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Neuer Spielberg-Film
Der Riese, der Träume fängt und neu mixt

Der Hollywood-Regisseur Steven Spielberg bringt mit BFG einen neuen Familienfilm in die Kinos, 30 Jahre, nachdem er mit E.T. einen Blockbuster landete. Er handelt von der anrührenden Freundschaft eines Waisenmädchens mit einem Riesen - ein typischer Spielberg, weil er damit einen Film für das ängstliche Kind in sich selbst macht.

Von Katja Nicodemus | 17.07.2016
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    Der BFG (Big Friendly Giant) und Sophie auf dem Weg ins Traumland (Constantin Film Verleih GmbH)
    "Wo bin ich? Im Land der Riesen."
    Die Geschichte eines Waisenmädchens namens Sophie, das sich mit einem großen freundlichen Riesen anfreundet und von ihm vor seinen menschenfressenden Artgenossen beschützt wird, ist wie geschaffen für den emotionalen Kinokosmos von Steven Spielberg. Schon in seinem märchenhaften Science-Fiction-Film E.T. erzählte Spielberg vor mehr als 30 Jahren die Geschichte eines einsamen, verzweifelten Jungen, der einen großen fremdartigen Seelenverwandten findet: den 900-jährigen Außerirdischen E.T. Ist BFG eine Art Neuauflage von E.T.?
    "E.T. gehört zu den Filmen, auf die ich besonders stolz bin, weil er einen so großen Einfluss auf die ganze Welt hatte. E.T. spielt auf der Erde. Und ein Außerirdischer kommt in die uns bekannte Welt. BFG handelt von einem Waisenmädchen, das in eine Welt der Riesen, der Fantasywesen verschlagen wird. Trotzdem haben wir BFG nicht als neuen E.T. designt. Es ist einfach die Verfilmung des besten Buches, das Roald Dahl je geschrieben hat."
    Schon immer war Steven Spielberg ein Spezialist und Avantgardist der Kinotechnik, die bei ihm nie Selbstzweck war, sondern stets im Sinne der Geschichte eingesetzt wurde. In BFG verwendet er das sogenannte Motion-Capture-Verfahren. Dabei stellt der renommierte Theaterschauspieler Mark Rylance dem Riesen seine Mimik und Körpersprache zur Verfügung. Seine digital gespeicherten Daten werden in die digitale Riesenfigur eingespeist und mit ihr vermischt. Das Ergebnis ist erstaunlich: ein vollkommen technifiziertes Fantasywesen mit dennoch menschlichem Aussehen und einer liebenswerten, ja warmherzigen Ausstrahlung. Für Steven Spielberg gibt es keine Alternative zur digitalen Technik, obwohl er sich auch ihrer Nachteile bewusst ist:
    "Das Digitale hat die Herrschaft über die Geschichten und die Figuren übernommen. Es gibt Filme, die nur noch die Errungenschaften feiern, die uns die digitale Welt gegeben hat. Es ist ein Exzess geworden. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass die digitale Technik wie ein Angriff auf das Geschichtenerzählen wirkt. Es entstehen Filme, die nur noch damit protzen, ihre Spezialeffekte auszustellen. Zu Lasten der Geschichte, zu Lasten der Figuren."
    Der Riese BFG fängt Träume und mixt sie neu zusammen
    BFG, der Big Friendly Giant, fängt Träume, mixt sie neu zusammen und füllt sie in die Köpfe der Menschen. Steven Spielberg hat als Hollywood-Regisseur letztlich immer dasselbe getan: Er füllt die Bilder der Traumfabrik in die Köpfe der Menschen und erreicht damit ein globales Kinopublikum. Sein neuer Film ist eher langsam erzählt und geschnitten – in einem Rhythmus, der eigentlich den Sehgewohnheiten heutiger Kinder zuwiderläuft.
    "Ich will ein geduldiges Publikum. Denn ich möchte kein Kaleidoskop erschaffen, keine Bilder, die sich mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges oder von Social-Media-Klicks bewegen. Dieser Film sollte den Rhythmus eines großen, dünnen, freundlichen Riesen haben. Den Rhythmus, in dem BFG Träume mixt, verpackt und verteilt. Eben den Biorhythmus des Big Friendly Giant."
    Ist BFG ein Kinderfilm? Ja, was die anrührende Freundschaft des Waisenmädchens mit dem Riesen betrifft, der sie vor seinen bösartigen Artgenossen beschützt. Und nein, was die Ästhetik des Films betrifft. Düster und horrorhaft unheimlich ist das nächtliche London, in dem der Riese nach Träumen jagt. Eine Welt der Schatten, der Einsamkeit und Verstörung. Bedrohlich sind die menschenfressenden Riesen, die auf der Wiese vor der Höhle des BFG schlafen: Ungeschlachte Gestalten, gierige Vielfraße, brutale Tagediebe, die den freundlichen Riesen mobben und in seiner Höhle die Witterung der kleinen Sophie aufnehmen.
    "Hast du hier irgendwo ein neues Schmuselscheißerchen?"
    Wahrscheinlich ist BFG für Kinder einfach nicht kindlich genug und für Erwachsene nicht erwachsen genug. Es ist ein typischer Film von Steven Spielberg, dem 79-jährigen Hollywood-Veteran, der als Erwachsener immer noch Filme für das ängstliche Kind in sich selbst macht.