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Neues Anti-Terrorgesetz in Frankreich
Raus aus dem Ausnahmezustand

Seit den Attentaten von 2015 herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand. Ein neues Sicherheitsgesetz soll ab November an seine Stelle treten. Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten warnen, dass die daraus resultierenden Befugnisse eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellen könnten.

Von Kerstin Gallmeyer | 18.10.2017
    Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron winkt in die Kamera.
    Emmanuel Macron verteidigt das neue Gesetz, das in den Augen von Kritikern den Rechtsstaat in Gefahr bringt (dpa-Bildfunk / AP / François Mori)
    "Das Niveau der Bedrohung, die in unserem Land vorherrscht ist hoch. "
    Was Frankreichs Premierminister Edouard Philippe Anfang Oktober in der Nationalversammlung mit Nachdruck betonte, ist seit den Anschlägen von vor zwei Jahren fast schon zu einem Mantra der französischen Regierungen geworden.
    Egal, ob unter Präsident Macron oder dessen Vorgänger Hollande. Seit den Pariser Attentaten vom 13. November 2015 herrscht in Frankreich Ausnahmezustand. Mehrfach wurde er verlängert. Ab Anfang November soll das neue Sicherheitsgesetz an seine Stelle treten:
    "Die Hauptaufgabe des Staates ist es, zu schützen", warb das französische Staatsoberhaupt zuletzt am vergangenen Sonntag in einem langen Fernsehinterview für das neue Antiterror-Gesetz.
    "Das Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, ermöglicht es uns, aus dem Ausnahmezustand auszusteigen und der Bedrohung die Stirn zu bieten."
    Kritik: Verschmelzung von Ausnahme- und Normalzustand
    Die Nationalversammlung hatte bereits vergangene Woche der endgültigen Version des Gesetzes grünes Licht gegeben. Und am Ja des Senats heute besteht keinerlei Zweifel. So verhallen die Warnungen französischer Menschenrechtsorganisationen und Rechts-Experten, darunter die renommierte Juristin Mireille Delmas-Marty, nahezu ungehört.
    Delmas-Marty sieht in dem neuen Antiterrorgesetz eine große Gefahr für den Rechtsstaat: "Der Ausnahmezustand unterscheidet sich nicht mehr vom Normalzustand. Es ist mehr als eine Verewigung des Ausnahmezustands. Ich würde es eine Verschmelzung von Ausnahme- und Normalzustand nennen."
    Denn mit dem neuen Anti-Terrorgesetz gelten Sonderbefugnisse, über die Frankreichs Behörden im Ausnahmezustand verfügen, künftig zu jeder Zeit – wenn auch zum Teil leicht abgeschwächt: So können sie die Bewegungsfreiheit von Terrorverdächtigen auf den Radius der Gemeinde beschränken. Präfekte dürfen – mit Zustimmung eines Richters – Hausdurchsuchungen anordnen.
    Wirksamkeit der Maßnahmen unbewiesen
    Außerdem können Behörden Kultstätten schließen, in denen zu Terrorismus aufgerufen wird und bei Veranstaltungen Sicherheitszonen mit Kontrollen von Personen, Gepäck und Autos einrichten. Diese Befugnisse sollen zunächst bis Ende 2020 gelten und einer regelmäßigen Kontrolle des Parlaments unterliegen. Dazu sind künftig an Flughäfen, Bahnhöfen und Häfen in einem Umkreis von 10 Kilometern Identitätskontrollen erlaubt.
    "Der Gesetzestext über den Kampf gegen den Terrorismus und die innere Sicherheit, zielt darauf ab, Frankreich mit allen heute zur Verfügung stehenden Mitteln auszustatten, angesichts der terroristischen Bedrohung", verteidigt Emmanuel Macron das neue Gesetz, das in den Augen seiner Fürsprecher eine Balance zwischen Sicherheit und Schutz der persönlichen Freiheiten bietet.
    Der Meinung ist Strafrechtsprofessorin Christine Lezerges, die die Regierung in Menschenrechtsfragen berät, allerdings ganz und gar nicht: "Man kann nicht sagen, dass dieses Gesetz ausgeglichen ist. Das Recht auf Sicherheit wiegt schwerer, als das Recht auf individuelle Freiheit und die Grundrechte. Dabei ist die Wirksamkeit dieser Maßnahmen nie bewiesen worden, seitdem der Ausnahmezustand in Frankreich ausgerufen worden ist."