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Neuer Wirkstoff
Radikalbremse gegen Übergewicht

Zu wenig Bewegung, zu viel Essen - das ist das Rezept für Übergewicht. Aber es ist nicht die reine Kalorienbilanz, die dick macht. Es kommt auch darauf an, was man isst, und wie belastet der Stoffwechsel ist. Aggressive Sauerstoffradikale sorgen im Fettgewebe für schädliche Veränderungen. An genau dieser Stelle setzt ein neuer Wirkstoff an, den Forscher aus den USA jetzt an Mäusen erprobt haben - der aber auch beim Menschen angewendet werden könnte.

Von Volkart Wildermuth | 19.10.2015
    Übergewichtige Frauen und Männern bei Ausdauerübungen auf einem Sportplatz
    Fettzellen von Übewichtigten stehen unter chemischem Dauerstress. (picture alliance / ZB)
    Eine gesunde Fettzelle ist - natürlich - voll mit Fett. Aber das steckt in kleinen Bläschen, die schnell auf- und wieder abgebaut werden können. Sie wirkt auch wie eine winzige Hormondrüse und bildet Botenstoffe, die den Stoffwechsel im Körper im Gleichgewicht halten. Bei sehr übergewichtigen Personen bieten die Fettzellen ein anderes Bild. Unter dem Mikroskop sieht man große ölige Tropfen, die nur noch gefüllt, aber nicht mehr entleert werden. Außerdem senden diese Fettzellen schädliche Entzündungssignale aus. Als Internist sieht Joseph Shapiro viele übergewichtige Patienten. Der Nierenspezialist von der Marshal Universität im amerikanischen Huntington erklärt, dass ihre Fettzellen unter chemischem Dauerstress stehen.
    "Aggressive Sauerstoffradikale in den Fettzellen sind entscheidend für die Fettleibigkeit, für das Metabolische Syndrom und letztlich für Diabetes."
    Studien mit Antioxidantien
    Ein überforderter Stoffwechsel produziert Massen an Sauerstoffradikalen, die eine Vielzahl von zellulären Prozessen stören und die Fettzellen schädigen. Die Lösung ist scheinbar einfach: Sauerstoffradikale entschärfen, zum Beispiel mit Vitaminen. In der Petrischale oder im Tierversuch funktioniert das auch.
    "Wenn man sich aber die klinischen Studien mit Antioxidantien ansieht, dann waren die nicht sehr erfolgreich. Meine Vermutung lautet, wenn man die Sauerstoffradikale wegfängt, dann wird der Stoffwechsel angeregt, einfach mehr davon zu bilden."
    Deshalb hat das Team um Joseph Shapiro einen etwas anderen Ansatz gewählt. Ausgangspunkt war eine Zufallsbeobachtung. Einem Kollegen war aufgefallen, dass eine Pumpe in der Zellmembran mehr macht als eben nur zu pumpen - sie dient auch als Ankerpunkt für eine Art molekularen Signal-Verstärker in der Zelle. An die Pumpe gebunden ist er abgeschaltet. Aber sobald er sich löst, sorgt er für eine Verschiebung des Stoffwechsels in Richtung der Produktion von Sauerstoffradikalen.
    "Wir haben ein kleines Eiweiß nach dem Vorbild dieser Pumpe gebildet. Es besteht aus einer Kopie des Ankerpunktes zusammen mit einem Stück, dass es in die Zelle und die Membran bringt. Das Eiweiß bindet fest an den Signalverstärker und blockiert ihn."
    Mäuse wieder schlank geworden
    Joseph Shapiro hat Fettzellen in der Petrischale sozusagen überfüttert und so in ihre kranke Form gebracht. Gibt er sein kleines Eiweiß dazu, sinkt der Spiegel der Sauerstoffradikale. Mehr noch: Die großen Fetttropfen teilen sich wieder in kleine Bläschen auf und verschwinden zum Teil. Gleichzeitig normalisiert sich auch die Hormonproduktion der Zellen. Das Eiweiß funktioniert auch bei Mäusen, die mit Fast-Food praktisch rund gemästet wurden.
    "Bei hohen Dosen nehmen die Mäuse nicht nur nicht weiter zu, sie werden auch wieder schlank und verlieren die Fettdepots unter der Haut und im Bauchraum."
    Die Fotos der erschlankten Mäuse sind wirklich beeindruckend. Gerade die inneren Fettdepots gelten als besonders gesundheitsschädlich. Um sie gezielt zu beeinflussen, hat Joseph Shapiro seinen Wirkstoff in den Bauchraum der Tiere gespritzt. Eine Strategie, die durchaus auch bei Menschen denkbar wäre.
    "Das ist jetzt wirklich weit in die Zukunft geblickt, aber ich könnte mir vorstellen, dass Patienten regelmäßig bei ihrem Arzt eine solche Injektion in den Bauchraum erhalten könnten."
    Ganz neue Behandlungsmöglichkeiten
    Joseph Shapiro ist der Erste, der darauf hinweist, dass sein Eiweiß erst noch durch die klinische Prüfung muss und dass Erfolge in der Maus eher selten eins zu eins auf den Menschen übertragbar sind. Trotzdem ist er optimistisch, weil die neue Strategie eben nicht bei den schädlichen Sauerstoffradikalen selbst ansetzt, sondern bei Prozessen, die ihre Produktion regulieren, ganz egal wodurch die ursprünglich angeregt wurde.
    "Das hat den wundervollen Effekt, dass wir viele unterschiedliche Signale an ihrem gemeinsamen Endpunkt dämpfen können. Und es öffnet ganz neue Möglichkeiten für die Behandlung des Übergewichts und von andren Krankheiten, bei denen Sauerstoffradikale eine wichtige Rolle spielen."
    Dafür gibt es erste experimentelle Befunde in Tiermodellen. Bis feststeht, ob das neue Eiweiß verträglich ist und nicht nur das Gewicht von Mäusen, sondern auch das von Menschen beeinflusst, bleibt es bei den alten Ratschlägen: gesund ernähren, viel bewegen. Das schützt vor aggressiven Sauerstoffradikalen und stärkt die Gesundheit, ganz egal wie dick im Moment der eigene Bauch ist.