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Neue Zahlen im Kampf gegen den Hunger

Im Jahr 2000 verpflichteten sich die UN-Mitgliedstaaten auf dem so genannten Milleniumsgipfel darauf, die Zahl der hungernden Menschen bis 2015 zu halbieren. Ein Ziel, das aus heutiger Sicht kaum mehr zu erreichen ist. Probleme machen insbesondere die Kontrollmöglichkeiten: Wie lässt sich Hunger sinnvoll messen? Ein neuer Index vom Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungspolitik in Washington soll hier helfen.

Von Philip Banse | 13.10.2006
    Im Prinzip ist die eben vorgestellte Messlatte für Hunger eine Erweiterung des Hungerindex der Welternährungsorganisation. Die Welternährungsorganisation fragt ja vor allem, wie viele Kalorien Menschen in verschiedenen Ländern aufnehmen. Der neue Index bezieht zwei weitere Faktoren mit ein, sagt die Vorsitzende der Deutschen Welthungerhilfe, Ingeborg Schäuble:

    "Der Hungerindex ist ein Index, der eine breitere Basis hat, als die bisherigen Berechnungen zur Kalorienzufuhr, zur Ernährung, die wir bisher hatten. Er berücksichtigt neben der Nahrungsaufnahme auch noch den Ernährungszustand von Kindern unter fünf Jahre und die Sterberate von Kindern unter fünf Jahre. Man hat deswegen die Kinder unter fünf Jahre gewählt, weil sie am meisten unter dem Hunger auch leiden und weil sie auch einen guten Einblick geben in die Ernährungssituation einer Familie."

    Täglich Kalorienaufnahme, Untergewicht von Kindern, und Sterblichkeit von Kindern. Das sind also die drei Säulen des Hungerindex. Mit diesen Parametern lasse sich jetzt ein viel genaueres Bild des weltweiten Hungers zeichnen, sagte Joachim Braun, Leiter des Internationalen Forschungsinstitut für Ernähungspolitik IFPRI aus Washington und Erfinder des neuen Hungerindex. Außerdem ließen sich die Ursachen des Hungers besser analysieren, was wiederum helfe, die Strategien im Kampf gegen den Hunger zu verbessern. Braun hat seine Computer mit Zahlen der letzten 20 Jahre aus 119 Entwicklungs- und Transformationsländer gefüttert und hat eine erfreuliche Entwicklung festgestellt.

    "In zwei Drittenl der Länder, die wir untersuchen, gibt es Fortschritte, auch in den letzten fünf Jahren. Bei vielen gibt es sehr unbefriedigende, langsame Fortschritte, in einem Drittel der Länder stagniert es oder geht es bergab in Sachen Hunger."

    In über 60 Prozent der vom Hunger betroffenen Länder geht es demnach - wenn auch oft langsam - bergauf. Am besten ist die Hungersituation in Weißrussland, Argentinien, Chile. Die größten Fortschritte in den letzten Jahren haben gemacht Brasilien, China und Indien. Dort habe es nach jahrelanger Stagnation Erfolge im Kampf gegen den Hunger gegeben, sagt Joachim Braun und nennt die erfolgreichsten Maßnahmen gegen den Hunger:

    "Erstens Investitionen in die Landwirtschaft, den ländlichen Raum, weil da die Masse der Hungernden lebt, kommt das an. Zweitens Gesundheitsförderungsprogramm, Mutter-und-Kind-Speisungsprogramme, Übertragung von Einkommen, Einkommensbeihilfen an die Ärmsten der Armen."

    Doch auch externe Faktoren spielten eine große Rolle. Braun forderte die Welthandelorganisation auf den Freihandel mit den Hungerländern zu verbessern:

    "Auch für die Hungerländer ist es höchst besorgniserregend, dass kein Fortschritt in den WTO-Verhandlungen an der Agrarfront gibt. Denn aus vermehrtem Freihandel resultiert Einkommen für die Armen auf dem Lande und das sind die Hungernden."

    Die großen Sorgenkinder seien Länder, in denen Kriege wüten oder wüteten wie Burundi, Eritrea, Äthiopien. Diese Länder stehen ganz oben auf dem Hungerindex. Die Welthungerhilfe fühlt sich durch diese Erkenntnisse bestärkt. Investitionen in die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, Einkommensbeihilfen für die Armen - das fordere ihre Organisation seit Jahren, sagt die Vorsitzende der Welthungerhilfe Ingeborg Schäuble. Sie benennt jedoch auch die Grenzen des Hungerindex.

    "Für mich ist es so, dass die Zahlen, die wir haben, nicht ganz neu sind, dass wir also die letzten drei Jahre ausblenden müssen, das ist ein Problem, aber die hat niemand. Und ich weiß auch nicht, inwieweit Pandemien oder Seuchen erfasst werden können, ob sie den Index nicht zu stark beeinflussen."