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Bologna-Reform
"Vergleichbarkeit der Universitäten ist geschaffen worden"

20 Jahre nach Beginn der Bologna-Reform gebe es große Fortschritte im europäischen Hochschulraum, sagte Ex-Bundesbildungsministerin und Miterfinderin Edelgard Bulmahn im Dlf. Man habe sich europaweit auf Qualitätsmaßstäbe und auf Verfahren der Evaluierung und Bewertung verständigt - die Voraussetzung für eine Vergleichbarkeit.

Edelgard Bulmahn im Gespräch mit Manfred Götzke | 26.04.2019
An der Universität in Leipzig sitzen Lehramts-Studenten des ersten Semesters in einer Vorlesung.
"Orientierungsphase, Teilzeitstudium und lebenslanges Lernen, das sind die drei Aufgaben, die jetzt vor uns stehen", sagte Edelgard Bulmahn, Miterfinderin der Bologna-Reform, im Dlf (dpa/Waltraud Grubitzsch)
Manfred Götzke: Kaum zu glauben, aber Bachelor und Master werden in Deutschland dieses Jahr 20: Im Juni 1999 wurde in Bologna die Bologna-Reform gestartet. Die große Vision: Ein einheitlicher europäischer Hochschulraum mit vergleichbaren Abschlüssen. Damit Studis leichter von der Uni Bremen zur Uni Barcelona wechseln können – damit sie schneller und gezielter studieren – und nicht so häufig abbrechen. Was wurde davon so alles erreicht, was nicht?
Eine der Miterfinderinnen der Bologna-Reform war damals Edelgard Bulmahn, damals Bundesbildungsministerin. Ein Ziel der Reform war, einen europäischen Hochschulraum zu schaffen – ist studieren heute europäischer?
Edelgard Bulmahn: Also einen europäischen Hochschulraum, wo die Universitäten, die Hochschulen auf der einen Seite wirklich eine starke Kraft darstellen, auch für die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss nehmen können, Einfluss nehmen sollen und ein ganz wichtiger Ort für Ausbildungen der jungen Menschen sind. Das war uns wichtig.
Wenn man das erreichen will und wenn man dann auch noch erreichen will, dass es für Studierende wie auch diejenigen, die an den Universitäten arbeiten, möglich ist, wirklich auch sich frei zu bewegen, dass wir einen größeren Austausch erreichen, dass junge Leute auch Erfahrungen machen können in anderen europäischen Ländern, dann muss man Vergleichbarkeit herstellen.
Das ist aber nicht das Gleiche wie zu sagen, einen Einheitsbrei herzustellen. Das wollten wir nicht, und deshalb steht auch immer in der Bologna-Erklärung, wir wollen eine vergleichbare Qualität, aber wir wollen nicht sozusagen die identischen Studiengänge an jeder Hochschule, aber die Qualität soll vergleichbar sein.
Götzke: Es ist ja kein Einheitsbrei entstanden, sondern eher das Gegenteil. Also in Deutschland haben wir jetzt mehrere hundert unterschiedliche Studiengänge. Da gibt es verschiedene, kleinteilige Dinge, die kaum vergleichbar sind. Also das Gegenteil dessen, was Sie eigentlich wollten, ist eingetreten.
Bulmahn: Da würde ich Ihnen widersprechen. Das hat die Konferenz … Wir haben ja gerade … zwei Tage diskutieren wir hier über das, und zwar wirklich auch mit Vertretern aus unterschiedlichen, verschiedenen europäischen Ländern. Das Ergebnis dieser Konferenz zeigt einmal sehr deutlich, dass wir sehr wohl große Fortschritte gemacht haben in der Vergleichbarkeit, weil wir uns auf Qualitätsmaßstäbe verständigt hatten und weil wir uns auch auf Verfahren der Evaluierung und Bewertung verständigt haben innerhalb Europas. Das ist ja die Voraussetzung, dass wir das überhaupt vergleichen können.
Die meisten Studienabbrüche finden zu Studienbeginn statt
Götzke: Frau Bulmahn, ich möchte noch auf ein weiteres Ziel der Bologna-Reform, des Bologna-Prozesses eingehen. Es sollte ja auch erreicht werden, dass es weniger Studienabbrüche gibt. Die sind ja kaum verringert worden. Warum?
Bulmahn: Doch, es sind die Studienabbrüche verringert worden. Wenn Sie sich die Statistiken angucken von HIS aus den 90er-Jahren, sehen Sie, dass sie sogar erheblich verringert worden ist. Für mich ist aber noch ein anderer Punkt entscheidend: Wenn Sie in die Statistiken der 90er-Jahre oder auch der 80er-Jahre schauen, dann werden Sie feststellen, dass viele Studierende ihr Studium im sechsten, siebten oder achten Semester abgebrochen haben, also erst nach einer langen Studiendauer schon. Das hat sich völlig verändert.
Die meisten Studienabbrecher, die weitaus meisten Studienabbrüche finden jetzt im ersten oder zweiten Semester statt. Das hat eine ganz andere Aussage damit verbunden, weil wir natürlich Studierenden auch zugestehen müssen, dass sie sich manchmal in ihrer Studienwahl irren, dass sie feststellen, dass dieses Studium für sie nicht geeignet ist, dass sie entweder ganz aufhören oder ein anderes Fach wechseln, und das hat nicht nur mit Schwierigkeit zu tun, sondern natürlich auch mit Neigungen, mit Fähigkeiten und Angeboten.
Deshalb ist das der entscheidende Veränderungsprozess, der stattgefunden hat, dass wenn es einen Studienabbruch oder einen Studienwechsel gibt, was ja ganz häufig auch der Fall ist, dass das dann wesentlich früher, wie gesagt, am Anfang des Studiums beginnt und stattfindet und nicht faktisch am Ende des Studiums stattfindet. Das ist ein wirklich richtig großer Erfolg, und den darf man auch nicht kleinreden.
Götzke: Wenn wir jetzt noch mal alles zusammen bilanzieren, also nach 20 Jahren, also ist die Bologna-Reform ein Erfolg, oder würden Sie sogar sagen, ist alles gut gelaufen, oder gibt es doch etwas, was Sie kritisieren würden?
Bulmahn: Ich würde die Frage anders stellen. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten den Bologna-Prozess nicht begonnen. Wir hätten heute trotzdem 40 Prozent eines Jahrgangs, die studieren, wir hätten trotzdem die Notwendigkeit, uns der Vergleichbarkeit zu stellen, weil natürlich auch die internationale Vergleichbarkeit eingefordert wird, weil aber auch Unternehmen heute nicht mehr nur im eigenen Land schauen, sondern auch in anderen Ländern, und wenn die Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, haben die Menschen, die in dem jeweiligen Land ausgebildet werden, einfach erst mal dann nicht von vornherein die gleichen Chancen.
Jetzt ist die Vergleichbarkeit geschaffen worden und wird sicherlich auch immer wieder nachjustiert werden müssen, keine Frage. Oder stellen Sie sich auch die Frage, was wäre, wenn 40 Prozent eines Jahrgangs studieren und die Studienabbrecherquote, auch wenn sie zum Beispiel bei 20 Prozent liegen sollte, dann erst die Studienabbrecher diese Entscheidung erst im siebten oder achten Semester treffen. Glauben Sie wirklich, dass dann die Situation an den Hochschulen besser wäre? Ich glaube das nicht.
An den Hochschulen sollte es eine Orientierungsphase geben
Götzke: Alles gut gelaufen?
Bulmahn: Nein, nicht alles gut gelaufen. Natürlich hat man auch am Anfang Fehler gemacht. Am Anfang war es so, dass teilweise zu viel Kleinteiligkeit, dass wirklich bei den Studiengängen gemacht worden ist oder dass teilweise einfach die Namen verändert worden sind, statt zum Beispiel Magister dann teilweise sogar ein Bachelor dahingesetzt worden ist oder ein Master. Das ist aber inzwischen alles korrigiert worden. Das ist nicht mehr das Problem. Wir haben heute nicht mehr die Probleme der ersten Jahre. Wir haben heute immer noch ein Problem, dass wir eigentlich viel stärker an den Hochschulen eine Orientierungsphase schaffen müssen, also sozusagen ein nulltes Semester. Das wäre dann das erste Semester, aber wo Studierende sich besser orientieren können, weil nicht jeder eine Hochschule von innen schon gut kennt.
Wir haben zweitens das Problem, dass unsere Hochschulen immer noch nicht so organisiert sind, dass sie tatsächlich auch Teilzeitstudiengänge anbieten können, und wir haben drittens noch ein Problem, dass das lebenslange Lernen, das ja immer stärker an Bedeutung gewinnt, noch nicht als Aufgabe von den Hochschulen so wahrgenommen wird wie das sein muss. Also die Hochschulen sind noch nicht so praktisch aufgestellt und haben sich dieser Aufgabe noch nicht mit dem nötigen Aufwand und mit der nötigen Kraft auch gewidmet. Das hängt auch damit zusammen, dass sie im Augenblick noch keine Finanzierung dafür haben.
Aber diese drei Punkte, also Orientierungsphase, wirklich gerade auch Teilzeitstudium und lebenslanges Lernen, das sind die drei Aufgaben, die jetzt vor uns stehen, die wir dringend bewältigen müssen, die im Bologna-Prozess im Übrigen angedacht waren und auch als Aufgabe beschrieben worden sind, die aber noch nicht eingelöst worden sind. Da gibt es Probleme, und darauf sollten wir uns jetzt auch konzentrieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.