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Neue Serie "Patriot"
Null Bock auf Undercover

Die neue Amazon-Serie "Patriot" persifliert den Spionage-Thriller. Im Mittelpunkt: Ein kiffender Geheimagent, der nachts in Kneipen über seine schmutzige Arbeit singt. Ein typischer Anti-Held, dessen Tarnung ständig aufzufliegen droht. Das ist ziemlich absurd und ein Risiko – das nicht immer aufgeht.

Von Julian Ignatowitsch | 24.02.2017
    Geheimagent John Tavner (Michael Dorman) auf der Flucht mit einem blutbespritzten Anzug
    Geheimagent John Tavner (Michael Dorman) muss sich beeilen (Jonathan Wenk/Amazon)
    Ein Geheimagent als melancholischer Folksänger: Nach getaner Arbeit setzt sich John Tavner nachts in kleine, schummrige Kneipen und singt über das, was er tagsüber Schmutziges erledigt hat - im Auftrag des Nachrichtendienstes.
    In diesem Fall: Ein Mord an einem brasilianischen Flughafenarbeiter, der einen Geldkoffer geklaut hatte, mit dem die USA den Ausgang der Wahlen im Iran manipulieren wollten, um das nukleare Aufrüstungsprogramm des Landes zu verhindern. Tagesgeschäft oder…?
    Okay, das klingt alles ziemlich absurd, ist es auch!
    "Thank you, good night!"
    Protagonist John könnte kaum weniger Lust auf ein Leben undercover haben, dafür geeignet ist er erst recht nicht: Er kifft, leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und hat seine hübsche Frau viel zu lange nicht gesehen. Seine Tarnung als Ingenieur einer Ölfirma droht ständig aufzufliegen. Antriebslos und unfähig sehen wir John immer wieder mit hohlem Gesichtsausdruck versagen. Ein typischer Anti-Held - selbst wenn er einfach nur die Frisbeescheibe fallen lässt.
    John Tavner (Michael Dorman) spielt Gitarre
    Nach getaner Arbeit setzt sich John Tavner (Michael Dorman) nachts in schummrige Kneipen und singt über das, was er tagsüber Schmutziges erledigt hat (Elizabeth Morris/Amazon)
    Dumm nur, dass sein Vater der Geheimdienstchef ist und nur das Beste für seinen Sohn und den Weltfrieden will. Der wiederum hat nichts übrig für solche familiär-patriotischen Aufträge. Zwei Generationen, wobei der Konflikt gar nicht mehr offen ausgetragen wird. John weicht ihm schlichtweg aus:
    Vater: "John, did you get it?"
    John: "I get all of it: Money, Luxembourg, Iran, buy an election …"
    Vater: "…yeah, that's it."
    Am Pissoir werden Kripo-Ermittlungen diskutiert
    Die Serie "Patriot" zeichnet sich durch alles das aus, was sie nicht sein will: Kein klassischer Spionage-Thriller, kein sauber geskriptetes TV-Format, keine gewöhnlichen Charaktere oder Story-Höhepunkte. Stattdessen viel schwarzer Humor, viele schräge Typen und viel nebensächliche Handlung. Das ist ein Risiko! Und es geht nur teilweise auf.
    "Patriot" trifft immer dort den Nerv der Zeit, wo die Kleinigkeiten des Alltags mit den großen Zusammenhängen der Weltpolitik kollidieren. Wenn zum Beispiel beim täglichen Gespräch am Pissoir neben dem Firmenklatsch plötzlich internationale Kripo-Ermittlungen diskutiert werden.
    In solchen Momenten denkt man an die Coen-Brüder und ihre schicksalhaft-absurden Figuren, die auch hier in gnadenlosen Großaufnahmen und langen Einstellungen bis an die Schmerzgrenze gezeigt werden. Und Serienmacher Steve Conrad ist ja auch wahrlich kein Unbekannter in Hollywood, zuletzt wurde seine Drehbuch-Vorlage zu "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" ein großer Erfolg auf der Kinoleinwand.
    Johns Vater (Terry O'Quinn) ist Chef des Geheimdienstes
    Johns Vater (Terry O'Quinn) ist Chef des Geheimdienstes (Elizabeth Morris/Amazon)
    Dass das aber nicht automatisch einen großen Serienhit macht, zeigen die Schwächen von "Patriot": So mancher wiederkehrende Witz wird schnell zum langweiligen Kalauer. An den Macken der Figuren hat man sich bald sattgesehen. Und der Plot - das ist der Hauptkritikpunkt - schlängelt sich von einer in die entgegengesetzte Richtung und dann ganz woanders hin.
    Der Zynismus der Serie, verkörpert durch die Hauptfigur John, ist das vorrangige Prinzip, das alle anderen Themen umstandslos abwürgt - und das Durchhaltevermögen des Zuschauers strapaziert. Man kann das mögen, man kann es in politisch schwierigen Zeiten für die einzige Möglichkeit halten, noch über Politik zu reden.
    Mir war das zu einfach, zu unbefriedigend. Ich schaue lieber einem diabolischen Präsidenten wie in "House of Cards" oder zwielichtigen Aufstandskämpfern wie in "The Man in the High Castle" zu. Sie zeigen die Initiative, die in "Patriot" längst verloren gegangen ist. Denn das ist momentan ein falsches Zeichen: Einfach nur zusehen, wie die Dinge ihren Lauf nehmen.