuelle Elite einer Stadt dort verkehrt in diesen Vorstellungen, eine Klientel, die sich als aufgeklärt betrachten würde. Was da dann rüberkommt, ist schon sehr irritierend. Ich glaube nicht, dass man derzeit sagen kann, es gibt irgendwo in der Gesellschaft einen Ort oder einen Hort von besonders, gutwilligen, toleranten, aufgeklärten Menschen, die der Sache, die jetzt hier verhandelt wird, gelassen entgegen sehen.
    Florin: Welches sind die Ängste?
    Lösch: Die sind nicht so weit von dem, was aus Pegida-Kreisen kommt. Es sind die Ängste vor der Überflutung, Überfremdung, vor dem Verlust der eigenen kulturelle Identität, dann man sich anderen unterordnen muss. Auch irrationale Ängste, weil nichts davon gerade in der Luft liegt. Das liegt auch daran, dass wahnsinnig viele Ängste geschürt werden, dass Schuldzuweisungen pauschal erfolgen nach so einer Sache wie in Köln. Dann vermengt sich das alles.
    Florin: Ist Angst immer gleich rassistisch?
    Lösch: Nein, das muss nicht rassistisch sein. Aber es ist doch erstaunlich, dass ausgerechnet von denen, von denen man glaubt, dass sie mehr reflektieren als andere, dass ausgerechnet von denen Sachen kommen, die sehr unreflektiert, sehr ideologisch, sehr klar, sehr hart, manchmal auch obszön.
    Florin: Gehen die geläutert aus einer Vorstellung heraus?
    Lösch: Das weiß ich nicht.
    Florin: Ist das ihre Hoffnung?
    Lösch: Geläutert nicht, aber positiv irritiert.
    Florin: Ein Lehrer versucht, einer muslimischen Schulklasse deutsche Leitkultur beizubringen. Das ist die Rahmenhandlung Ihres "Nathan". Der Lehrer wird dabei immer offener rassistisch. Ist es wirklich so einfach: Der Leitkultur-Lehrer ist der Böse, die muslimischen Schüler sind die Guten?
    Lösch: Das heißt nicht, dass es einfach ist. Das ist eine imaginäre Rahmenhandlung, die wir erfunden haben. Innerhalb dieser Rahmenhandlung spielt der "Nathan". Wir spielen ja den Nathan. Der Aufklärungsklassiker schlechthin wird häufig dazu benutzt, um westliche Werte zu vermitteln. Wenn man ihn so spielt, wie er dasteht, tut man dasselbe wie die Zigarettenwerbung: Man rennt offene Türen ein. Man erzählt den toleranten Zuschauern des Theaters mit dem tolerantesten Stück der Welt, wie tolerant auch wir Profis sind, um ganz tolerant das tolerante Theater beruhigt wieder verlassen zu können. Wenn man Nathan so spielt, wie er da steht, dann ist es eine Beruhigungsmaschine. Das bestätigt uns darin, was wir glauben von uns zu kennen. Das ist ein Affirmationstempel. Das ist auch die große Falle von "Nathan, der Weise". Es muss ja darum gehen, dass wir den Toleranzbegriff heutig befragen. Sonst sind überall nur gute Menschen unterwegs und dann braucht man auch den Nathan nicht mehr zu spielen.
    Florin: Wer ist in diesem Fall "Wir"? Ist es das deutsche Bürgertum – also die "Bio-Deutschen" – oder ist es auch die muslimische Community in Deutschland, die er Aufklärung bedarf?
    Lösch: Das wichtigste, was wir gelernt haben im Umgang mit den Moslems, die hier bei uns spielen, ist, dass es so ein Wir gar nicht gibt. Es gibt aber vor allem auch nicht diese zwei Kulturen, diese Huntington-Thesen vom Clash of Civilisations, das gibt es nicht. Es gibt auch nicht DEN Islam. Und das ist auch das, was die Kolleginnen und Kollegen ausstrahlen und verkörpern, die bei uns auf der Bühne stehen. Die sind übrigens auch sehr kritisch mit ihrer eigenen Religion. Das ist auch das Interessante und Schöne daran: Das ist keine Islamverherrlichungsveranstaltung hier. Sie sind durchaus in der Lage das zu kritisieren, was ihnen am Islam nicht passt.
    Florin: Und was kritisieren sie am Islam?
    Lösch: Sie kritisieren die Radikalisierung. Sie kritisieren natürlich diejenigen, die sich so radikalisieren, dass sie ideologisch werden, dass sie Politik mit Religion komplett vermischen und dann so sind wie viele von denen, die hier rechts außen unterwegs sind, behaupten, dass alle wären. Die ganzen aufgeklärten Muslime, die hier in Deutschland leben, die man ja so gar nicht spürt, genauso wie man die aufgeklärten Christen nicht spürt, sind natürlich dazu in der Lage zu formulieren, was sie wollen und was sie nicht wollen. Das ist die ganz große Mehrheit derjenigen, die hier leben. Diejenigen, die da sind und mit denen man reden kann und die man auf eine Bühne bekommt – man kriegt ja keine Strengreligiösen auf eine Bühne–, sind wirklich dabei, das alles stark innerhalb ihrer Community zu kritisieren. Die streiten sich auch mit ihren Eltern und sagen zum Beispiel in einem Text hier auf der Bühne, da geht es um Homosexualität: "Ich kann meine Eltern nicht mehr ändern. Ich kann meinem Vater nicht erzählen, dass Homosexualität normal ist. Aber ich kann es für mich verändern mit meiner Familie und, wenn ich Kinder erziehe, werde ich das anders machen."
    Florin: "Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach!", sagt der Richter in der Ringparabel. Sind Sie frei von Vorurteilen?
    Lösch: Nein. Ich kenne niemanden, der frei von Vorurteilen ist. Man muss einfach einem Kollegen, der einen Bart trägt, ein Maschinengewehr in die Hand drücken und schon ist das Vorurteil da. Es macht Spaß, das zu sehen, darüber zu reden, dieses Klischee dann auch zu spielen und damit umzugehen. Wenn man darüber redet und wenn man weiß, dass die Vorurteile da sind und man sie nicht von sich wegschiebt, dann ist das der beste Weg, sie zu bekämpfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.