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Neue Schleudern für fette Beute

Physik. - Das Periodensystem ist das Heiligtum der Chemiker. Doch immer wieder muss die Ahnentafel der Elemente noch erweitert werden, nämlich dann, wenn es Wissenschaftlern gelungen ist, weitere Teilchen an ein Atom zu heften und so ein neues Element zu schaffen. Federführend dabei sind die Experten der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Allerdings geht ihren Anlagen langsam die Puste aus: Nur mit leistungsstärkeren Beschleunigern könne das Gewicht der künstlichen Atome noch weiter erhöht werden.

27.09.2001
    Es scheint, als gingen die Kernphysiker des Darmstädter Linearbeschleunigers UNILAC mit der Schrotflinte auf die Jagd: Im Dauerbetrieb lassen die Forscher Atome unter enormen kinetischen Energien aufeinanderprallen und produzieren dabei rund drei Billionen neuer, überschwerer Teilchen in jeder Sekunde. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, darunter die erhofften, neuen Superkerne zu finden, verschwindend gering. Nur einmal am Tag fischen die Physiker aus der ungeheuren Masse an Kernkollisionen das eigentlich beabsichtigte Wunsch-Produkt - wenn sie Glück haben. Auf diese Weise gelang den Darmstädtern vor wenigen Jahren, die Elemente 110 und 111 herzustellen

    Doch die außergewöhnlichen Atome werden immer schwerer. So konnten russische und US-amerikanische Physiker den Protonengehalt ihrer synthetischen Atome auf 110,112 und 114 hochschrauben. Doch je schwerer die Elemente werden, desto schwieriger wird auch die Suche nach ihnen. Gottfried Münzenberg, Leiter der Kernchemie an der GSI, veranschaulicht das Problem anhand von Murmeln: "Wenn Murmeln in eine Schale gelegt werden, dann ordnen sie sich immer im Minimum der Schale an. Auf einem flachen Tisch dagegen verteilen sie sich überall hin. Ebenso prognostizieren neue Berechnungen, dass noch schwerere Atom-Kerne aufgrund ihres niedrigen Potenzialminimums sehr viele verschiedene Formen annehmen können - sie beginnen quasi zu schwabbeln." Die variierende Erscheinung erschwere aber die Untersuchung der ohnehin sehr seltenen Elemente nochmals erheblich.

    Auch die Ausbeute des UNILAC-Beschleunigers geht mit zunehmender Schwere der Fusionsprodukte zurück. Bei den Wunschprodukten 116 und 118 könne man noch mit einem Atom alle zehn Tage rechnen, meint der Physiker. Doch das sei zu wenig, denn die Schwerionenforschung lohne nur, wenn mindestens ein gewünschtes Atom am Tag auftrete. Den Ausweg sehen die Wissenschaftler in einem neuen Linearbeschleuniger, der bereits in der Konzeption steht. Darin sollen - ein Novum auf dem Gebiet der Elementsynthese - erstmals supraleitende Spulen eingesetzt werden, die den im Kreis fliegenden Atomen noch mehr Wucht für ihre Kollisionen verleihen sollen und damit die Chancen auf noch unbekannte Super-Atome erhöhen. "In herkömmlichen Beschleunigern verbraucht der elektrische Widerstand selbst Energie. Das entfiele allerdings bei supraleitenden Spulen", erklärt Münzenberger. Allerdings hat soviel Kraft auch ihren Preis: Leicht mehrere zehn Millionen Mark würde eine solche Anlage kosten. Mittel, die erst noch beschafft werden wollen.

    [Quelle: Volker Mrasek]