Freitag, 19. April 2024

Archiv

Neue Tiefenbohrung
Vorbereiten auf Islands Gluthitze

In kaum einem anderen Land wird so viel Erdwärme gewonnen wie in Island. Doch auf der Vulkaninsel kann nur ein bis zwei Kilometer tief gebohrt werden, weil sich die dortigen Temperaturen von 200 °C kaum noch technisch handhaben lassen. Ingenieure wollen schon lange in tiefere Gefilde vordringen. Am Geoforschungszentrum in Potsdam bereiten sie sich darauf vor.

Von Karl Urban | 27.01.2017
    Der Vulkan Grimsvötn in Island spuckt Asche in den Himmel.
    Im Vulkangestein Islands brodelt es. (dpa / picture alliance)
    Im Sommer 2009 bohren Ingenieure tief in das Gestein eines aktiven Vulkans auf Island - und scheitern auf spektakuläre Weise. Sie hatten vor, überkritisches Wasser zu erbohren - also besonders heißes Wasser, das unter sehr hohem Druck steht - um daraus deutlich mehr Strom zu gewinnen als die bisherigen Erdwärmekraftwerke Islands. Doch der Bohrmeißel trifft stattdessen auf flüssige Magma:
    "Man kann ja in Magma auch nicht bohren. Sie müssen sich vorstellen, das ist so eine zähflüssige, superheiße Angelegenheit. In der bleibt ein Bohrmeißel einfach hängen."
    Und das schon in einer Tiefe von zwei Kilometern - deutlich flacher als die anvisierten fünf Kilometer.
    "Was für uns überraschend war und für die Isländer war, dass man sich so mit der Tiefe verschätzt hat."
    Ein Forscherteam um David Bruhn entwickelte nach dem Fehlschlag in Island neue Methoden, das heiße Gestein vorab zu untersuchen - am Deutschen Geoforschungszentrum GfZ in Potsdam.
    "Wir simulieren die Auflast"
    Bruhns Kollege Siegfried Raab führt in eine Experimentierhalle des GfZ, groß wie eine Turnhalle. Hier stellen die Forscher die Bedingungen in der Tiefe Islands nach. Eine Probe aus schwarzem isländischen Vulkangestein, groß wie ein Weinkorken, wird in einem röhrenförmigen Druckzylinder zusammengedrückt und gleichzeitig von heißem Wasser durchströmt.
    "Wir simulieren praktisch die Auflast. Das Gesteinspaket, das in der Natur als Auflast auf die tiefer liegenden Gesteine wirkt."
    Der Druck von fünf Kilometern Gestein: ungefähr das 140-fache des Luftdrucks an der Erdoberfläche.
    "Und das zweite, davon getrennte System ist das Wassersystem, das Fluidsystem."
    Es ist das fast 400 °C warme Wasser, auf das die Forscher heiß sind. Denn das Wasser wird überkritisch, verhält sich also eher wie Dampf als eine Flüssigkeit und trägt gleichzeitig mehr Energie. Diese Bedingungen zu simulieren, war selbst in diesem spezialisierten Hochdrucklabor herausfordernd - denn der enorme Druck führte an die Grenzen der hiesigen Labortechnik.
    "Die Probe ist von außen einem Gasdruck ausgesetzt: Gas deshalb, weil leichter zu handhabende Druckübertragungsmittel wie Öle nicht mehr stabil sind bei den Bedingungen. Und das erhöht den experimentellen Aufwand dann doch enorm."
    Überraschungen im Bohrloch vermeiden
    Wenige Gehminuten entfernt, macht sich in seinem Büro auch Jan Henniges Gedanken über die neue Bohrung in einem alten Lavafeld im Südwesten Islands. Der Geophysiker würde die Hitze in der Tiefe möglichst zuverlässig messen, um zukünftig Überraschungen im Bohrloch zu vermeiden.
    "In einem Düsentriebwerk hat man ja auch sehr hohe Temperaturen. Aber da ist vielleicht nur die Sensorspitze dieser Temperatur ausgesetzt und eben nicht das ganze Bauteil."
    Es ist deshalb auch kein gewöhnlicher elektronischer Temperatursensor, der im Bohrloch installiert werden soll, sondern es sind hitzebeständige Glasfasern.
    "Die sind ungefähr so dünn wie ein Haar. Und da wird ein Lichtimpuls durchgeschickt und anhand verschiedener Wechselwirkungen, je nachdem welchen physikalischen Effekt man untersuchen will, kann man aus dem rückgestreuten Licht von der Faser dann unterschiedliche Dinge berechnen, wie zum Beispiel die Temperatur."
    Die Erwartungen sind immens
    Die Bohrung in Island begann schließlich im August 2016 - und steht heute kurz vor ihrer Zieltiefe von 5.000 Metern. Die Erwartungen sind immens - der massive Ausbau der isländischen Energieversorgung könnte das Land über ein geplantes Gleichstromkabel zum Energieexporteur machen - oder noch mehr Schwerindustrie auf die Insel ziehen. Ob sich mit dem überkritischen Wasser im neuen Bohrloch wirklich die gewonnene Erdwärme vervielfachen lässt, müssen in den nächsten Monaten erst umfangreiche Versuche zeigen.