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Neue Theaterfarce

Jürgen Gosch hat mit Corinna Harfouch und Ulrich Matthes den Ehekrieg des Jahrhunderts, "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" von Edward Albee, inszeniert. Kurz zuvor waren die beiden als Ehepaar Goebbels in "Der Untergang" zu sehen. Jetzt stehen die beiden wieder zusammen auf der Bühne, als Ehepaar, im neuen Stück von Yasmina Reza, "Im Schlitten Arthur Schopenhauers", das in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin uraufgeführt wurde. Regie hatte wieder Jürgen Gosch.

Von Karin Fischer | 01.09.2006
    Yasmina Reza verlangt absolute Texttreue und war sehr verärgert, als Jürgen Gosch bei ihrem "Spanischen Stück" jede Menge improvisieren ließ. Sie verlangt Bühnen mit Qualitätssiegel und erstklassige Schauspieler, was sehr verständlich ist: Ihre Stücke "Kunst" oder "Drei mal Leben" sind kleine Dialog-Feuerwerke, die über den Abgründen von Freundschaft, Liebe oder Ehe abgebrannt werden. Das ist ähnlich wie bei der "Pyronale", die heute auf dem Berliner Maifeld startet: Hat man dafür nicht das richtige Personal, verpufft alles - in schmierigem Boulevard. Wenn die Texte aber richtig zünden, sind es kleine funkelnde Kometen mit schönen Gedankenbögen, weltweise und voller Humor.

    "Im Schlitten Arthur Schopenhauers" ist bei weitem der schwärzeste Text der Erfolgsdramatikerin. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb er wenig leuchtet. Er ist auch eigentlich kein Stück: Die Monologe des Philosophieprofessors, seiner Frau, deren Psychiaterin und eines Freundes könnten genauso gut eins zu eins im Radio gesendet werden. Die zweite Person auf der Bühne hört jeweils stumm und häufig auch reglos zu. Es geht auf den ersten Blick um den alltäglichen Ennui; um Sex oder Liebe; um Fortschrittsglauben oder Vergänglichkeitswahn, verpackt in Erinnerungen, kleinen Erzählungen, in Erregungen, in Abrechnungen. Das kann man als intensives psychologisches Kammerspiel anlegen; Jürgen Gosch hat eher die Typen und ihre Haltungen herausgemeißelt.

    Als Bühnenbild für diesen knapp zweistündigen Abend ohne Handlung hat Johannes Schütz eine Art größerer Gummizelle entworfen, grau, glatt, nach fünf Seiten geschlossen. Ein Polstersessel und ein Stuhl sind das einzige Mobiliar. "Die Schotten dicht", heißt es da auch für Nadine Chipman, Ehefrau des Philosophie-Professors, die Corinna Harfouch als atemlose Hysterikern unter Dauerdruck überzeichnet:

    "Anfangs war mein Mann gegen Medikamente, heute stopft er sich damit voll. Keine Konsequenz in seinem Verhalten, keine Haltung, jahrelang hatten wir Spinoza, Spinoza! peng! peng! peng! heute alle möglichen Überspanntheiten, Drogen und schlaffe Hand. Der Wahnsinn entschuldigt nicht alles."

    Ernst Stötzner ist Serge Othon Weil, der Freund des Hauses. Mit leicht näselndem Harald-Schmidt-Ton verkörpert er die Chuzpe des optimistischen Machers, der sich selbst aber nicht allzu ernst nimmt:

    "Kannst du mir sagen, warum es kein landesweites Fest gegeben hat, als die letzte Zeche geschlossen wurde? Das ist doch großartig, in einem Land zu leben, das Kohle unter den Füßen hat und es sich leisten kann, da keine Menschen mehr runterzuschicken, damit sie wie Ratten durch die Stollen kriechen und mit dem Presslufthammer auf dieses widerliche Zeug losgehen. Die Welt wird besser, ob wir das wollen oder nicht."

    Einzig Ulrich Matthes ist als Psychologieprofessor im Bademantel, der über die Sinnlosigkeit allen Tuns ins Depression versinkt ist mal wieder große Klasse, das Zentrum des Stücks und bei allem intensivst bei seiner Rolle:

    "Ich sitze in einem Schlitten, der in den Tod fährt, Frau Doktor. Im Schlitten meines Freundes Arthur Schopenhauer. Normale Menschen von draußen ertrage ich nicht mehr. Normale Menschen von draußen, die an die Zukunft glauben, wie soll man die aushalten? Alles ist zerfallen."

    Anfangs scheint die Bühnenwelt aufgeteilt in Hysteriker einerseits, Stoiker andererseits, später erkennt man ausgefeiltere philosophische Konzepte. Die Psychiaterin, Garbriele Heinz, die lange nur zugehört hat, erscheint als eine legitime Erbin der Gedankenwelt Friedrich Nietzsches. Sie fühlt "legitime Gewalt" in sich aufsteigen, nachdem ein armes Mütterchen ihren "kriegerischen Schritt" bremst.

    "Ich habe schon immer gewusst, schon von den ersten Tagen meines Studiums an, immer, dass man sich gegen das Mitgefühl wappnen muss, ich habe es von Anfang an gewusst, man muss sich gegen jede Neigung wappnen."

    Am Ende eines in diesem Fall zu holzschnittartigen Abends steht die Erkenntnis, dass Philosophie niemanden retten und niemanden vor dem Leben bewahren kann. Sie hat aber ein paar anregende Modelle parat - der Andere als Spiegel meiner selbst zum Beispiel -, die so lebensnah selten in einem Stück vorgeführt wurden.