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Neue Studien
Die Folgen des Cannabis-Konsums

Die Niederlande gelten als Vorreiter. Sie erlauben seit den 1970er Jahren, dass in sogenannten Coffee-Shops kleine Mengen Cannabis verkauft und konsumiert werden dürfen. Auch in Deutschland mehren sich die politischen Stimmen, die für eine Lockerung des Cannabis-Verbotes plädieren. Aber ist die Droge wirklich so harmlos, wie manche glauben?

Von Barbara Weber | 10.09.2015
    Kleine Cannabis-Pflanzen
    Ist Cannabis wirklich so harmlos wie manche glauben? (dpa / Patrick Gherdoussi)
    Zudem zeigten Studien, dass der Konsum der Droge in Ländern mit restriktiver Gesetzgebung nicht niedriger sei als in Ländern mit liberaler. Aber stimmt das? Welche Fakten sprechen für, welche gegen eine Liberalisierung?
    Inzwischen melden sich auch Wissenschaftler - jenseits der Debatten um Cannabis zur medizinischen Anwendung - vermehrt zu Wort, denn die aktuelle Studienlage lässt einige Schlussfolgerungen zu.

    "Janis Joplin brachte sich nach jahrelangem Cannabiskonsum mit 27 ums Leben."
    "Jimi Hendrix, möglicherweise verstärkt durch Cannabis, litt unter grauenhaften Depressionen und war wirklich sehr, sehr unglücklich und verzweifelt und hat dann seine eigenen Schmerzen in Alkohol ertränkt bis er gleichfalls mit 27 starb."
    "Amy Winehouse - in dem sehenswerten Film Amy wird gezeigt, wie sie mit 13 begann, regelmäßig zu kiffen. Zuletzt vernichtete sie mit absurden Mengen Alkohol wie Janis Joplin und Jimi Hendrix ihr Leben."
    Professor Rainer Matthias Holm-Hadulla ist Psychoanalytiker und Psychiater an der Universität Heidelberg. Er beschäftigt sich seit seiner Jugend mit dem Rauschmittel Cannabis und dem Phänomen Kreativität. Beides - so meint er - passe nicht zusammen.
    "In Deutschland ist Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Hauptsächlich psychoaktiv ist das Cannabinoid THC. THC beeinflusst unter anderem das Zentralnervensystem des Menschen. Es ist vorrangig für relaxierende (und) sedierende ... Wirkungen verantwortlich."
    Zitiert nach Wikipedia. Dort heißt es weiter über die Cannabis-Pflanze:
    "Die getrockneten, meist zerkleinerten harzhaltigen Blütentrauben und blütennahen, kleinen Blätter der weiblichen Pflanze werden Marihuana oder umgangssprachlich Gras genannt und nach dem Trocknen konsumiert. Das extrahierte Harz wird auch zu Haschisch oder Haschischöl weiterverarbeitet"
    Cannabis wirkt nicht immer gleich: Es kann entspannen und beruhigen. Manche Konsumenten berichten von euphorischen Gefühlen, aber auch von lähmender Trägheit, von Herzrasen, Essattacken und Wahnvorstellungen.
    Intensiver Konsum kann in die Abhängigkeit führen
    Dauerhaft eingenommen hat die Droge ihren Preis, meint Rainer Matthias Holm-Hadulla.
    Erstens: "Eindeutig nachgewiesen sind Volumenminderung in der Amygdala, das sind Hirnkerne, die für die Emotionsregulation wichtig sind, die bei Angststörungen überregt sind."
    Zweitens "wissen wir genau, dass es bei frühzeitigem und regelmäßigem Cannabis-Konsum Volumenminderung im Hippocampus gibt. Der Hippocampus ist ein Hirnareal, das für das Gedächtnis von zentraler Bedeutung ist."
    Und drittens: "Was für mich als Kreativitätsforscher besonders interessant ist, dass besonders beim Gebrauch in der Pubertät, die axonalen Faserbahnen geschädigt werden. Die axonalen Faserbahnen verbinden unterschiedliche Hirnareale miteinander und sind für kombinatorisches und auch kreativ assoziatives Denken sehr wichtig, und die werden schwer geschädigt, das hat man eindeutig nachgewiesen."
    Das Cannabinoid THC schaltet indirekt das körpereigene Belohnungssystem aus. Das wiederum kann zu Angsterkrankungen, Depressionen und womöglich Psychosen führen.
    "Seit einigen Jahren gibt es eigentlich in Fachkreisen keine Diskussionen mehr darüber, dass intensiver und hochfrequenter, das heißt häufiger Konsum von Cannabis in hohen Dosierungen natürlich auch eine Abhängigkeit zur Folge haben kann mit allen dazugehörenden Problemen", sagt der Psychologe Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Geschäftsführer des Instituts für Therapieforschung in München, der dort die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht leitet.
    Nachdem der Konsum von Cannabis über Jahre gleich geblieben ist, beobachten Fachkreise seit Kurzem eine neue Entwicklung:
    "Wir sehen auch in den Behandlungseinrichtungen, sowohl in den stationären Rehabilitationseinrichtungen als auch in Fachkliniken als auch in den Beratungsstellen seit vielen Jahren kontinuierlich ein Ansteigen der Zahl der Personen, die wegen ihrer Cannabis-Probleme um Hilfe suchen."
    Rainer Matthias Holm-Hadulla ergänzt:
    "In psychiatrischen Kliniken verzeichnen wir in den letzten ein bis zwei Jahren eine sprunghafte Zunahme von Cannabis-Psychosen, die aber auch oft verschärft werden durch den gleichzeitigen Amphetamin-Missbrauch. Das ist einfach ein Zeichen einer öffentlichen Stimmung, die so wie in den 60er-Jahren, viel drogen-affiner wird. Ich glaube, die Unfälle sind einfach vergessen und die Katastrophen."
    Werden Rauschmittel - Kombinationen wie Cannabis und Amphetamine oder Cannabis und Alkohol zusammen konsumiert, lässt sich schwer feststellen, welche Droge letztendlich zu einer Psychose geführt hat.
    Cannabis-Konsum nimmt wieder zu
    Was sich hingegen feststellen lässt, ist, dass nach jahrelanger Stagnation seit zwei Jahren wieder mehr Menschen Cannabis konsumieren. Zum Status quo - Tim Pfeiffer-Gerschel:
    "Cannabis wird in der Altersgruppe zwischen 12 und 64 Jahren insgesamt etwa von fünf Prozent der Allgemeinbevölkerung konsumiert. Diese Werte sind zum Teil deutlich höher, wenn wir die jungen Erwachsenen so etwa zwischen 18 und 25 Jahren betrachten. Insgesamt kann man sagen, dass etwa ein Viertel bis zu einem Drittel der Erwachsenen bereits einmal im Leben Erfahrung mit Cannabis gemacht haben."
    Nach dem Europäischen Drogenbericht von 2015 zählen nur etwa ein Prozent, also einer von hundert Erwachsenen, zu den täglichen Konsumenten. Probleme mit dem Rauschmittel entwickeln häufig diejenigen, die früh mit dem Cannabis-Konsum angefangen haben.
    Rainer Matthias Holm-Hadulla hat zudem beobachtet, "dass natürlich Menschen mit geringerem sozialen Status, die weniger Möglichkeiten haben zum Beispiel in der Pubertät ihre Erfahrungen zu machen durch gute Beziehungen, gute Schulen, Musik, Tanz, Kunst, Sport auch, dass die, die da weniger Zugang haben, dass die leichter dann auch ihre Stimmungen mit Cannabis regulieren oder auch schädigen. Und das ist, glaube ich, ein Teufelskreis, das wirkt zusammen. Das ist eine Interaktion. Und Cannabis selbst ist ja, und das sagen die Studien eindeutig, auch mit sozialem Abstieg verbunden. Und ich glaube, das wirkt zusammen, und tragisch ist es allemal."
    Migrationshintergrund kann schützen
    Andererseits haben Studien in Deutschland gezeigt, dass "ein Migrationshintergrund sich in verschiedenen Erhebungen durchaus als schützender Faktor erwiesen hat, dass die Anteile der Cannabis-Konsumenten unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund eher geringer sind als bei ihren deutschen Gleichaltrigen", so der Psychologe Tim Pfeiffer-Gerschel.
    Innerhalb der Europäischen Union wird der Umgang mit Cannabis unterschiedlich gehandhabt, wie das Beispiel Deutschland und Niederlande zeigt:
    "In den Niederlanden gibt es die Möglichkeit, den Cannabis-Konsum zu dulden seitens der Polizei, also gar nicht erst eine Strafverfolgung einzuleiten, wohingegen in Deutschland das Bekanntwerden des Konsums, der den Besitz voraussetzt, bereits die Einleitung einer Straftat oder einer Anzeige zur Folge hat. Das ist vielleicht so der größte Unterschied. Auch wenn wir die Möglichkeit haben, dann auf der nächsten Ebene, das heißt der Ebene der Staatsanwaltschaften, das ist dann das, was immer so durch die Diskussionen geistert, das Verfahren dann einzustellen. Die Polizei bei uns ist verpflichtet, zunächst einmal eine Anzeige aufzunehmen, was im weiteren Verlauf dann geschieht, ist Sache der Staatsanwaltschaft" und wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt, sagt Dr. Bernd Werse, Soziologe an der Universität Frankfurt am Main:
    "De facto ist das zwar schon häufig so, dass Verfahren eingestellt werden, aber da gibt es bei Weitem keine Rechtssicherheit und große Unterschiede in den Ländern."
    Illegaler Drogenkonsum lässt sich nicht verhindern
    Dr. Bernd Werse gehört zu einer Gruppe von Wissenschaftlern und Institutionen, die den Alternativen Drogenbericht herausgeben, der sich kritisch mit der aktuellen Drogenpolitik hierzulande auseinandersetzt.
    Die Ziele der Drogenpolitik hält er für gescheitert.
    "Zunächst mal ist dabei eine interessante Frage: Was will Drogenpolitik eigentlich? Und die offizielle Linie der deutschen Drogenpolitik ist immer noch die, dass der Konsum der Drogen, die derzeit illegal sind, verhindert werden soll, und das ist eigentlich eine Sache, die prinzipiell nicht möglich ist, das hat sich über Jahrzehnte hinweg gezeigt, dass man das einfach nicht verhindern kann."
    Die restriktive Drogenpolitik verfolgt eigentlich das Ziel, dass weniger Bürger Drogen konsumieren. Aber trifft das zu? Eine Antwort gibt der Vergleich mit den Niederlanden. Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel:
    "Die Konsumraten in den Niederlanden und in Deutschland sind unterschiedlich, aber nicht in einer Größenordnung, dass man sagen könnte, dass sie eins zu eins mit Unterschieden im Umgang zu setzen wären. Das heißt, die Konsumraten in den Niederlanden sind höher unter Erwachsenen, auch schon unter Schülern. Das sagt aber nichts darüber aus, inwieweit Cannabisbezogene Probleme in der Bevölkerung bestehen. Was diese Punkte angeht, scheint es keine relevanten Unterschiede zu geben. Das Ausmaß der Personen, die gesundheitliche und strafrechtliche Probleme aufgrund des Konsums von Cannabis entwickeln, scheint sich in den Niederlanden nicht zu unterscheiden von dem Anteil derjenigen in Deutschland."
    Die Niederländer führten schon vor Jahrzehnten verschiedene Argumente an, warum sie den Gebrauch der "weichen" Droge Cannabis nicht mehr strafrechtlich verfolgen wollten.
    Hypothese des Übergangs von "weichen" zu "harten" Drogen ohne Beleg
    Ein Argument allerdings dominierte die Diskussion und wurde für die Entscheidung ausschlaggebend:
    "Das war das wichtigste Argument, dass man gesagt hat, man hat einen Markt für den mehr oder minder geduldeten Erwerb für Cannabis, der staatlich reguliert ist oder geduldet wird, und man hat davon deutlich getrennt einen Markt, der von harten Drogen, Heroin, Kokain, Crystal Meth dominiert wird. Es ist tatsächlich so, dass sich im Umfeld der Coffee-Shops Szenen in den Niederlanden durchaus auch diejenigen tummeln, die andere Substanzen im Angebot haben, sodass man nicht in letzter Konsequenz sagen kann, dass diese Trennung der Märkte komplett gelungen ist. Es gibt genug Beispiele, wo das problematisch ist, wo bekannt ist, geh 200 Meter weiter und bekomm dort auch alle anderen Substanzen, die im Coffee-Shop nicht zu bekommen sind."
    Ob das dann immer auch gemacht wird, bleibt zweifelhaft. Und noch ein Argument beruht eher auf Vorurteilen als auf Belegen, meint der Psychologe:
    "Es ist zweifelsohne nicht so, dass jeder Cannabis-Probierer auch in Deutschland automatisch zu einem Cannabis-Abhängigen wird. Ein deutlicher Beleg dafür sind die Veränderungen der Prävalenzen, also der Verbreitungen des Cannabis-Konsums in der Allgemeinbevölkerung, die sich deutlich verändert haben, während der gesamten Zeit ist die Zahl derjenigen, die gesundheitliche Probleme entwickelt haben, relativ stabil geblieben, sodass die Hypothese des klassischen Übergangs damit nicht zu belegen wäre."
    "Probierkonsum" ohne Sucht
    Seine Schlussfolgerung:
    "Wenn wir beobachten, dass etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung, auch in Deutschland, in ganz Europa im Durchschnitt, Erfahrungen mit der Substanz Cannabis gemacht hat, dann müssen wir uns schon fragen, ob denn die gesetzlichen Rahmenbedingungen tatsächlich effektiv diejenigen, die diese Substanz probieren wollen, von deren Konsum nachhaltig abhält. Viel interessanter scheint ja die Frage zu sein, dass die Mehrheit der Konsumenten das über kurz oder lang auch wieder einstellt. Wir reden dann von einem passageren Konsum, von einem Probierkonsum, und müssen dann vielleicht auch die Tatsache anerkennen, dass auch die Mehrheit, die Cannabis einmal ausprobiert haben, keineswegs abhängig davon werden."
    Die Datenlage lässt für die Herausgeber des Alternativen Drogenberichtes nur eine Schlussfolgerung zu: die Legalisierung des Cannabiskonsums.
    Was die Freigabe anbelangt, macht Dr. Bernd Werse allerdings eine Einschränkung:
    "Auf keinen Fall sollte die so aussehen wie bei Alkohol und Tabak aktuell mit praktisch unbegrenzter Verfügbarkeit, mit Werbung, zum Teil auch Fernsehwerbung immer noch für Alkohol, niedrigen Preisen etc., sondern es soll eine begrenzte Anzahl an Verkaufsstellen geben."
    Das Monopol der Herstellung von Cannabis - abgesehen von kleinen Mengen zum Eigenbedarf - sollte staatlich streng reguliert werden. Oberste Priorität habe zudem der Jugendschutz.
    Professor Rainer Matthias Holm-Hadulla geht noch einen Schritt weiter und plädiert für einen Verkauf chemisch reiner Cannabis-Produkte ausschließlich über die Apotheke.
    "Das hätte noch einen anderen Vorteil: Wenn man das nämlich mit Medikamenten gleichsetzen würde, wäre auch gewährleistet, dass die Hersteller die Haftung übernehmen, wenn sie über die Risiken des Gebrauchs nicht angemessen aufklären."
    Was den Konsum von Cannabis anbelangt, sollte der auf keinen Fall öffentlich sein, meint der Soziologe Bernd Werse:
    "Allerdings sollte es ... auch Möglichkeiten geben, diese Drogen zu konsumieren, nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, sondern in entsprechenden Konsumräumen, eher so wie in Holland, in den Coffee-Shops."
    Aus den Diskussionen für oder gegen die Freigabe des Cannabis-Konsums hält sich der Psychologe Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel als Geschäftsführer des Instituts für Therapieforschung heraus. Das Münchner Institut finanziert sich zwar aus Mitteln der Europäischen Union und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, ist aber nicht weisungsgebunden und betreibt unabhängig von den Geldgebern seine Forschung. Deren Ergebnisse fließen dann in die nationalen Drogenberichte und die der Europäischen Union.
    "Die europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat einfach mal optisch verschiedene gesetzliche Veränderungen in unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten gegenübergestellt mit den Prävalenzen, mit der Verbreitung des Konsums in der Bevölkerung, und aus diesem, muss man schon fast sagen, sehr chaotischen Bild, was diese Grafik zeigt, lässt sich kein einhelliger Trend abzeichnen, das heißt, eine Verschärfung der Gesetzgebung oder eine Liberalisierung, die Strafbewährung oder die Duldung scheinen keinen systematischen Einfluss auf die Verbreitung des Konsums in der Bevölkerung zu haben."