Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Neues Album "First Kiss"
"Viele Menschen, die mich lieben wie hassen"

"Kid Rock" - alias Robert James Ritchie - verlässt seine Heimatstadt Detroit kaum, obwohl sie große Probleme mit Arbeitslosigkeit, Banden und Drogen hat. Im Corso-Gespräch erzählt er, was ihn in der Motor City hält.

"Kid Rock" im Gespräch mit Marcel Anders | 21.02.2015
    Der US-amerikanische Musiker Robert James Ritchie alias "Kid Rock".
    Der US-amerikanische Musiker Robert James Ritchie alias "Kid Rock". (picture alliance / dpa / Tannen Maury)
    Marcel Anders: Herr Rock, Sie könnten überall auf der Welt leben. Was hält Sie ausgerechnet hier, im völlig heruntergekommenen Detroit?
    Robert James Ritchie: Die Leute. Und der Stolz, von hier zu sein. Denn hier sind meine Wurzeln. Und deshalb wird es auch immer der Ort sein, an dem ich die meiste Zeit verbringe. Außer im Winter – weil das einfach nicht sein muss und ich es mir leisten kann, mich in wärmere Gefilde abzusetzen. Ich denke auch nicht, dass es mir jemand übel nimmt, dass ich lieber 20 Grad in Alabama oder 30 Grad in Florida genieße. Ich habe schließlich hart dafür gearbeitet.
    Anders: Ist Detroit die Kehr- oder Schattenseite des amerikanischen Traums?
    Ritchie: Es ist dazu geworden ...
    Anders: Wie konnte das trotz der starken Autoindustrie passieren?
    Ritchie: Durch die Rassenunruhen von 1967 – als alle Weißen die Stadt verlassen und nichts als Ruinen zurückgelassen haben. Dann haben die Demokraten und die Gewerkschaften versucht, sie wieder aufzubauen. Was allein daran gescheitert ist, dass sie sich eher an dem System bereichert haben, statt den Menschen zu helfen. Es wurden schreckliche Politiker gewählt, die die Leute nach Strich und Faden bestohlen haben – und dabei sind auch viele Alterspensionen draufgegangen, was für riesige Probleme sorgt. Wobei das größte Übel aber fehlende Familienstrukturen sind. Da sind keine Väter im Haus, 70 Prozent der Bevölkerung kann nicht richtig lesen und schreiben und die Unterstützung der Regierung zielt immer weniger darauf ab, den Menschen so etwas wie Würde und Stolz zurückzugeben. Das ist ein Missstand, der noch Generationen andauern wird. Während sich die Stadt an sich langsam fängt – mehr als die Menschen, die zumeist arm und schwarz sind.
    Anders: Weil sich hier immer mehr Künstler und Musiker niederlassen?
    Ritchie: Das stimmt. Und die haben auch kein Geld, wenn sie gerade erst anfangen. Also: Was mache sie? Sie suchen nach Orten, an denen sie billig leben und sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können. Wie Detroit.
    Anders: Wo es vor tollen Art-Deco-Gebäuden aus den 20er- und 30er-Jahren nur so wimmelt – und sie stehen fast alle leer.
    Ritchie: Einige dieser Gebäude, die zum Teil noch von holländischen Siedlern gebaut wurden, sind unglaublich. Genau wie die Motown Villa. Und vieles davon wird restauriert, einiges muss abgerissen werden, weil es baufällig ist. Aber ich denke, es geht in die richtige Richtung – viel schneller als die meisten von uns erwartet haben.
    Anders: Könnten Sie sich vorstellen, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren?
    Ritchie: Nein!
    Anders: Warum nicht? Sie kennen die Stadt doch wie Ihre Westentasche?
    Ritchie: Weil ich keinen guten Politiker abgeben würde. Denn ich mag keinen Bullshit. Und noch wichtiger: Ich würde den Job nur hinkriegen, indem ich mich mit den cleversten Leuten umgebe, die es gibt. Deshalb will ich das nicht – ich fühle mich nicht qualifiziert genug. Und ich schätze, ich bin besser darin, Menschen zu vereinen und ihnen bei Dingen zu helfen, mit denen ich mich auskenne und bei denen ich wirklich etwas bewirken kann. Aber die Politik ist nicht meine Berufung. Und ein politisches Amt habe ich nicht auf dem Schirm. Ich meine, können Sie sich vorstellen, wie ich in einer Debatte sitze und es kommt mir jemand quer? Da würde ich so etwas sagen wie: Was fällt dir Wichser ein, so mit mir zu reden? Das wäre definitiv die interessanteste Debatte aller Zeiten. Also, die unterhaltsamste.
    Ritchie: "Das nennt sich älter werden"
    Anders: Auf Ihrem neuen Album unterhalten Sie die Öffentlichkeit mit Nostalgie. Mit Erinnerung an die erste Liebe, das erste Auto, die ersten Partys und die gute alte Zeit – sofern sie denn wirklich besser war ...
    Ritchie: Das nennt sich älter werden! Du wirst alt und beginnst, dich an deine glorreichen Tage zu erinnern. Eben: Mann, könnte ich noch einmal jung sein. Und daran ist nichts falsch. Ich meine, was passiert, wenn man Freunde trifft, die man lange nicht gesehen hat? Dann heißt es: Erinnerst du dich noch, wie wir dies oder das getan haben? Insofern ist es nett, eine Geschichte mit Leuten zu teilen. Das ist es, was einer Freundschaft Bedeutung verleiht – wenn man eine gemeinsame Vergangenheit mit jemandem hat.
    Anders: Eine Erfolgsformel, die Ihnen Welthits wie "All Summer Long" und eine starke Fanbase in der Arbeiterklasse beschert hat. Auf genau die zielt auch "First Kiss" ab, oder?
    Ritchie: Ich denke, die Platte wird den Leuten auf jeden Fall gefallen. Aber ob ich sie damit gezielt bediene? Vielleicht ein bisschen. Wobei es mir momentan eher darum geht, die besten Songs zu schreiben, die in mir stecken, meinem Publikum eine gute Zeit zu bescheren und es ein bisschen zum Nachdenken zu bringen. Etwa mit einem Stück wie "Drinking Beer With Dad", bei dem einige meiner Freunde sogar in Tränen ausgebrochen sind. Denn sie hatten nie ein Bier, geschweige denn ein offenes Gespräch mit ihrem Vater. Insofern hat es für sie eine ganz andere Bedeutung als für mich. Und das ist das Tolle, wenn du einen Song schreibst: Jeder nimmt ihn so, wie er will. Für mich ist dieses Album in erster Linie ein großer Spaß.
    Anders: Wozu auch ein Seitenhieb auf die Kollegen von Coldplay gehört, die Sie in "Good Times, Cheap Wine" als Weichspüler bezeichnen. Ist das bewusstes Provozieren und Polarisieren?
    Ritchie: Ich werde auch so schon gehasst. Also es gibt genauso viele Menschen, die mich lieben wie hassen. Was OK ist. Auf dieser Welt ist ja genug Platz für alle. Coldplay haben zum Beispiel eine Menge Fans – auch wenn ich nicht weiß, warum. Und ich glaube nicht, dass sie es sich zu Herzen nehmen, wenn ich meine Meinung sage. Nach dem Motto: Kid Rock hasst uns – was machen wir nun? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie keine Fans von meiner Musik sind.
    Ritchie: "Metapher für die vermeintlich coolen Kids"
    Anders: Und was ist falsch am Coachella Festival, der größten Freiluftveranstaltungen der USA? Warum wettern Sie dagegen?
    Ritchie: Ich benutze das als Metapher für die vermeintlich coolen Kids, denen ich mich nie zugehörig gefühlt habe. Einfach, weil mich diese Szene nie akzeptiert hat. Deshalb hege ich da auch keine Ambitionen. Schließlich ist es ein Vollzeitjob, da ständig mithalten und cool und fit sein zu wollen.
    Und Coachella erscheint mir als eine große Modenschau, was so gar nicht mein Ding ist. Genau wie dieser Hippie-Mist von wegen wir sind alle eins – obwohl es ein Vermögen kostet, um dabei zu sein. Und all die reichen Leute, die VIPs, fein säuberlich von den hartarbeitenden Leuten getrennt werden. Da gebe ich die ersten beiden Sitzreihen bei meinen Konzerten lieber für 20 Dollar weg – zum selben Preis wie die übrigen Tickets. Da ist jeder willkommen.
    Anders: Ein Ansatz, den sie auf ihrer letzten Tournee auf die Spitze getrieben haben – mit Eintrittskarten für 20 Dollar, kostenlosem Parken, Gratis-Kaffee und günstigem Merchandise. Wie kommt es, dass ihr Konzertveranstalter ihnen das hat durchgehen lässt?
    Ritchie: Als wir mit der Idee ankamen, waren sie schon ein bisschen schockiert. Ich bin da rein und habe gesagt: Ich will keinen Vorschuss. Versuchen sie mal, einen Künstler zu finde, der darauf verzichtet. Denn wissen sie, warum die Vorkasse wollen? Weil ihre Manager und Agenten so gierig sind.
    Bei mir läuft das anders: Ich zahle meinem Manager ein Gehalt und einen Anteil an dem Profit, den wir einspielen. Von daher versucht er nicht schon im Vorfeld, an das Geld zu kommen. Nach dem Motto: Wir geben euch 350.000 Dollar, um dort aufzutreten. Und wenn Britney Spears eine Million Dollar pro Abend verlangt, werden die Tickets halt extrem teuer, damit der Veranstalter seine Investition zurückbekommt.
    Dagegen sage ich: Gebt mir kein Geld im Voraus, sondern lasst uns alles teilen – ich will meinen Teil vom Bier, vom Popcorn, den Hot Dogs und allem anderen. Und je mehr Leute ich ziehe, desto mehr verdiene ich. Von daher habe ich ein bisschen gepokert – und das war die erfolgreichste Tour, die ich je bestritten habe. 98 Prozent der Shows waren ausverkauft.
    Anders: Als Gegenbeispiel: U2 nehmen 170 Euro pro Eintrittskarte. Ein Vergnügen, das sich viele Fans nicht mehr leisten können.
    Ritchie: "Normaler Arbeiter kann sich nur noch eine Show pro Jahr leisten"
    Ritchie: Ein normaler Arbeiter kann sich heute nur noch eine Show pro Jahr leisten. Also, wenn er da seine Freundin oder seine Familie ausführt. Von daher würde ich mir wünschen, dass mehr Künstler günstige Tickets anbieten. Denn auf diese Weise könnten sich die Fans mehr Konzerte leisten und mehr Musik genießen – was auch mit Umsicht und Fairness zu tun hat. Natürlich verdiene ich daran nicht so viel. Aber wisst Ihr was: Ich habe genug Geld. Und mir geht es weniger darum, noch reicher zu werden, als einfach 20 Jahre weiterzumachen.
    Anders: Sie sind jetzt 44. Haben Sie je darüber nachgedacht, ihren Künstlernamen zu ändern – weil sie ihm vielleicht entwachsen sind?
    Ritchie: Ich wünschte, ich hätte mit etwas Besserem aufwarten können. Aber der Name ist ja nicht meine Erfindung. Er wurde mir verliehen. Nach dem Motto: Das kleine, weiße Kind, das rockt. Wobei ich mir schon manchmal wünsche, ich würde Led Zeppelin heißen – weil das verdammt cool klingt. Aber hey, Kid Rock ist immer noch besser als Fresh Prince.
    Anders: Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.