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UN-Sicherheitsrat
Ein wenig Hoffnung gegen das Sterben im Jemen

Es sind keine Bilder von Einzelfällen: Frauen, Kinder, Babys - völlig ausgezehrt nach jahrelangem Bürgerkrieg im Jemen. Es ist die wohl schlimmste von Menschen gemachte Katastrophe der Welt, die Schätzungen zufolge 12 bis 18 Millionen Menschen an den Rand des Hungertods gebracht haben. Nun gibt es leise Hoffnung.

Von Georg Schwarte | 17.11.2018
    Ein Vater gibt seiner Tochter Wasser zu trinken in einem Hospital in Hodeida
    Zwei Drittel aller Menschen in Jemen leben am Rande des Hungers, die Sterberate bei Kindern ist immens (AP/ Hani Mohamed)
    James Beasley kennt die Zahlen, alle hier im Sicherheitsrat kennen sie: Zwölf bis 18 Millionen Menschen im Jemen am Rande des Hungers. Sie essen Gras, Blätter. Aber James Beasly, der Direktor des Welternährungsprogramms, der gerade dort war, im sterbenden Land, er saß im Sicherheitsrat und sagt, es gehe nicht um Zahlen, es seien Menschen, sie hätten Namen: "Mohammed." James Beasley sah ihn vor zwei Tagen im Krankenhaus von Sanaa, einer einst stolzen Stadt, die auch gerade stirbt. Mohammed, acht Monate alt, chronisch unterernährt, 3,3 Kilo schwer - ein Drittel dessen, was ein Kleinkind in diesem Alter wiegen sollte.
    Seine Eltern fuhren 300 Kilometer zum einzigen Krankenhaus, das überhaupt irgendwie helfen konnte. Im UN-Sicherheitsrat Totenstille. James Beasley schaut in die Runde. "Haut und Knochen" , sagt er. "Sie alle kennen die Bilder aus den Nachrichten. Mohammed war auch nur Haut und Knochen."
    Die ersten kämpften mit den Tränen
    Das sind keine Bilder von Einzelfällen. Das ist die Realität im ganzen Land. Mohammed war nur noch Haut und Knochen. Beasley zögert - fügt an: "Ich sage, er war Haut und Knochen. Mohammed ist gestern gestorben."
    Jahrelang Bürgerkrieg, vergessen von der Welt. Saudi-Arabien bombt aus der Luft gegen die Houthi-Rebellen. Die Rebellen töten am Boden. Und es sterben Mütter, Kinder. Babys - verhungern. Beasley war gerade da und er ersparte dem Sicherheitsrat, in dem die ersten mit den Tränen kämpften, gar nichts.
    Es sei schwer, durch ein solches Krankenhaus zu gehen. Und Zimmer für Zimmer für Zimmer diese kleinen Menschen vor den eigenen Augen sterben zu sehen. Beasley, selbst Vater, erzählt, in einem Bett, ein kleines Kind, die Fusssohlen schauten aus der Decke hervor. Er habe gedacht, er kitzele den Jungen, nur um ein Lachen zu hören, ein Lächeln vielleicht:
    "Aber es gab kein Lachen. Es war, als würde man einen Geist kitzeln." Im Sicherheitsrat schwiegen sie. So laut, als lauschten dort alle, um doch irgendwo im untergehenden Jemen ein Kinderlachen hören zu können.
    Zum Sterben nach Hause
    Kein Lachen, kein Lächeln. Selbst das Weinen sei leise. Sie alle seien krank, schwach. "Sie sterben", sagte der Direktor des Welternährungsprogramms. Der Chefarzt habe ihm gesagt, jeden Tag 50 neue Fälle. Sie haben Platz für 20. "Und was machen sie mit den anderen?" fragte Beasley den Arzt. "Wir schicken sie zum Sterben nach Hause", habe der Arzt geantwortet.
    Am kommenden Montag will Großbritannien dem Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vorlegen, der eine Waffenruhe im Jemen sichern soll. Ein Land stirbt - zuerst die Kinder. Der Jemen, auch am Ende dieses Jahres noch immer die größte von Menschen gemachte Katastrophe der Welt.