Donnerstag, 28. März 2024

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Neues Barockmusikfestival im israelischen Akko
Alcina in der Kreuzritterfestung

Hohe Wehrmauern mit Zinnen, ein Glockenturm, ein großer Innenhof und darüber ein Himmel voller Sterne und das Zirpen spätsommerlicher Grillen. Es gibt wohl keinen suggestiveren Ort als diesen, um die Geschichte der heidnischen Magierin Alcina aufzuführen, die christliche ehrbare Ritter verzaubert und zu ihren Liebhabern macht – gegen deren Willen.

Von Thomas Migge | 04.10.2016
    Blick auf die Altstadt von Akko am Ufer des Mittelmeers in Israel
    UNESCO-Weltkulturerbe in Israel: Akko (imago / suedraumfoto)
    Die Handlung von Georg Friedrich Händels Oper "Alcina" von 1735, uraufgeführt am Covent Garden in London, basiert auf einer Episode aus dem im frühen 16. Jahrhundert von dem italienischen Dichter Ludovico Ariost verfassten Epos "Orlando furioso", der rasende Roland. Ein Epos, das mit einer Rahmenhandlung und zahlreichen selbstständigen Einzelepisoden den Kampf mutiger Christen gegen böse Heiden erzählt.
    Barock-Festival im Weltkulturerbe
    Händels Oper mit der in den Ritter Ruggiero verliebten Alcina, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Liebe nicht nur als Spiel und Zauberei, sondern als echtes Gefühl erlebt, erklang im original erhaltenen Innenhof der mittelalterlichen Zitadelle von Akko, im Norden Israels. Der beeindruckende Gebäudekomplex, Weltkulturerbe der Unesco, wurde im 12. Jahrhundert von Rittern des Johanniterordens errichtet, als Palästina in Folge der Kreuzzüge von den Christen beherrscht wurde. Bis 1291. In jenem Jahr wurden die Ritter vertrieben und Akko muslimisch. Heute ist die am Meer gelegene Stadt einer jener inzwischen in Israel selten gewordenen Orte, an denen Juden und Muslime mal mehr, mal weniger friedlich dicht an dicht zusammenwohnen - der ideale Ort für ein Barockmusikfestival, dachte sich die französische Ärztin Muriel Haim. Seit 2005 kümmert sie sich mit ihrer Organisation "Un coeur pour la paix" um kranke palästinensische Kinder im Gazastreifen und in der Westbank. Mit ihrer Hilfe erhalten diese Kinder in israelischen Krankenhäusern schnell, problemlos und gratis jede Art medizinischer Behandlung:
    "Ich arbeite immer wieder in Akko und dieser Ort ist so ungewöhnlich, dass ich mir dachte: das ist doch das perfekte Ambiente für Barockopern!"
    Die Barockmusikliebhaberin rief deshalb Christophe Rousset an, den Leiter des Ensembles "Les Talens Lyrique". Rousset war gleich begeistert von der Idee.
    Spitzenstars und Nachwuchstalente
    Aus der, wie sie selbst sagt, verrückten Idee eines neuen Festivals entstand eine Veranstaltung, mit dem Titel "Meet in Galilee", die in Windeseile auf die Beine gestellt wurde – mit Hilfe der Region Galiläa, die im Vergleich zu Jerusalem und Tel Aviv immer noch im Schatten des Israeltourismus steht. Drei Opern standen auf dem Programm– neben Händels "Alcina" auch "Acteon" von Marc-Antoine Charpentier und Henry Purcells "Dido and Aeneas". Unter den Sängern große Namen wie Sandrine Piau, sie war eine ergreifende Alcina mit einer für die Rolle perfekten reifen Stimme, mit Vivica Genaux und Maite Beaumont. Einige Sänger gehören zum viel versprechenden israelischen Opernnachwuchs - wie etwa die ausgezeichnete junge Sopranistin Anat Edrin.
    Dass aus der spontanen Idee der Französin in weniger als 18 Monaten ein neues, wenn auch kleines, aber feines Festival wurde, ist vor allem den Sponsoren aus der französischen und israelischen Wirtschaft zu verdanken, sowie der Logistik des Ensembles "Les Talens Lyrique". Christophe Rousset entschied sich, denn viel Vorbereitungszeit hatte man ja nicht, Werke in Akko aufzuführen, die er in diesem Jahr bereits in Amsterdam und in Beaune präsentiert hatte. Für das in Sachen Barockmusik nicht gerade üppig gesegnete Israel ist dieses Festival eine Neuheit: gleich drei barocke Meisterwerke an zwei aufeinander folgenden Tagen, mit weltbekannten Musikern und Sängern. Christophe Rousset:
    "Das ist ein ausgezeichneter Versuch die Menschen hier für diese Art der Musik zu begeistern. Barock hat in Israel, bis auf Kirchenkonzerte, eher Seltenheitswert. Und dann an so einem herrlichen Ort!"
    Ritteropern bevorzugt
    Wie es mit dem neuen Festival in Akko weitergehen soll, ist noch unklar. Muriel Haim ist sich aber sicher, dank ihrer ausgezeichneten Kontakte zu Unternehmen und Finanziers, auch für das kommende Jahr das nötige Geld zu finden. Die Idee weiterer Ausgaben von "Meet in Galilee" findet Rousset ungemein anregend – vor allem wenn man sich auf jene Barockopern konzentriert, in denen Themen der Ritterwelt des Mittelalters behandelt werden:
    "Als ich zum ersten Mal hier die Kreuzritterfestung betrat, und zunächst einen schattigen Garten mit einem Brunnen durchschritt, fühlte ich mich sofort an den Zaubergarten der "Armida" erinnert. Opern, in denen die Figur der "Armida" behandelt wird, gibt es eine Menge! Von Gluck, von Lully. Oder Opern mit anderen mittelalterlichen Figuren. "Das befreite Jerusalem" von Torquato Tasso etwa ist eine der Hauptquellen für barocke Opernlibretti!"
    Rousset ist davon überzeugt, dass es Barockopern für gleich mehrere Festivals im mittelalterlichen Ambiente Akkos gibt. Bleibt nur zu hoffen, dass für die in Israel ungewöhnliche Veranstaltung ausschließlich mit Barockmusik im kommenden Jahr besser geworben wird. Nicht wenige Plätze blieben an den Aufführungsabenden leer. Gekommen waren vor allem jüdische Musikfreunde aus dem Einzugsgebiet der beiden benachbarten Städte Akko und Haifa. Im kommenden Jahr will man verstärkt junge arabische Israelis in die Konzerte einladen. Geplant ist die Zusammenarbeit mit lokalen Schulen.
    Ohne das international bekannte Opernfestival in Massada am toten Meer, das wegen der seit einiger Zeit gehäuften palästinensischen Anschläge nicht mehr stattfindet, könnte das malerische Akko zum neuen Zentrum des israelischen Festivaltourismus werden.