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Neuer Gedenktag in Polen
Jadwiga, die Judenretterin

Mit einem Gedenktag ehrt die Polen Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges Juden geholfen haben – für die noch lebenden Retter eine späte Genugtuung. Kritiker befürchten, dass damit negative Seiten der polnischen Geschichte ausgeklammert werden könnten.

Von Florian Kellermann | 23.03.2018
    Jadwiga Wolf-Przybylska, Trägerin des Ehrentitels "Gerechte unter den Völkern" für die Rettung von Juden im Zweiten Weltkrieg.
    Jadwiga Wolf-Przybylska, Trägerin des Ehrentitels "Gerechte unter den Völkern" für die Rettung von Juden im Zweiten Weltkrieg. (Deutschlandradio / Florian Hellermann)
    Jadwiga Wolf-Przybylska hat Dinge gesehen, die sie nie vergessen kann. Immer wieder in ihrem Leben kamen diese Bilder in ihr hoch, Bilder aus der Zeit, als Deutschland Polen besetzt hatte.
    "Mein Sohn war ein Frühchen. Er konnte nicht saugen, deshalb hielt mein Mann seinen Mund geöffnet - und ich habe ihn mit Brei gefüttert. Sein vollgestopfter Mund, die aufgerissenen Augen haben mich jedes Mal an eine Szene in der Straße 'Nowy Swiat' erinnert. Die Deutschen haben dort eine Gruppe von Polen von einem Pritschenwagen gestoßen, in einer Reihe aufgestellt und erschossen. Ihre Münder waren mit Gips verschmiert, damit sie nicht im letzten Moment noch 'Es lebe Polen' rufen konnten."
    Der Terror in Warschau war zur Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg allgegenwärtig.
    Jadwigas Familie bot Juden ein Versteck
    Trotzdem versteckte die Familie von Jadwiga Wolf-Przybylska Juden. Zunächst einen Fremden, der eines Abends an ihre Tür geklopft hatte. Er sei von Deutschen verfolgt worden, denen er verdächtig vorkam, erzählt die heute 90-Jährige:
    "Sie sind dann zu uns in die Wohnung gekommen und haben gefragt: Wer ist der schwarz Gekleidete? Mein Vater hatte ihm gesagt, er solle sich neben mich legen und antwortete ihnen: Das ist der Verlobte meiner Tochter. Dabei war ich damals erst 14. Mein Herz hat so laut geklopft, dass ich dachte, alle im Raum müssten es hören."
    Später versteckte die Familie sogar über ein Jahr lang zwei Jüdinnen, Mutter und Tochter. Als andere Polen sie aufspürten, drohten, sie zu verraten, und von ihnen Geld erpressten, musste die ganze Familie die Wohnung räumen und untertauchen. Jadwiga, inzwischen 17 Jahre alt, fand für die beiden Jüdinnen ein neues Versteck in einem Keller – sie überlebten.
    Polens Präsident initiierte Gedenktag
    Die 90-Jährige sieht nicht mehr richtig, sie ertastet auf dem Regal das kleine Kästchen, in dem eine schwere Medaille liegt – die Anerkennung als "Gerechte unter den Völkern". Eine israelische Ehrung für Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges Juden das Leben retteten.
    Seit kurzem gibt es in Polen einen Gedenktag für Menschen wie Jadwiga Wolf-Przybylska – am Samstag findet er zum ersten Mal statt. Die Initiative ging von Präsident Andrzej Duda aus:
    "Heutzutage, wenn die Geschichte häufig zurechtgestutzt und manchmal auch verfälscht wird, sollten wir klar sagen: Wer ein Verbrecher war und wer ein Held, wer Barmherzigkeit zeigte und wer ein Schuft war."
    Das hatte Präsident Duda schon im vergangenen Jahr angekündigt. Dass das Parlament dieses Gesetz nun in weniger als zwei Monaten verabschiedete, brachte der rechtskonservativen Regierungspartei PiS auch Kritik ein. Sie instrumentalisiere Menschen wie Jadwiga Wolf-Przybylska, hieß es aus der Opposition. Mit dem Gedenktag wolle die PiS nur ihren Standpunkt im jüngsten Streit mit Israel unterstreichen.
    Israel kritisiert Polens Politik
    Das polnische Parlament hat nämlich mit einem anderen Gesetz verboten, der polnischen Nation eine Mitverantwortung am Holocaust zu geben. Bei Verstößen sind bis zu drei Jahre Haft möglich.
    Die Regierung in Jerusalem protestierte. Sie sieht darin einen Versuch der Einschüchterung – Polen wolle erreichen, dass über diejenigen, die in die Tötung von Juden verwickelt waren, nicht mehr gesprochen werde.
    Jadwiga Wolf-Przybylska wird jetzt oft gefragt, was sie von jenen hält, die den Juden damals nicht halfen.
    "Ich versuche gar nicht, solche Leute zu verstehen. Nein, das stimmt nicht ganz, ich versuche es schon. Der Mensch hat nur ein Leben. Ich kann diese Menschen nicht schuldig sprechen. Dafür, Juden zu verstecken, haben die Deutschen damals in Polen die Todesstrafe verhängt."