Donnerstag, 28. März 2024

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Neuer Roman von Hans Platzgumer
Liebe, Freundschaft und Tod

In Hans Platzgumers neuem Roman "Am Rand" wird viel gestorben, doch traurig ist er nicht. Der Leser begleitet die Hauptfigur Gerold Ebener, der seine vermeintlich letzten Lebensstunden verbringt, ohne lebensmüde zu sein.

Von Sandra Hoffmann | 12.09.2016
    Aufgeschlagenes Buch
    Platzgumers stärkste erzählerische Kraft ist, dass er seine Figuren sehr gut kennt und erspürt, so unsere Rezensentin. (imago / blickwinkel)
    "Der Tod interessiert mich natürlich schon immer, gerade literarisch als Thema, weil es die ultimative Grenzerfahrung ist und das größte Limit, das wir eigentlich so kennen, und ich siedle meine Geschichten immer so in Grenzbereichen an, es interessiert nicht das normale Leben, das ich amüsant beschreiben kann, sondern mich interessiert immer, jemanden aus dem normalen Leben herauszureißen, aus welchen Gründen auch immer, und ihn dann vor neue Aufgaben zu stellen, oder ihn irgendwo hinzustellen, wo ich dann mal sehen will, wie er sich verhält, oder wie das Leben ihm dann dort in diesen Grenzregionen passiert, da ist der Tod natürlich immer ein großer Mitspieler."
    Es ist Gerold Ebner, den Hans Platzgumers in seinem neuen Roman auf diesen Weg schickt und der Tod ist sein treuster Begleiter. Und obwohl viel gestorben wird in diesem gar nicht traurigen Buch, auf natürliche und auf unnatürliche Weise, und obwohl wir Gerold Ebner in seinen vermeintlich letzten Stunden begleiten, erfahren wir keinen lebensmüden Menschen; so vital erzählt und überblickt dieser Mann sein Leben noch einmal. Da sitzt er bereits oben am Gipfel eines Berges, auf den er ganz in der Frühe am Morgen gestiegen ist, um womöglich nicht mehr von selbst wieder hinabzusteigen. Und wie er da oben sitzt und sein an Freunden, Erfahrungen und Liebe reiches Leben erzählt, wird man mitgerissen in einen Erzählstrom, dem es sowohl an Analyse als auch an Tiefe nicht fehlt.
    "Das war beim Schreiben von diesem Roman nicht so beabsichtigt, dass da so viele und auf so viele unterschiedliche Arten und Weisen sterben, diese Galerie des Todes hat sich erst im Schreibprozess von selber ergeben. Mein ursprünglicher Gedanke war eigentlich nur, dass jemand auf diesem Gipfel, hier oben sitzt, und etwas zu Papier bringt und dann diesen letzten finalen Schritt wahrscheinlich machen will, und dann diese letzte Beichte, die er hinschreibt, warum auch immer versteckt, und die Idee hat mich fasziniert, dass das dann oben am Gipfel zu finden ist, und dieser Mann, der das geschrieben hat, verschwunden ist, wahrscheinlich für immer."
    Hauptfigur mit großer Fähigkeit zur Empathie
    Dieser Mann, der uns seine Geschichte erzählt, ist ein einfacher, aber ein ausgesprochen kluger und seelenkluger Mensch, einer der sich selbst genauso zu verstehen versucht wie seine Umwelt, einer der genau hinschaut, dessen Leben und Wahrnehmung sich aus der Freude und Faszination an vielen kleinen Erfahrungen und Erlebnissen speist, die er sehr eindringlich zu erzählen weiß. Überhaupt ist es Platzgumers stärkste erzählerische Kraft, dass er seine Figuren sehr gut kennt und erspürt. Wenn wir diesen Roman lesen, fühlen wir uns in einem wirklich möglichen Leben angekommen. Einem dichten, einem heiteren und traurigen Leben; dem eben von Gerold Ebner, der Gelegenheitsjobs verrichtet und Romane schreiben möchte, und dem seiner Umgebung. Dieser Ebner hat eine große Fähigkeit zur Empathie: zu seiner Mutter und einem todkranken Freund, eine große Fähigkeit zur Freundschaft und vor allem eine zur Liebe: jener zu Elena und zu einem kleinen Mädchen. Den Schicksalsfiguren in seinem Leben.
    Doch dieser Mann ist auch ein Mörder und ein Sterbehelfer. Verblüffenderweise macht ihn das nicht unsympathisch. Warum ist das so, habe ich Hans Platzgumer gefragt:
    "Vielleicht mag man ihn, weil er auch so ehrlich ist in diesem Bericht und weil er sich auch selber nicht als Held darstellt, sondern weil er sehr menschlich ist, er hat wahnsinnig viele Fehler natürlich auch, er ist einfach sehr, sehr nackt. Und deswegen auch sehr greifbar und deswegen kann man zu ihm eine Beziehung aufbauen und Empathie. Und das ist mir dann selber so gegangen im Lauf des Schreibens, ich hab ihn ja da erst selber richtig kennengelernt, es war ja nicht so, dass die Geschichte vorgeplant war, sondern mir war nur klar, dass irgendwas natürlich immer dramatischeres passieren muss, und sich zuspitzen muss und ihn im Endeffekt hintreibt auf diesen Gipfel, wo er dann mit dem Rücken zur Wand steht und fast keinen anderen Ausweg mehr hat, als den einen Schritt nach vorne zu machen. Gleichzeitig wusste ich aber nicht, was da so alles passiert, und das hat er mir dann im Idealfall des Schreibens dann selbst diktiert."
    Entdeckung einer kleinen Karate-Schule
    Platzgumers Roman erzählt das Leben in der Provinz, erzählt die Geschichte einer Pubertät in einfachen Verhältnissen mit engen Freunden, die umso mehr von Bedeutung sind, weil es keine Ablenkung gibt, nichts außer der Familie und außer feindlichen Gangs anderer Jungs aus anderen Ländern, die eben auch in der Siedlung leben. Diese Burschen sind die einzige Bedrohung in einem ansonsten unaufregenden Leben, aber sie sind auch der Ansporn, etwas Neues zu versuchen. Und so beginnen der Erzähler und sein Freund - es ist der Freund, dem er viel später aus dem Leben helfen wird - schließlich in einer Karate-Schule zum Unterricht zu gehen, ihre Kraft zu entdecken und vor allem die beeindruckenden Lehren des Sensei; Körperbeherrschung und Regeln, die aussagen, dass alles, was geschieht, von gleicher Bedeutung ist: Hitotsu lautet dieses Gebot, und genauso lauten in Platzgumers Roman alle Kapitelüberschriften:
    "Hitotsu ist japanisch und heißt erst mal nur "erstens" und im traditionellen Shotukan-Karate, das ja in diesem Buch eine wichtige Rolle spielt, werden die ganzen Benimmregeln aufgezählt, die erste mit Hitotsu und die zweite wird dann auch wieder mit Hitotsu gezählt und auch die dritte und auch die fünfte wird als erstens gereiht, das heißt, dass jede Regel gleich wichtig ist wie die andere und es gibt kein erstens und es gibt kein letztens, sondern alles sind kleine Bausteine eines Gesamten und das ist auch genau wie dieser Roman ist, wir haben hier kleine Tode und große Tode, die aber in ihrer Reihenfolge oder in ihrer Wertigkeit nicht unbedingt eine Rolle spielen, sondern alles zusammen ergibt das Leben dieses Gerold Ebners und diese Tragik des Gerold Ebners, und alles zusammen sind diese Schritte, die ihn auf den Berg hinaufbringen und das fand ich eine sehr schöne Metapher dafür."
    Möglicherweise liegt es an dieser Gleichwertigkeit, die die Liebe und die Freundschaft und der Tod in diesem Roman haben, dass man sich zuweilen fragt, wie es gelingen kann, dass jemand mit solcher Intensität und gleichzeitiger Gelassenheit über die größten Gefühle so nachdrücklich schreiben kann. Und wie gut man über den Tod Bescheid wissen muss, um die Liebe zu verstehen, oder: Wie gut man die Liebe kennen muss, um den Tod besser auszuhalten?
    "Das ist wahrscheinlich bei ihm so gewesen, dass er zum Tod generell eine große Natürlichkeit aufgebaut hat, auch durch die besagte Herkunft, wo schon sehr viele Leute auch sterben. Und dann tritt, wie der Tod auch in sein Leben tritt, tritt dann auch diese große, wahnsinnige Liebe in sein Leben, zwei Mal eigentlich und beim ersten Mal auch völlig, wie so oft in diesem Buch, zufällig, quasi unvorbereitet trifft er auf diese Elena, die ist die wichtigste Person in seinem Leben, sie ist sein Rettungsanker und sie holt ihn eigentlich auch raus aus dieser ganze Situation, ohne sie wäre er nie da wo er ist, und wenn sie noch wäre, dann wäre er auch nicht alleine am Gipfel – und dann kommt natürlich noch dieses kleine Mädchen dazu."
    Hans Platzgumer: Am Rand
    Zsolnay Verlag, 208 Seiten, 19,90 Euro