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Neuer Ansatz zur Depressionstherapie

Die verfügbaren Medikamente gegen Depressionen weisen noch Mängel auf. Sie wirken recht langsam, nicht bei jedem gleichermaßen, zum Teil können sie sogar Selbstmordgedanken fördern. In den USA wurde eine neue Substanz im Tierversuch erfolgreich getestet, die mit diesen Nachteilen aufräumt.

Von Martin Hubert | 24.08.2011
    Eine weiße Ratte liegt auf dem Rücken, strampelt wild und gibt lautes Gefiepe von sich. Der Grund: Der angesehene Affektforscher Jaak Panksepp von der amerikanischen Washington State University kitzelt sie am Bauch.

    Wenn Panksepp seine Hand entfernt und vor der Ratte hin und her bewegt, läuft diese ihr begierig hinterher. Das Kitzeln scheint ihr gefallen zu haben.

    "Wir nennen dieses Gezirpe in einer 50-Kilohertz-Frequenz Rattenlachen. Denn es tritt auch beim Spielen auf, ist also ein Zeichen für soziales Wohlbefinden. Wir konnten auch nachweisen, dass dieses Lachen von einem positiven Gefühlssystem in ihrem Gehirn in Gang gesetzt wird. Die chemischen Substanzen, die diese positiven Gefühle auslösen, könnten daher Kandidaten für ein neues Medikament gegen Depression sein."

    Panksepp nennt das positive Gefühlssystem, das für das Rattenlachen verantwortlich ist, Seeking-, also Such- oder Antriebssystem. Die Nervenbahnen dieses Systems sind bekannt. Sie arbeiten vor allem mit dem Botenstoff Dopamin, der anregt und belohnt. Hemmt oder zerstört man das Seeking-System bei Ratten, dann werden sie lustlos und erstarren. Für Jaak Panksepp lässt sich das mit einer Depression beim Menschen vergleichen:

    "Es ist wie bei Menschen, bei denen alle Lebens- und Antriebsenergie erloschen ist. Der unwiderstehliche Zwang, niedergedrückt zu sein, ist ein wichtiges Symptom der depressiven Erkrankung. Sie besitzt aber noch einen zweiten, sozialen Aspekt: den psychischen Schmerz, der auftritt, wenn man jemanden verloren hat. Viele Menschen werden dann depressiv, wenn sie ihre Frau, ihren Mann oder ihr Kind verlieren."

    Bei Depressiven scheint das positive Antriebssystem im Gehirn vermindert zu arbeiten. Das psychische Schmerzsystem dagegen arbeitet auf Hochtouren. Mit einem Team des Falk Center for Molecular Therapeutics in Chicago konnte Jaak Panksepp in langjähriger Arbeit eine chemische Substanz identifizieren, die in das Seeking-System eingreift. Sie trägt den Namen GLYX-13 und wurde zunächst an Ratten getestet.

    "Das Mittel kann dieses System sehr behutsam beeinflussen. Es verstärkt die positiven Gefühle, sodass die Ratten häufiger 50-Kilohertz-Laute ausstoßen. Gleichzeitig können wir damit auch das negative Gefühlssystem herunterregeln. Die Tiere stoßen seltener Angstlaute aus, die an ihrer 22-Kilohertz-Frequenz erkennbar sind."

    Bisher ist nur klar, dass GLYX-13 an bestimmten Empfangsstrukturen des positiven Gefühlssystems andockt und es direkt anregt. Warum jedoch gleichzeitig das negative Gefühlssystem heruntergeregelt wird, ist noch nicht wirklich verstanden. Jaak Panksepp ist aber schon seit Langem davon überzeugt, dass die elementaren Gefühlssysteme im Gehirn untereinander verbunden sind. Ihn überrascht es also nicht, dass negative Gefühle automatisch an Einfluss verlieren, wenn man einen so grundlegenden Antriebsmechanismus wie das Seeking-System verstärkt.

    Bisher auf dem Markt befindliche Medikamente beeinflussen die depressive Stimmung nur indirekt, indem sie etwa die Ausschüttung des Hormons Serotonin beeinflussen, das beruhigend wirkt. Oft klagen die Patienten dann aber darüber, dass ihr Gefühlsleben überhaupt gedämpft wird. Außerdem kann es zu Halluzinationen oder Wahnideen kommen. Und bei schweren Depressionen ist die Wirkung oft mangelhaft. Jaak Panksepp glaubt, dass GLYX-13 spezifischer wirken könnte, weil es die Balance der positiven und negativen Gefühle direkt und sehr sanft beeinflusst. Vor Kurzem begann die Forschergruppe mit ersten Tests von GLYX-13 am Menschen.

    "Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Medikament süchtig macht."

    Jaak Panksepp ist optimistisch. Die ersten Reaktionen auf das Projekt sind jedoch gemischt. Manche Wissenschaftler sind von dem neuen Ansatz angetan, warnen nur davor, an eine Wunderpille gegen Depression zu glauben. Andere Forscher bezweifeln grundsätzlich, dass das emotionale Erleben von Ratten dem des Menschen gleicht, auch wenn sich die Hirnsysteme ähneln. Insofern ist diese klinische Studie auch ein interessantes Experiment darüber, inwieweit tierische und menschliche Gefühlssysteme tatsächlich übereinstimmen.