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Neuer formidabler Formwandler
Memory-Metall mit Supergedächtnis

Wenn man bestimmte Metalllegierungen biegt, dehnt oder erwärmt, scheinen sie sich an ihre alte Form erinnern zu können und kehren danach in ihre Ursprungsgestalt zurück. Bei den bisherigen Materialien allerdings klappte diese Formwandlung nicht unbegrenzt. Doch nun präsentiert ein Kieler Forscherteam im Wissenschaftsmagazin "Science" eine Legierung mit einem bis dato unbekannten Stehvermögen.

Von Frank Grotelüschen | 29.05.2015
    Memory-Metalle mit Formgedächtnis
    Memory-Metalle mit Formgedächtnis (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    Rodrigo Lima de Miranda hat ein glitzerndes Metallbändchen in der Hand, es sieht aus wie ein Stückchen Lametta. Dieses Bändchen zieht der Kieler Forscher nun auseinander - bis es fast doppelt so lang ist. Dann legt er es auf eine kleine Heizplatte.
    "Und wenn man erhitzt, der kommt zurück wie ein Zauberer in die ursprüngliche Form!"
    Durch die Wärme schrumpft das Bändchen exakt wieder auf seine ursprüngliche Größe und Form, und zwar binnen Sekunden. Denn das Material ist eine Formgedächtnis-Legierung. Es kann zwei verschiedene Kristallstrukturen annehmen, so genannte Phasen. Belastet man das Material mechanisch oder macht es warm, können sich diese Phasen ineinander umwandeln, und das Material schnellt zurück in seine alte Gestalt. Zum Einsatz kommen solche Memory-Metalle schon länger, sagt Lorenz Kienle, ebenfalls Materialforscher an der Uni Kiel.
    "Beispielsweise in der Medizin als Stents. Wenn man Probleme hat mit Herzdurchblutung, kann man kleine Röhrchen in die Adern reinschieben, welche dann die Adern weiten und damit die Probleme eliminieren."
    Material-Cocktail mit magischer Eigenschaft
    Doch die Materialien zeigen eine Schwäche: Treibt man das Spielchen mit der Gestaltwandlung allzu zu oft, vielleicht ein paar tausend Mal, leiern sie aus und verlieren ihre magische Eigenschaft. Wie also könnte man eine Formgedächtnis-Legierung hinbekommen, die deutlich länger haltbar ist? Um das herauszufinden, experimentierten die Wissenschaftler mit einem ganz bestimmten Material-Cocktail.
    "Titan, Nickel, Kupfer."
    In diesem Metall-Terzett variierte Doktorand Christoph Chluba den Titan-Gehalt - und stellte fest, dass sich bei bestimmten Titankonzentrationen sogenannte Ausscheidungen bilden - winzige Tröpfchen, weniger als einen Mikrometer groß.
    "Im Wasser so kleine Öltröpfchen – so in der Art könnte man sich das vorstellen."
    Diese Tröpfchen stecken mitten im Kristall und sind fest mit ihm verbunden.
    "Dadurch können sie Spannungen aufnehmen. Sie wirken wie eine Art Feder im Material."
    Federeffekt ohne dabei Schaden zu nehmen
    Durch genau diesen Federeffekt können die Tröpfchen die Phasenumwandlungen tatkräftig unterstützen - ohne dabei Schaden zu nehmen, sagt Lorenz Kienle.
    "Das war für uns eine ziemliche Überraschung. Denn man hätte eigentlich erwartet, dass diese Ausscheidungen gar nicht so gut sind für die Funktion. Hier hat sich aber gezeigt, dass gerade diese Ausscheidungen dafür sorgen, dass man dieses Material millionenfach deformieren und wieder entspannen kann, ohne dass dabei irgendwelche strukturellen Defekte auftreten."
    Zig Millionen Mal ließen die Forscher ihr Material von einer Gestalt in die andere hüpfen und wieder zurück. Die Verwandlungsfähigkeit blieb dennoch erhalten. Nun wollen sie das Phänomen noch besser verstehen und die Materialien weiter verfeinern. Doch Kienle und seine Kollegen haben auch schon neue Anwendungen im Sinn, etwa in der Kühltechnik.
    "Wo die Materialien beim Ziehen heiß werden, beim Entspannen kalt. Man kann das periodisch machen, das Ziehen und Entspannen, und dadurch Wärme transportieren. Im Prinzip wäre das eine neues Konzept für ein Kühlsystem. Das Vorteilhafte an diesem Kühlsystem wäre, dass man sehr kleine Volumina kühlen kann."
    Geeignet für medizinische Anwendungen
    Sogenannte Chiplabore könnten sich eines Tages damit kühlen lassen, so die Hoffnung. Das sind kleine Plastikkarten, auf denen ein komplettes, miniaturisiertes Chemielabor steckt. Und da wäre noch eine weitere Idee:
    "Möglicherweise als Material für Herzklappen. Dazu müsste man aber dieses Material noch biokompatibel hinbekommen. Im aktuellen Zustand ist es noch nicht wirklich biokompatibel wegen des Kupfers. Aber wir sind optimistisch, dass man durch chemische Variationen auch derartige, nie ermüdende Materialien hinkriegt, die man für medizinische Anwendungen einsetzen kann."
    So funktioniert die Formgedächtnislegierung