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Neue Operationsmethode korrigiert Gesichtsfehlbildungen

Medizin. - Vor 200 Jahren wurde in Leipzig zum erstenmal eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte operiert. Der Volksmund bezeichnet diese Missbildung auch als Hasenscharte. Ebenfalls in Leipzig begann am Mittwoch der 52. Kongress der , und das Thema Lippen-Kiefer-Gaumenspalten steht immer noch ganz oben auf der Tagesordnung - allerdings nicht das Schließen der Spalte sondern die Zweit- und Drittoperationen, die nötig sind, um den Fehler von Mutter Natur perfekt auszubessern.

29.05.2002
    Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wird nicht allein aus ästhetischen Gründen behandelt, sie bedeutet für ihre Träger auch eine ganz reale Belastung. Ein kräftiger Biss in einen Apfel etwa bleibt für Betroffene ein Ding der Unmöglichkeit. Schuld daran ist das für dieses Leiden typische zurückgesetzte Mittelgesicht, also der Zone zwischen Nasenwurzel und Oberlippe, sagt Professor Alexander Hemprich, Direktor der Klinik für Kiefer-, Gesichts- und Plastische Chirurgie der Uni Leipzig. Hemprich hat eine in den USA erfundene Operationsmethode weiterentwickelt. Mit ihr kann man das komplette Mittelgesicht in die anatomisch korrekte Stellung bringen. Hemprich erklärt das Prinzip: "Man kann einen Schnitt ins Zahnfleisch machen, oberhalb der Zahnwurzeln, und den Knochen freilegen. Dann ist es möglich, den gesamten Oberkiefer etwas unterhalb der Augenhöhle mit ganz feinen Sägen und Meißeln vom restlichen Schädel abzulösen und nur an den Weichgeweben gestielt nach vorne zu bewegen."

    Am losgelösten Kiefer befestigen die Chirurgen feine Titandrähte, die aus dem Mund herausführen. Außen am Kopf wird mit acht Schrauben ein Gestell festgeklemmt, vom Schädeldach her ragt ein Längsstab an der Nase vorbei bis zum Mund. An ihm werden die Titandrähte mit einer Spindel befestigt. Zweimal am Tag dreht der Patient die Spindel mit einem Schraubenzieher eine Umdrehung vorwärts und zieht so seinen Oberkiefer je einen halben Millimeter nach vorn. Dabei nutzen die Chirurgen die Fähigkeit des Knochens, Kallus zu bilden, so Hemprich: "Der Kallus ist das Gewebe, das zwischen den Bruchenden eines Knochens entsteht. Er lässt sich ziehen und dehnen. Wenn ich nun zum Beispiel drei Zentimeter Vorverlagerung brauche, dann brauche ich also 30 Tage, bis er an der richtigen Stelle steht."

    Der Kiefer bleibt dort vier bis sechs Wochen fixiert, damit sich Phosphor und Kalzium in das weiche, neugebildete Knochengewebe einlagern und es hart wird. Wangen und Rachen wachsen in gleichen Maße mit, sodass am Ende der mehrwöchigen Prozedur ein völlig normales Gesicht entsteht, bei dem die oberen Zähne vor den unteren stehen und der Patient den richtigen Biss hat. Worauf er sich zweifellos freut, denn während der langwierigen Behandlung kann er nur Flüssignahrung zu sich nehmen.

    Zurückgeschobene Mittelgesichter sind heute seltener geworden. Schließlich verursachten sie die Gesichtschirurgen teilweise selbst, weil sie beim Spaltschließen die seitlichen Muskeln der Nasenflügel an der Oberlippe annähten. Hemprich erklärt: "Dass dort Probleme entstehen, dass die Nase sich wieder breit zieht, dass eben das Gesicht doch nicht so wächst, das ist erst das Ergebnis diffiziler Forschung von Kieferorthopäden und Kieferchirurgen gewesen." Heute wissen sie um die Probleme und nähen die feinen Muskelbündel anatomisch korrekt an der Nasenscheidewand an, um so ihren Patienten mit nur einer Operation eine völlig normales Aussehen zu geben.

    [Quelle: Hartmut Schade]