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Neue Werke über Trakl
Zwischen Leben und Tod, Rausch und Nüchternheit

Vor 100 Jahren starb der Dichter Georg Trakl – im Alter von 27 Jahren. Wer mag er gewesen sein, der rauschsüchtige Apotheker, dem ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Schwester nachgesagt wird. Eine Biografie-Neuauflage sowie eine Anthologie suchen nach Antworten.

Von Matthias Kußmann | 03.11.2014
    Die Nahaufnahmen einer Schreibfeder.
    Der Klang, die Bilder und Farben von Trakls oft rätselhaften Gedichten sind unverwechselbar. (picture-alliance/ dpa / Hans Wiedl)
    1913 erscheint Georg Trakls einziges Buch zu Lebzeiten, es heißt einfach: "Gedichte". Den Band "Sebastian im Traum" stellt er noch selbst zusammen, doch er kommt erst 1915 heraus, ein Jahr nach Trakls Tod. Sein Werk ist damals kaum bekannt. Dennoch gibt es Zeitgenossen, die erkennen, dass seine Gedichte etwas völlig Neues sind. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein:
    "Ich verstehe sie nicht; aber ihr Ton beglückt mich. Es ist der Ton der wahrhaft genialen Menschen."
    Der Klang, die Bilder und Farben von Trakls oft rätselhaften Gedichten sind unverwechselbar. In wenigen Jahren hat er eine eigene lyrische Welt geschaffen. Seine Ge¬dichte, vor allem die späten, reihen unverbundene Bilder aneinander, in denen sich Räume und Zeiten, Leben und Tod mischen. Das wirkt aber nie beliebig, sondern seltsam zwin¬gend. Auch wenn man das Gedicht nicht "versteht", denkt man sofort: "Genau so ist es." Rainer Maria Rilke schreibt nach Trakls Tod:
    "Man begreift bald, dass die Bedingungen dieses Auftönens und Hinklingens unwiederbringlich einzige waren, wie die Umstände, aus denen eben ein Traum kommen mag. Ich denke mir, dass selbst der Nahstehende immer noch wie an Scheiben gepresst diese Aussichten und Einblicke erfährt, als ein Ausgeschlossener. Denn Trakls Erleben geht wie in Spiegelbildern und füllt seinen ganzen Raum, der unbetretbar ist, wie der Raum im Spiegel. Wer mag er gewesen sein?"
    Erst nach 1945 als Jahrhundertautor entdeckt
    Wer mag er gewesen sein – die Frage ist bis heute schwer zu beantworten. Als Trakl 1914 starb, war er erst 27, es gibt nicht viele Dokumente über sein Leben. Als Jahrhundertautor wurde er erst nach 1945 entdeckt, als man sich mit dem Expressionismus zu beschäftigen begann. 1965 kam eine Monografie von Otto Basil heraus, die damals Maßstäbe setzte, heute noch lieferbar, aber veraltet ist. Basil hatte gut recherchiert, aber oft auch Trakls Dichtung mit dessen Leben in eins gesetzt. Erst 1994 erschien die erste große und bis heute gültige Biografie von Hans Weichselbaum – überaus faktenreich, ohne jede Speku-lation. Weichselbaum leitet die Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte Salzburg:
    "Hier sind die Räume der ehemaligen Wohnung der Familie Trakl, sie hat hier von 1883 bis 93 das Zuhause gehabt, nach drei weiteren Orten in der Stadt Salzburg, nach der Übersiedlung aus Wiener Neustadt. In dieser Wohnung ist Georg 1887 am 3. Februar geboren worden."
    Jetzt ist eine Neuausgabe der Biografie erschienen, die Forschungsergebnisse der letzten 20 Jahre mit einbezieht. Georg Trakl wächst als Kind eines wohlhabenden Eisenwarenhändlers in Salzburg auf. Schon früh findet er sich im Leben schwer zurecht. Aber er hat Freunde, die ihm über Jahre hinweg helfen. Noch als Schüler diskutieren sie im Café Tomaselli am Alten Markt ihre Lektüren: Strindberg, Nietzsche und Dostojewski, dann Baudelaire und Rimbaud. Das Café gibt es heute noch, kaum verändert.
    Weichselbaum: "'Wir treffen uns im Tomaselli', im "Tomi", heißt es dann in den Briefen. Es ist ein Salzburger Traditions-Café, existiert seit dem 18. Jahrhundert. Es ist eines der beiden Traditionscafés in Salzburg. Das zweite ist das Café "Bazar" auf der anderen Salzach-Seite."
    ... das Trakl ebenfalls besuchte. Seine Stammbuchhandlung war am zentralen Residenzplatz. Heute wimmelt es dort, wie in der ganzen Altstadt, von Touristen, die zu Fuß und mit Kutschen die Sehenswürdigkeiten abklappern. In der ehemaligen Buch-handlung ist jetzt ein Immobilienbüro.
    "Hier hat sich bis vor drei Jahren die Buchhandlung "Mora" befunden, die früher "Morawitz" geheißen hat und zu Trakls Zeiten den Besitzer gewechselt hat. Damals hieß sie auch noch "Richters Nachfolger". Trakl hat hier häufig Bücher gekauft. Es ist auch eine Anlaufadresse gewesen, wenn ihm jemand Bücher nachgeschickt hat, dann hat er die hier abgeholt. Der Vater hat sich dann gewundert über die Höhe der Buch-Rechnungen, die von diesem Geschäft geschickt worden sind.
    Seit der Kindheit ist die jüngere Schwester Grete für Trakl der wohl wichtigste Mensch.
    "Sie haben sich in ihren künstlerischen Interessen von den anderen Familienmitgliedern sicherlich unterschieden, das ist auch das Verbindende zwischen den beiden gewesen. Grete hatte eine Ausbildung als Pianistin begonnen in mehreren Anläufen, ist dann allerdings immer wieder stecken geblieben, hat es nicht zu Ende bringen können."
    In Trakls Gedichten taucht sie immer wieder auf, als "Schwester", "Mönchin" oder "Fremd¬lingin", oft auch in erotischem Kontext. Ein frühes und ziemlich schwülstiges Gedicht heißt "Blutschuld". Seit Jahrzehnten spekulieren Germanisten, ob es zwischen den beiden ein inzestuöses Verhältnis gab. Nach Trakls Tod hat die Familie die Briefe der Geschwister vernichtet.
    "Sicherlich hat Grete auf Georg auch einen erotischen Reiz ausgeübt, mit dem er ständig im Kampf gelegen ist. Er hat diesen Reiz meiner Meinung nach dann in Bildern in den Gedichten zu verarbeiten versucht, die man als inzestuöse Bilder durchaus deuten kann oder muss."
    Trakl muss das Gymnasium nach der 11. Klasse verlassen, weil er das zweite Mal sitzen geblieben ist. Er will Apotheker werden – der einzige akademische Beruf, der damals ohne Matura zugänglich ist. Trakl ist 18, trinkt, raucht und experimentiert mit Drogen – auch in dieser Hinsicht bietet sich der Beruf an. In den nächsten Jahren beschafft er sich regelmäßig Morphium und Veronal, später auch Kokain.
    "Hier in diesem Haus, Linzergasse Nummer 7, ist früher die Engel-Apotheke gewesen, wo Trakl seine dreijährige Praxis gemacht hat und dann später noch einmal kurze Zeit ge-arbeitet hat. Leider ist die Apotheke jetzt ein Haus weiter gerückt, und hier hat ein Bijou-Laden aufgemacht."
    Noch während Trakls Lehrzeit führt das Salzburger Theater zwei Einakter von ihm auf, einen mit mäßigem Erfolg, der andre fällt durch, worauf er die Manuskripte vernichtet. Nach der Lehre geht er im Herbst 1908 zum Pharmazie-Studium nach Wien. Die Großstadt überfordert den 21-Jährigen, der sich immer öfter in den Rausch flüchtet. In einem Brief schreibt er:
    "Meine Verhältnisse haben sich noch immer nicht geklärt und ich warte so zwischen Hangen und Bangen. Welch ein widerlicher Zustand! Ich wünschte ein paar Tage in Ruhe zu verbringen, es täte mir wahrhaftig not. Aber ich weiß schon: Ich werde wieder Wein trinken! Amen!"
    1910 schließt Trakl das Studium ab. Zu dieser Zeit findet er seinen eigenen literarischen Ton. Je weniger er im Leben zurechtkommt, desto stärker werden seine Texte. In Innsbruck lernt er Ludwig von Ficker kennen, Herausgeber der Kulturzeitschrift "Brenner". Er wird Mentor des zunehmend haltlosen Autors. Trakl beginnt mehrere Arbeitsverhältnisse, die er abbricht, einmal nach nur zwei Stunden. Im Juni 1914 lässt ihm Ludwig Wittgenstein 20.000 Kronen zukommen – eine Summe, die Trakl auf lange Zeit gesichert hätte. Doch als er das Geld abheben will, bekommt er einen Panikanfall und verlässt die Bank. Dann beginnt der Erste Weltkrieg. Trakl kommt als Apotheker nach Galizien an die Front. In der Schlacht bei Grodek hat er 90 Schwerverletzte zu betreuen und will sich erschießen. Man bringt ihn nach Krakau in die Psychiatri¬e. Dort schreibt er seine letzten Gedichte "Grodek" und "Klage". In beiden taucht noch einmal die Schwester auf.
    "Schlaf und Tod, die düstern Adler umrauschen nachtlang dieses Haupt: Des Menschen goldnes Bildnis verschlänge die eisige Woge der Ewigkeit. An schaurigen Riffen zerschellt der purpurne Leib und es klagt die dunkle Stimme über dem Meer. Schwester stürmischer Schwermut sieh ein ängstlicher Kahn versinkt unter Sternen, dem schweigenden Antlitz der Nacht.
    Am 3. November 1914 stirbt Trakl im Spital Krakau an einer Überdosis Kokain. Drei Jahre später erschießt sich seine Schwester Grete in Berlin. Georg Trakl – wer mag er gewesen sein?
    "Ich hab kein abgerundetes Bild von ihm. Es läuft immer darauf hinaus, dass bestimmte Charakterzüge deutlich werden, die aber kein großes Gesamtbild ergeben. Es sei denn man sagt, er ist natürlich der Fremdling – er ist der Fremdling in der Familie, er ist der Fremdling hier in der Stadt, und ist dann auch der Fremdling in der Literatur letztlich gewesen, mit seiner Art zu schreiben."
    Zum 100. Todestag ist die Anthologie "Trakl und wir" erschienen, herausgegeben von den Autoren Mirko Bonné und Tom Schulz, Hans Weichselbaum schrieb das Vorwort. – Der Schriftsteller und Übersetzer Tom Schulz:
    "Die Trakl-Gedichte kann man lesen in verschiedensten Ausgaben. Es wäre doch schön, diese Trakl-Gedichte mit zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern in Zusammenhang zu bringen, das war unsre Idee. Daraus ist dieses Projekt entstanden, "Trakl und wir – 50 Blicke in einen Opal". Das heißt, 50 zeitgenössische Dichterinnen und Dichter schreiben zu einem Gedicht von Trakl, das sie sich ausgesucht haben, einen eigenen Text, ein Gedicht, einen kurzen Essay.
    Schriftstellerische Auseinandersetzung mit Trakl
    Mit dabei sind große alte Damen und Herren der Literatur wie Friederike Mayröcker und Johannes Kühn, aber auch junge Autoren wie Nadja Küchenmeister. Gut ist, dass die Herausgeber den Autoren freie Hand ließen, welches Genre sie wählen. Manche nehmen direkt Bezug auf einen Trakl-Text oder -Brief, andre steuern Gedichte bei, die eher assoziativ mit dem Autor verbunden sind. Uljana Wolf schreibt eine fast schon psychodeli¬sche Erinnerung an Jugend-Lektüren, während Jan Wagner eine klassische Gedicht-Interpretation vorlegt. Die 50 Texte der Anthologie zeigen, wie lebhaft die Auseinandersetzung mit Trakl bis heute ist und wie sie immer neues Schreiben anregt. Dass man vor ihm aber nicht in Ehrfurcht erstarren muss, zeigt der junge Lyriker Jan Skudlarek. Er paraphrasiert Trakls Gedicht "Kindheitserinnerung" Wort für Wort, ver-tauscht Silben und Buchstaben. So entsteht ein herrliches Sprachspiel – für das Trakl, der schwermütig, aber nicht humorlos war, wohl Sinn gehabt hätte:
    "Die Sanne schneit neisam an Machnittag, lund eise schwendet der Tan der Minnen. / Gim Arten lüstern der Schwüstern Stinnem – / dauscht der Knabe in verschlagenem Scholz, doch biebernd über gebuchtes Bild. / Vermüdend blau die Linden versanken. / Ein Reimer ragt im Äther ertranken, / im Zaum asthmatisch Ratten-Erker gilb. Die Schwüstern gehen stüll ins Aus, / nimmern ihre verweißten Leiber innen, / kalt Unterstrich aus bellenden Wim¬pern, / mundwirr erstürbt der Buben Gebräu. // Der Knabe eicht der Katze Haar / zerzaust von ihrer nauren Piegels. / Ein Orkan lebt fern am Hügel / sich gehimmelt so verwunderbar."
    !!Hans Weichselbaum: "Georg Trakl. Eine Biographie"
    Otto Müller Verlag, 224 Seiten, 24 Euro
    Trakl und wir. 50 Blicke in einen Opal
    Hrsg. von Mirko Bonné und Tom Schulz.
    Lyrik Kabinett München, 197 Seiten, 22 Euro