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Neuer Konzertsaal in München
"Musiktempel" oder "Panettone-Schachtel"?

Die bayerische Staatsregierung hat die Sieger des Architektenwettbewerbs für das Konzerthaus München bekannt gegeben. Gewonnen hat keiner aus der weltweiten Elite der Architekturbüros wie Gehry, Chipperfield oder Hadid, sondern ein unbekannter Außenseiter aus Österreich. Doch an dem Entwurf scheiden sich die Geister.

Von Susanne Lettenbauer | 30.10.2017
    Eine Computerdarstellung der Außenansicht des neuen Münchner Konzerthauses vom Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur Architekten.
    Computerdarstellung der Außenansicht: So soll das Konzerthaus München aussehen (dpa-Bildfunk / Cukrowicz Nachbaur Architekten)
    15 Jahre lang wurde um diesen neuen Konzertsaal gerungen, unzählige Standorte wurden diskutiert und verworfen, Brandbriefe wurden verschickt, Ex-Kunstminister setzten sich persönlich dafür ein, der Chefdirigent vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Mariss Janssons spendete 2013 sein gesamtes Preisgeld vom Siemens-Musikpreis für den endlich zu bauenden neuen Konzertsaal. Und dann das.
    Mit diesem Sieger hat wohl niemand gerechnet. Weder die Jury noch die Öffentlichkeit. Im quasi Oscar-Verfahren - weil die Arbeiten anonym bewertet wurden - hatte Bayerns Kunstminister Josef Spaenle am Freitagabend den Umschlag mit dem Namen des Siegers geöffnet, gestutzt und den Umschlag weitergereicht. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann musste sich im Vorlesen des Architekturbüros üben, das ab sofort in einem Zug mit dem neuen Münchner Konzertsaal, mittlerweile einem Konzerthaus, genannt werden muss: Cukrowicz & Nachbaur - vorne -tz hinten -tsch.
    Gehry, Chipperfield und Co gingen leer aus
    Keiner aus der weltweiten Elite der Architekturbüros wie Gehry, Jean Nouvel, Herzog/ de Meuron, Chipperfield, Larsen oder das Londoner Büro der verstorbenen Zaha Hadid - die unter den 31 eingereichten Arbeiten waren - würde künftig also allein durch den Bau Besucher in das Werksviertel am Münchner Ostbahnhof locken, wie es die Elbphilharmonie macht. Darum sei es eben nicht gegangen, betont Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Siegers am Samstagmittag in der Münchner Musikhochschule. Wer nur von außen spektakulär baue…
    "… der kann es nicht sein. Weil das ist das Ziel: Wir müssen einen Konzertsaal auf Spitzenniveau für Spitzenorchester und auch andere Orchester aus aller Welt, die dann hier zu Gast sind, schaffen. Das ist die Zielsetzung. Und deshalb war es in der Tat klar, dass mehrere Entwürfe, die diese Erwartungen aus der Musikwelt nicht erfüllen können, die können auch nicht auf dem ersten Platz landen, die können nicht entsprechend berücksichtigt werden."
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU, l-r), der Architekt Anton Nachbaur-Sturm, der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung "Neues Konzerthaus München", Hans Robert Röthel und der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) unterhalten sich am 28.10.2017 in München (Bayern) über das Sieger-Modell des Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur Architekten für das neue Münchner Konzerthaus.
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU, l-r), der Architekt Anton Nachbaur-Sturm, der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung "Neues Konzerthaus München", Hans Robert Röthel und der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    Ein Konzerthaus als Geschenk von Noch-Ministerpräsident Seehofer
    Um die 90 Personen durften als Sachpreis- und Fachpreisrichter ihre Meinung abgeben, an vorderster Stelle Ministerpräsident Horst Seehofer samt Finanzminister Markus Söder, Innenminister Herrmann, Kunstminister Spaenle, Oberbürgermeister Dieter Reiter – kurz, Bayerns Politprominenz, die so langsam in Wahlkampfstimmung kommt. Denn 2018 ist Landtagswahl im Freistaat. Ein Konzerthaus als Geschenk von Noch-Ministerpräsident Seehofer wäre gewissermaßen ein klangvolles Vermächtnis. Fachexperten wie Architekten, Musiker oder Akustiker seien erstaunlicherweise in der Unterzahl, monierte verächtlich Münchens Pinakotheken-Architekt Stephan Braunfels, dessen Bewerbung gleich im Vorfeld gescheitert war. Und dessen Klage den Juryentscheid seit Mai verzögert hatte. Wenn Politiker einen Konzertsaal bauen, dann kommt es nicht aufs Äußere an?
    Hans Robert Röthel von der 2016 gegründeten Stiftung "Neues Konzerthaus München" setzte sich 15 Jahre lang für einen neuen Konzertsaal ein, anfangs als Idee, als Phantom, als Wunschtraum, der noch jede Form annehmen konnte. Gemeinsam mit Dirigent Mariss Janssons und Sänger Christian Gerhaher kämpfte man um einen geeigneten Standort. Von 40 Optionen blieb irgendwann die am Ostbahnhof, im sogenannten Werksviertel übrig. Eine Grundfläche von 3.500 Quadratmetern. Architekten blieb da nur, ein Haus 50 mal 70 Meter oder 35 mal 100 Meter zu bauen. Denn wie ein Handtuch erstreckt sich das Gelände zwischen Schulgebäuden, Kindergärten, Cafés, Wohnungen und Büros in Laufweite zum Ostbahnhof.
    Es hätte auch ein Standort am Hofgarten sein können oder am Marstall oder in einer riesigen denkmalgeschützten Halle an der Zugeinfahrtschneise zum Hauptbahnhof. Mit sehr viel Platz drum herum. Architekten hätten sich dort leichter getan dort. Röthel spricht auch davon, dass seine Stiftung nun Sponsorengelder einwerben müsse und Stifter sehr genau hinschauen, wie und von wem ein Konzerthaus gebaut wird. Es soll ja noch mal mit den fünf ersten Kandidaten gesprochen werden, ergänzt er. Letztlich sei man froh, dass es überhaupt ein Konzerthaus gäbe und: "Das in seiner Schlichtheit schon sehr beeindruckt. Es ist ohne Schnörkel, es ist klar und es zeigt genau den Weg, nämlich zu einem Haus für die Musik."
    Große Freude bei den Wettbewerbs-Gewinnern
    Der recht unbekannte Sieger heißt nun also Cukrowicz & Nachbaur aus Bregenz, bislang verantwortlich für Bauten wie die Messe Innsbruck und Salzburg, ebenso Wohnhäuser im Vorarlberg, Skihütten und Kapellen, ein Konzertsaal war bislang nicht darunter. Die Reaktion von Anton Nachbaur:
    "Ich bin natürlich sehr überrascht und freue mich riesig. Gerade bei so einem Wettbewerb weiß man natürlich nie, wie es ausgeht. Von dem her haben wir und unser Büro eine riesen Freude, dass wir hier als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen sind."
    Was Cukrowicz & Nachbaur vorlegt, ist ein schlichter, sich nach oben verjüngender, rechteckiger Kasten, auf einer Grundfläche von 3.500 Quadratmetern, 9500 Quadratmeter Nutzfläche, ein großer Saal mit 1.800 Plätzen, ein kleiner Saal mit 600 Plätzen und mit einer - letztlich die Jury überzeugenden - umlaufenden Glasfront. Anton Nachbaur:
    "Das ist eine zweiteilige Fassade, es gibt eine äußere Gebäudehülle, die den Wetterschutz herstellt und eine innere Gebäudehülle, die den thermischen Gebäudeschutz macht. In diesem Zwischenbereich können wir jetzt natürlich viel beliebig öffnen, transparent machen, transluzent machen. Es könnte dieser Zwischenraum theoretisch auch mit Licht bespielt werden."
    Das Sieger-Modell für das neue Münchner Konzerthaus des Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur Architekten wurde am 28.10.2017 in München präsentiert.
    Das Sieger-Modell für das neue Münchner Konzerthaus des Architekturbüros Cukrowicz Nachbaur wurde am 28.10.2017 in München präsentiert (Tobias Hase/dpa )
    Konzerthaus an den Standort anpassen
    Juryvorsitzender und Architekt Anton Lederer saß als Preisrichter bereits beim Humboldt-Forum Berlin und dem Bahnhof Stuttgart 21 in der Jury. Man müsse so ein Konzerthaus auch städtebaulich einordnen, an den Standort anpassen. Das sei bei Entwürfen von Chipperfield oder dem dänischen Büro Larsen nicht eindeutig erkennbar gewesen. Cukrowicz habe seinen sogenannten Klangspeicher der Umgebung untergeordnet:
    "Also die Anmutung war es zum Schluss und dieses Verhältnis zum Städtebau und diese Einmaligkeit, die es wirklich unterscheidet und wenn jemand in München dann mal ins Konzert geht und er kommt aus Tokio oder er kommt aus New York oder er kommt von irgendwo anders her – er wird dieses Haus nicht vergessen, das aber nicht übertrieben ist, keineswegs. Es ist sehr zurückhaltend, sehr einfach, aber nobel. Und ich glaube, das ist das, was die Weltspitze ausmachen könnte."
    Lederer sagt es: Könnte. Noch sind nicht alle Planungen gemacht. Musiker, die an dem Wettbewerb mitentschieden, drängen auf eine perfekte Akustik. Zu Recht, denn darum geht es ja letztlich. Ein weiterer Wettbewerb wird im kommenden Jahr die besten Akustikbüros um ihre Vorschläge bitten. Zumindest im Inneren soll Münchens Konzerthaus Weltklasse werden. Schon übt sich Münchens Öffentlichkeit in der Suche nach einer passenden Beschreibung für das, was da nun entstehen wird.
    "Panettone-Schachtel", "Aspik-Terrine", "Musikscheune"
    Es kursieren Begriffe wie "Panettone-Schachtel", "Konzertschrein", "Philharmonic-Headquarter", "Heuschober", "Musikscheune", "Glashaus" oder auch "Aspik-Terrine". Ob nun ein Intendant den Wettbewerb betreut, wie immer wieder gefordert, dazu wollte Kunstminister Spaenle nichts sagen. Klar ist: Bereits im kommenden Frühjahr noch vor den Landtagswahlen soll laut Bayerns Ministerpräsident Hort Seehofer der erste Spatenstich erfolgen. Die Kosten werden auf rund 300 Millionen Euro beziffert. Im Jahr 2021 soll das neue Münchner Konzerthaus dann eingeweiht werden.