Dienstag, 19. März 2024

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Neue TISA-Leaks
Freibrief für unbegrenztes Fracking?

Wieder wurden Dokumente der TISA-Verhandlungen geleakt, diesmal aus dem Energiesektor. Kritiker bezeichnen die Dokumente ironisch als "Free Fracking Agreement", als Freihandelsvereinbarung für unbegrenztes Fracking. Jule Reimer erklärt, was es damit auf sich hat.

Jule Reimer im Gespräch mit Birgid Becker | 03.12.2015
    Ein Fracking-Bohrturm in der Abenddämmerung.
    Fracking-Bohrturm nahe Tunkhannoclk, Pennsylvania, USA (dpa/picture alliance/Jim Lo Scalzo)
    Kritiker der TISA-Verhandlungen haben die geleakten Dokumente ironisch als "Free Fracking Agreement" bezeichnet, frei übersetzt als Freihandelsvereinbarung für unbegrenztes Fracking. Warum?
    "Es geht in den Texten um den Marktzugang für ausländische Energiedienstleister, Investoren, für Ölförderunternehmen ebenso wie Windpark- oder Solaranlagenbetreiber, und das umfassend, also um die Suche nach Energierohstoffen, ihre Förderung sowie die Umwandlung oder Verteilung von Energie. Im Zentrum eines Freihandelsabkommens steht immer der Gleichbehandlungsgrundsatz, der gilt erstens für Ausländer und Inländer. Werden zum Beispiel in einem Sektor staatliche Subventionen gezahlt, dann haben alle in einem Land niedergelassene Investoren Anspruch darauf – damit es keine Wettbewerbsverzerrung gibt. Das macht wirtschaftlich Sinn, insbesondere um Monopole aufzubrechen, politisch kann man in manchen Fällen drüber streiten. Aber – und das macht Kritikern richtig Sorgen – der Vertragstext beharrt zweitens auf 'technologischer Neutralität' im Energiesektor. Will heißen: Die klimaschädliche Braunkohle muss im Zweifelfall genau behandelt werden wie Sonnen- und Windenergie."
    "Technologische Neutralität" im Energiesektor könnte die Entscheidungsfreiheit der Regierungen beschränken
    Welche praktischen Folgen hat das?
    "Staaten, die den Text unterschreiben, verpflichten sich auch, keine Exportbeschränkungen zu erlassen. Fraglich ist, ob dann eine Regierung noch sagen kann: 'Nein, bei uns bleibt das klimaschädliche Erdöl in der Erde.' Der Vertragstext spricht den Regierungen zwar das Recht zu, selbst zu entscheiden, in welchen Regionen Energiedienstleister aktiv werden dürfen, welche Umweltauflagen sie einhalten müssen etc. Aber dann gibt es an anderer Stelle wiederum Formulierungen, die diese Rechte in Frage stellen könnten. Kritiker befürchten, dass Gleichbehandlung am Ende bedeutet: Wenn in einer Region ein Windpark entsteht, dann darf dort auch gefrackt oder nach Öl gebohrt werden. Denn innerhalb der Welthandelsorganisation ist nicht definiert, ob sich eine Regierung aus Klimaschutzgründen solchen Vereinbarungen entziehen darf."
    Die TISA-Verhandlungsparteien – dazu gehören u.a. die EU, die USA mit Obama und Kanadas neue Regierung – die setzen sich gleichzeitig in Paris für ein ambitioniertes, weltweites Klimaabkommen ein. Wie geht das mit den TISA-Texten überein?
    "Die, die Paris den Klimaschutz verhandeln, sind nicht die gleichen, die in Genf die Liberalisierung des Energiesektors vorantreiben. Die Handelsministerien bzw. die Generaldirektion Handel der EU-Kommission sind bislang auch nicht dafür bekannt, dass sie sich sehr für Klimaschutz interessieren. Anders wäre übrigens die Ausgangslage, wenn jetzt auf dem UN-Klimagipfel in Paris eine weltweite CO2-Steuer vereinbart würde, die fossile Energien deutlich verteuert. Aber das ist noch Zukunftsmusik."