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Neue Richtlinien
EU-Parlament will Geschäftsgeheimnisse besser schützen

Eine neue Regelung des Europaparlaments soll Unternehmen in der EU besser vor Nachahmungen und Industriespionage schützen. Das Vorhaben stößt aber auf heftige Kritik: Gegner befürchten, dass investigative Journalisten und Informanten dadurch unter Druck geraten. Enthüllungen wie die der "Panama Papers" über Steuerflüchtlinge könnten künftig erschwert werden.

Von Thomas Otto | 14.04.2016
    Europaparlament in Straßburg
    Das Europaparlament in Straßburg stimmt an diesem Donnerstag über die Richtlinie ab. (picture alliance / dpa / Foto: Anthony Picore)
    Produktionsverfahren, Kostenkalkulationen, Preistabellen, interne Kommunikation – es gibt viel, was Unternehmen gern geheim halten wollen. Die neue Richtlinie soll genau das garantieren und EU-weit dafür einheitliche Regeln schaffen, erklärte die konservative Abgeordnete und Berichterstatterin Constance Le Grip gestern Abend bei der Debatte im EU-Parlament:
    "Kampf gegen Wirtschafts- und Industriespionage: Das ist eine Geißel unserer europäischen Unternehmen. Es geht darum, unsere Innovationen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu schützen. Das sind die Hauptziele dieser Richtlinie."
    Journalisten sehen ihre Arbeit in Gefahr
    Und die könnte die Richtlinie durchaus erreichen. Aus Sicht der Kritiker schießt die EU damit aber über ihr Ziel hinaus. Denn so könnten auch Informationen über Gesetzesverstöße oder Fehlverhalten von Unternehmen vor einer Veröffentlichung geschützt werden, kritisiert der niederländische Abgeordnete der linken Fraktion, Dennis De Jong:
    "Diese Richtlinie wird es Unternehmen ermöglichen, jeden zu verklagen, der Informationen erhält oder veröffentlicht, die diese als Geschäftsgeheimnis ansehen. Laut Definition kann fast jede interne Information ein Geschäftsgeheimnis sein."
    Julia Reda, Abgeordnete der Piraten im Europaparlament, verweist auf die Kritik der französischen Journalistengewerkschaft und der Redakteursausschüsse von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle (AGRA). Die sehen ihre Arbeit in Gefahr, indem Recherchemöglichkeiten eingeschränkt werden und hohe Kostenrisiken entstehen. Und Reda zitiert den Whistleblower Antoine Deltour, der die Luxleaks-Papiere an Journalisten weitergegeben hatte und der nun fürchtet, dass mit der Richtlinie solche Veröffentlichung von Fällen der Steuervermeidung nicht geschützt würden:
    "Diese Stimmen können nicht ignoriert werden. Dieses Parlament hat Herrn Deltour im vergangenen Jahr für seinen Beitrag den europäischen Bürgerpreis verliehen. Die europäischen Bürger verstehen nicht, warum zwei Wochen nach wichtigen Enthüllungen unsere Reaktion lautet, die Geheimhaltung von Unternehmen zu stärken."
    In der Richtlinie ist von Ausnahmen die Rede
    Unternehmen würden solche Gesetze nutzen, um gegen Journalisten und Whistleblower vorzugehen. Reda fordert, die Abstimmung so lange zu verschieben, bis die Kommission einen Vorschlag zum Schutz von Whistleblowern vorgelegt hat. Es gäbe keinen Druck, die Richtlinie bereits jetzt zu verabschieden, so Reda.
    Aus Sicht von Berichterstatterin Constance Le Grip sei man allerdings auf die Befürchtungen der Kritiker bereits eingegangen:
    "Wir haben immer im Auge gehabt, dafür zu sorgen, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen keinesfalls die Grundfreiheiten einschränken könnte. Wir wollen die Grundrechte nicht einschränken."
    Und tatsächlich ist in der Richtlinie von Ausnahmen die Rede, wenn es um die Pluralität und Freiheit der Medien geht und Veröffentlichungen im öffentlichen Interesse sind. Wie öffentliches Interesse definiert wird, lässt der Text allerdings offen. Die Grünen im Europaparlament monieren außerdem, dass so die Beweislast umgekehrt würde und Journalisten ein öffentliches Interesse nachweisen müssten. So werden wohl – ausgehend davon, die Richtlinie wird in der heutigen Abstimmung verabschiedet – Gerichte die genauen Grenzen des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen festlegen müssen.