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Neues Album von Courtney Barnett
Introvertierter Rock’n’Roll-Feminismus

Courtney Barnett macht an der Oberfläche einen gänzlich unmodernen Pop: Ihre Riffs scheinen direkt vom Alternative Rock und Grunge der 90er-Jahre zu stammen. Sie selbst gibt sich in Interviews als wortkarge Slacker-Poetin. Doch ihre Texte sind alles andere als altbacken und ihre Musik rüttelt auf.

Von Christian Lehner | 19.05.2018
    Courtney Barnett sitzt weiß gekleidet in einer rot weiß gekachelten Eckes eines Schwimmbades neben sich ein altes analoges Telephon
    Courtney Barnett fühlt sich sichtlich unwohl in dieser durchdesignten Pop-Landschaft (© Pooneh Ghana )
    "Die Stadt sieht wunderbar aus, wenn man sich nur lange genug in einem Zimmer eingeschlossen hat", singt Courtney Barnett in einem ihrer neuen Songs und offenbart mit dieser Zeile viel von sich und über ihre Kunst. Die Songs sind Rock'n'Roll. In der Tonspur feiern sie das pralle Leben, im Text wollen sie daran jedoch nicht so recht teilnehmen.
    Irgendwas ist immer. Heute ist es das Luxushotel in Berlin. Alles strahlt und funkelt. Das Sofa ist silberfarben, die Fenster zur Spree sind riesig, der Tag ist herrlich, doch Barnett fühlt sich sichtlich unwohl in dieser durchdesignten Pop-Landschaft. Es fällt ihr aber auch sichtlich schwer, das zuzugeben, weil sie die Interview-Situation nicht ruinieren möchte. "Tell Me How You Really Feel", heißt Courtney Barnetts neues Album, also "Sag' mir, wie du dich wirklich fühlst".
    Ein Album als Selbsttherapie
    Courtney Barnett: "Es ist der Kampf um Aufrichtigkeit den eigenen Gefühlen gegenüber. Ich glaube, viele Menschen haben ein Problem damit, ehrlich zu sich selbst zu sein. Es stehen so viele Dinge im Weg: gesellschaftliche Normen, persönliche Unzulänglichkeiten, die Rollen, die wir freiwillig spielen. Wir sind also alle ständig auf der Suche. Für mich ist das Album eine Selbsttherapie, die mir bei dieser Suche helfen soll."
    Auf "Tell Me How You Really Feel" fasst Courtney Barnett all ihren Mut zusammen. Der teils ätzende, teils liebevolle Humor des Debütalbums "Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit" tritt etwas in den Hintergrund. Barnett forciert Themen wie Sexismus und Hass im Internet.
    Gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin feierte Courtney Barnett im Dezember 2017 die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen in Australien. Über das Ausmaß der sexuellen Übergriffe, die im Rahmen der #MeToo-Debatte ans Licht der Öffentlichkeit kamen, zeigt sie sich entsetzt. Im Song "Nameless/Faceless" zitiert Barnett eine Textzeile aus einem feministischen Roman, der verfilmt wurde und im vergangenen Jahr zum preisgekrönten Serienhit avancierte:
    "'Männer fürchten, von Frauen ausgelacht zu werden. Frauen fürchten, von Männern getötet zu werden.' So lautet das Textzitat aus dem Buch 'The Handmaid's Tale' von Margaret Atwood. Es ist bloß ein kleiner Aspekt in der ganzen Diskussion um Feminismus, aber solange der besteht, gibt es keine Gleichberechtigung. Ich bin eher zufällig auf das Zitat gestoßen, in einer Zeitschrift, während ich an den Songs geschrieben habe. Es ist ein einfaches, aber sehr starkes Statement!"
    Beste Newcomerin mit Schreibblockade
    "Need A Little Time", "Ich brauche etwas Zeit", heißt einer der Songs auf dem neuen Album. Für Courtney Barnett kam der internationale Erfolg spät und überraschend. Die heute 30-Jährige wurde vor zwei Jahren bei den Grammy-Awards als beste Newcomerin nominiert. Das anschließende Duett-Album mit dem amerikanischen Singer-Songwriter Kurt Vile war ein Hit. Es folgte eine Schreibblockade und deren Überwindung mit einer Schreibmaschine:
    "Ich probiere immer wieder neue Formen des Schreibens aus. Das macht es interessanter für mich, und ich glaube, meine Gedanken kommen so besser in Bewegung. Ich mag die Schreibmaschine sehr. Als Kind habe ich meine Mutter beobachtet, wie sie lange Briefe an Großmutter schrieb. Wenn sie fertig war, habe ich darauf herumgespielt. Ich liebe den Rhythmus, die Schwere der einzelnen Tasten. Es verlangsamt den Schreibfluss, macht ihn konzentrierter. Am Computer bin ich ständig versucht, spontane Gedanken mit der Backspace-Taste zu löschen. Dabei sind das oft die besten. An der Schreibmaschine bleiben sie jedoch erhalten, weil man sie schwieriger löschen kann."
    Vermeidung von Perfektion
    "Tell Me How You Really Feel" versprüht in vielen Songs die rohe Energie des Grunge und den Geist der feministischen Riot-Girl-Bewegung der 1990er-Jahre. Als Gäste treten die Schwestern Kim und Kelley Deal von den Breeders in Erscheinung, eine prägende Band dieser Zeit. Ebenfalls aus dieser Dekade stammt das Attribut "Slacker", das Courtney Barnett seit jeher anhaftet. Auf die Rockmusikerin umgemünzt, kann man es mit "an den richtigen Stellen wenig ambitioniert" beschreiben, zum Beispiel wenn es um die Vermeidung von Perfektion im Rock'n'Roll geht:
    "Klar, es ist schön, wenn man von Aufnahme zu Aufnahme etwas dazu lernt, wenn man zum Beispiel neue Effektgeräte ausprobieren kann und so weiter, aber im Studio bin ich eher ambitionslos. Wir gehen als Band rein, nehmen die Songs live auf, editieren am Ende ein paar Kleinigkeit und das war es dann auch schon. Ich mag es diesbezüglich simpel."
    Mit ihrem zweiten Album hat sich die Zweiflerin Courtney Barnett aus der Deckung gewagt. "Tell Me How You Really Feel" ist ein kraftvolles Bekenntnis zur Unvollkommenheit. Hier wird nicht schön gesungen und auch nichts schön geredet. Und doch hat fast jeder der zehn Songs Hitqualität. Wer dachte, Rockmusik hat 2018 nichts mehr zu bieten, sollte sich mit einer Dröhnung Courtney Barnett eines Besseren belehren lassen.