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Neues Album von The Kills
"Wir sind einfach unsere eigene kleine Gang"

Seit 15 Jahren sind Alison Mosshart und Jamie Hince das Duo The Kills. Sie spielen einen minimalistischen Rock'n'Roll. Am Anfang habe die beiden niemand ernst genommen, sagte Mosshart im Corso-Gespräch. Sie hätten keine Ahnung, ob sie es mit ihrer Musik schaffen würden. Nun kommt das fünfte Album "Ash & Ice" - und da stecke jede Menge L.A. drin.

Alison Mosshart von The Kills im Corso-Gespräch mit Christian Lehner | 28.05.2016
    Christian Lehner: Unlängst haben Sie gesagt, dass Kunst unangenehm sein muss. Was meinen Sie damit in Bezug auf ihre Musik?
    Alison Mosshart: Bei The Kills gibt es ein Prinzip: Mach kein Album zwei Mal! Und das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Wir sind zu zweit, kennen uns sehr gut, haben unsere Routinen. Diese Gewohnheiten muss man durchbrechen. Wenn wir im Studio sind, fordern wir uns gegenseitig so lange heraus, bis wir die Komfortzone verlassen haben und nicht mehr wissen: Ist das jetzt gut oder schlecht? Können wir das überhaupt? Es geht darum, weiter zu gehen, als man es sich bisher zugetraut hatte. Erst wenn es hart wird, kann es ein richtig gutes Album werden.
    Lehner: Pop schreit nach ständiger Erneuerung. Gleichzeitig sollte man aber wiedererkennbar bleiben. Sie sind seit 15 Jahren ein Duo. Diskutiert man da die Grundlagen des Stils oder Songwritings, wenn man ein neues Album macht?
    Mosshart: Nein, überhaupt nicht. Das lernt man über die Jahre. Egal, welche Musik wir mit welchen Instrumenten spielen, sobald ich zu singen beginne und Jamie die Gitarre anstimmt, wird ein The-Kills-Song dabei rauskommen. Keine Ahnung, ob das bei anderen Bands ähnlich läuft, aber die Essenz ist kein Problem, alles andere aber schon.
    Lehner: Eine große Herausforderung war, dass ihr musikalischer Partner einen schweren Unfall hatte. Er hatte sich die Hand in einer Autotür eingeklemmt. Wie ging das weiter?
    Mosshart: Jamie hat sich an einer Hand schwer verletzt und musste sechs Mal operiert werden. Er verlor eine Sehne im Mittelfinger. Den kann er jetzt nicht mehr bewegen. Es traf die Greifhand. Was das für einen Gitarristen bedeutet, können Sie sich ja ausmalen. Aber Jamie kam als noch besserer Gitarrist zurück. Sein Instinkt sagte ihm, dass er nun einen anderen Weg finden muss, um seine Ziele zu erreichen. Er befasste sich intensiv mit Studiotechnik und Pro Tools. Er lernte anders zu spielen. Das hört man dem Album auch an.
    "Früher haben wir uns beim Aufnehmen in die Einsamkeit zurückgezogen"
    Lehner: Gab es weitere Komplikationen?
    Mosshart: Ja, wir sind nach Los Angeles gegangen und haben dort ein komplettes Studio eingerichtet. Wohnhäuser sind dafür allerdings alles andere als geeignet. Man braucht eine Schallisolierung und diese alten Kästen geben ständig seltsame Geräusche von sich. Wir waren mit Problemen konfrontiert, an die wir vorher nicht im Traum gedacht hätten: Vögel, Autos und was noch alles! Aber ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Es steckt jede Menge Los Angeles in dieser Platte. Früher haben wir uns beim Aufnehmen in die Einsamkeit zurückgezogen, plötzlich waren wir mitten in Hollywood! Es ist unmöglich, das zu ignorieren. Ich könnte 1.000 Bilder über Hollywood malen und 1.000 Geschichten darüber erzählen. Es ist sehr verrückt dort.
    Lehner: Sie gelten als Autonärrin. Sie sind viel gefahren in L.A.?
    Mosshart: Ja, ich liebe es, in L.A. Auto zu fahren, obwohl mich alle meine Freunde für verrückt erklären wegen des Verkehrs. Aber was gibt es Schöneres, als um 2 Uhr nachts entlang des Ventura Boulevard zu cruisen, inmitten all der Neonlichter und Billboards? Es ist das Romantischste auf der Welt.
    Lehner: Stimmt es, dass sie ein Muscle Car besitzen und schrauben Sie daran auch selbst rum?
    Mosshart: Ich bin die stolze Besitzerin eines getunten Dodge Challenger mit V8-Motor. Er ist so gut in Schuss, dass ich noch nie mit ihm in die Werkstatt musste. Ich bin mit Autos aufgewachsen. Mein Vater ist Gebrauchtwagenhändler. In unserer Einfahrt stand jeden Tag eine andere Karre. Außerdem bin ich Amerikanerin. Lange Autofahrten gehören bei uns zum Alltag. Meine Eltern haben mich auf Roadtrips mitgenommen, die teilweise drei Monate dauerten. Ich mag die Perspektive, das Rollen und Gleiten, die konstante Bewegung. Deshalb habe ich auch kein Probleme, wenn wir auf Tour gehen. Es gibt nichts, was ich so liebe, wie mit meinem Auto durch die Gegend zu fahren.
    "In der Kunst versteckt man ja auch immer seine Ängste"
    Lehner: Ihr neues Album heißt "Ash & Ice". Es ist das fünfte in Ihrer Karriere und es ist das sanfteste bisher.
    Mosshart: Da komme ich wieder auf das Konzept des Unbequemen zurück. Wir haben dieses Mal versucht, nicht so brachial rüberzukommen, nicht so auf den Tisch zu hauen, wie sonst. Es hat eine Zeit gedauert, bis wir so weit waren. In der Kunst versteckt man ja auch immer seine Ängste, oder versucht, sie verklausuliert zu formulieren. Das passiert meistens unabsichtlich, ohne dass man es selbst merkt. Wir wollten uns dieses Mal ein bisschen weiter aus der Deckung wagen. Das ist gar nicht so einfach, aber ich mag diese Herausforderung.
    Lehner: Ihr Output als Songschreiberin und Sängerin, aber auch als Malerin ist enorm. Es existieren hunderte Bilder, neben The Kills singen Sie auch noch in etlichen Seitenprojekten etwa mit Jack White. Versuchen Sie sich immer wieder neu zu entdecken?
    Mosshart: Ich war schon immer so. Es ist meine Art, mich mit der Welt auseinanderzusetzen und zu kommunizieren. Für mich ist das ganz normal. Bilder und Texte entstehen oft in wenigen Minuten. Für alles andere habe ich keine Geduld. Vielleicht legt sich das mit dem Alter.
    Lehner: Ihr Rock'n'Roll klingt ziemlich trocken und minimalistisch. Er hat einen hohen Wiedererkennungswert.
    Mosshart: Normalerweise bestimmt der Song, wo es langgeht. Es macht wenig Sinn, ein Stück mit Hall- und Echoschichten zu überziehen, wenn es nicht seinem Innenleben entspricht. Minimalistisch klingen wir, weil wir ein Duo sind. Selbst wenn man die Produktion mit Sounds vollstopfen würde, klänge es immer noch reduziert.
    "Wir sind einfach unsere eigene kleine Gang"
    Lehner: Jamie Hince, Ihr Partner bei The Kills, hat unlängst gesagt, er hätte das Gefühl, dass Sie beide noch immer gegen den Rest der Welt ankämpfen müssten. Das ist auch eines der zentralen Motive im Rock'n'Roll. Wie stehen Sie dazu?
    Mosshart: Er hat das sicher im übertragenen Sinn gemeint. Wir sind einfach unsere eigene kleine Gang, eine Zweipersonen-Kunstbewegung, wenn Sie so wollen. Am Anfang nahm uns niemand ernst und wir hatten keine Ahnung, ob wir es je schaffen würden. Wir haben heimlich unsere Songs geschrieben und unsere kleinen verschworenen Spielchen gespielt. Das ist im Wesentlichen so gelieben. Wir sind irrsinnig dankbar dafür, dass wir noch immer so viel Freude haben an der Sache und noch nicht ausgebrannt sind.
    Lehner: Würden Sie sagen, dass sie vernünftiger geworden sind, was den Lifestyle anbelangt?
    Mosshart: Das Sex'n'Drugs- und Rock'n'Roll-Klischee ist, was es ist: ein Klischee. Alle, die ich kenne in diesem Geschäft, rackern sich ab, um überhaupt weitermachen zu können. Dass man die ganze Zeit nur glamouröse Partys feiert, das ist eine Fantasie. Musikmachen ist ein Full-Time-Job und natürlich bekommt man mit der Zeit zu spüren, dass man mehr Schlaf braucht als früher und dass man mit seiner Energie anders haushalten muss. Aber lassen Sie uns die Menschen nicht frustrieren. Sagen wir also einfach: Ja, es ist eine Non-Stop-Party für alle.
    Lehner: Sie beide gelten als Mode-Ikonen, und das nicht erst, seit ihr Partner mit Supermodel Kate Moss verheiratet war. Gibt es einen speziellen Stil, den Sie entwickelt haben?
    Mosshart: Das würde ich jetzt nicht behaupten, ich lebe quasi in Blue Jeans und schwarzen Lederstiefeln. Wenn ich an Fashion-Ikonen denke, denke ich an unerschwingliche Einzelstücke und Modeschauen, oder an Schuhe, die man nur auf dem Catwalk tragen kann. Aber wir fühlen uns geschmeichelt, dass viele Modemagazine über uns schreiben und dass unserer Kreativität eine gewisse Relevanz zugesprochen wird. Im Pop ist das Gesamtpaket wichtig, nicht nur die Musik, und das setzt sich aus vielen verschiedenen Komponenten zusammen. Es wäre doch seltsam, wenn Jamie und ich in Badeshorts und Sandalen auftreten würden. Sieh aus wie deine Musik. Das ist das Mindeste.
    Lehner: Bei Ihnen und Jamie Hince hat man das Gefühl, dass sie mit den Jahren eher zusammenwachsen als auseinanderdriften. Warum ist das so?
    Mosshart: Wissen Sie, wenn man mit jemandem ein halbes Leben auf Tour war, gibt es keine Überraschungen mehr. Wir zwei sind wie eine Familie. Sie könnten uns in eine Schatulle sperren und wir würden uns prima verstehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.