Donnerstag, 25. April 2024

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Neues Album von El Perro Del Mar
Youtube-Blick in die fernöstliche Welt

Das fünfte Album "KoKoro" von Sarah Assbring alias El Perro Del Mar ist eine Neuerfindung. Drei Jahre lang tauchte die Schwedin in verschiedene Musikkulturen Asiens ein, um nun fernöstliche Klänge in die westliche Popmusik zu bringen. Damit will sie kulturelle Brücken schlagen.

Von Vanessa Wohlrath | 10.09.2016
    Die Künstlerin El Perro Del Mar.
    Die Künstlerin El Perro Del Mar. (Märta Thisner)
    "Ich wollte eine andere Art Popsong schreiben und damit auch ein politisches Statement setzen, auf poetische Art und Weise. Das Album ist der Versuch, Grenzen zu überbrücken, weil das gerade heute ein so wichtiges Thema ist. Und das ist auch mein Anspruch an Popmusik. Dass sie die Menschen zusammenbringt."
    "KoKoro", so heißt das neue Album von El Perro Del Mar. Das ist japanisch und bedeutet "Herz". Und dieses will die Künstlerin jetzt öffnen – für andere Menschen und andere Kulturen. Weg musste daher der sanfte Melancholiepop, mit dem die Schwedin bekannt wurde. Her musste ein neuer Klangkosmos. Das fünfte Album von El Perro Del Mar: eine radikale Neuerfindung.
    Hintergrund des musikalischen Wandels sind die vielen Flüchtlinge, die jetzt Europa erreichen. Und wie Menschen unterschiedlicher Kulturen miteinander umgehen.
    "Wenn man sich Europa heute anschaut, dann scheinen unsere kulturellen Wertevorstellungen so auseinanderzudriften, wie schon lange nicht mehr. Mit dieser Platte stelle ich unseren verengten Blick auf die Welt infrage und versuche, zu zeigen, dass es auch anderes gibt, mehr als das, was dieser Blick vielleicht zulässt, und vor allen Dingen auch mehr als in den Medien gezeigt wird."
    Der Blick über den Tellerrand. Möglichst weit sollte er sein. Für El Perro Del Mar führte er nach Asien. Auf "KoKoro" ist zum Beispiel die Sheng zu hören, eine traditionelle chinesische Mundorgel. Oder Shakuhachi, eine japanische Bambusflöte.
    Über Youtube in Musikkultur Asiens eingetaucht
    El Perro Del Mar ist über YouTube in verschiedene Musikkulturen Asiens eingetaucht. Vor allem Gamelan-Musik faszinierte sie: Die bizarren Masken, die zu dem ausdrucksstarken Musikstil gehören, außerdem der Tanz. Auf diese Weise schuf El Perro Del Mar über drei Jahre hinweg eine eigene Klangwelt, in der aber auch Klischees und Fantasie viel Platz haben.
    "Ich war schon immer fasziniert von dem, was man für typisch asiatisch hält - die japanische Kultur, der Gedanke, wie sie zu sein hat - die Kleider, Kunst, Musik. Mich beeindruckt das genauso, wie andere vom schwedischen Design begeistert sind. Aber das entspricht ja nicht unbedingt der Realität, sondern das sind vielmehr Stereotype, mit denen man versucht, sich ein vereinfachtes Bild von einer Kultur zu machen. Ich habe da - wie jeder andere Künstler auch - meine eigenen Interpretationen und Auffassungen."
    Wie blicken Europäer auf Asien? Was ist Klischee und was entspricht der Wahrheit? Diese Fragen, mit denen El Perro Del Mar auf ihrem Album sehr spielerisch umgeht, beschäftigten auch die Agit-Popmusikerin Fatima Al Qadiri. Auf ihrem Debütalbum "Asiatisch" aus dem Jahr 2014 unterwanderte sie vermeintliche Gewissheiten mit asiatisch konnotierten Klängen, alter Folklore beispielsweise. Sounds, die so banal klingen und provozierend zugleich. Damit entwarf sie ein imaginäres China, durchsetzt von westlichen Stereotypen.
    Fatima Al Qadiri und El Perro Del Mar reagieren auf eine globalisierte Welt: Alte Grenzverläufe haben kaum mehr eine Bedeutung, aber paradoxerweise wollen die Leute doch am liebsten unter ihresgleichen sein. Möglichst homogen, Fremde unerwünscht.
    Popmusik soll Vorurteile abbauen
    Gerade die Popmusik könnte hier einen Beitrag leisten, um Vorurteile abzubauen, meint El Perro Del Mar. Und plädiert für mehr originär asiatische Popmusik auf dem europäischen Markt:
    "Die Vielfalt geht doch dabei verloren, wenn man immer nur glaubt, zu wissen, was die Leute hören wollen. Dieser überraschende Moment, wenn man etwas für sich entdeckt, das ist so unglaublich wichtig für den Menschen. Und genau das geht dabei verloren. Ich finde das ganz schön gefährlich. Und auf gewisse Weise sagt es sehr viel über unsere Zeit aus."
    "KoKoro" ist ein musikalisch wohl überlegtes, sehr offenes Werk. Eine Annäherung. Aber vor allen Dingen liest es sich als Gegenwartskommentar zu einer Gesellschaft, in der Youtube-Reisen nach Asien genauso inspirierend sein können wie eine Kreuzschifffahrt – aber eben auch genauso realitätsverzerrend. Der Blick nach draußen jedenfalls, virtuell oder nicht, erweitert den eigenen Horizont. El Perro Del Mar teilt diese Erfahrung mit ihren Hörern. Ein Gewinn für alle.
    "Wenn ich daran zurückdenke, wer ich einmal gewesen bin, und dann an die Musik denke, die ich damals mochte, dann wird mir klar, dass ich ein sehr begrenztes Musikrepertoire hatte. Damit bin ich jetzt durch. Deswegen hat es sich auch so gut angefühlt, endlich andere Musik zu entdecken."