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Neues Buch über Angela Merkel
Zurückhaltung als Taktik

An Büchern über Angela Merkel mangelt es inzwischen ganz und gar nicht. Nun legt der "Spiegel"-Journalist Dirk Kurbjuweit ein weiteres auf den Stapel. In "Alternativlos" muss sich nicht nur die Kanzlerin Kritik gefallen lassen, sondern auch wir, die Bürger dieses Landes.

Von Barbara Roth | 25.08.2014
    Angela Merkel - aufgenommen am 28. Mai 2014 im Deutschen Historischen Museum
    Dirk Kurbjuweit: "Merkels Inszenierung wirkt wie eine Nicht-Inszenierung. Sie ist eine karge Kanzlerin, sie regiert unauffällig, beherrscht, nüchtern." (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    "Ich persönlich fühle mich ja nicht immer, als ob ich Kanzlerin bin. Also wenn ich da im Kochtopf rühre, da sage ich nicht, die Kanzlerin rührt jetzt im Kochtopf oder so."
    Seit neun Jahren regiert Angela Merkel Deutschland. Sie scheint nicht hochnäsig, nicht eitel, sondern irgendwie wie Du und ich zu sein. Eine Bundeskanzlerin, die am liebsten Kartoffelsuppe kocht und zum Leidwesen ihres Mannes beim Pflaumenkuchen mit den Streuseln geizt. Merkel macht die Macht normal. Was auch erklärt, warum die Kanzlerin so beliebt ist; beliebt wie nie zuvor – wie die jüngsten Umfragen zeigen.
    "Angela Merkel steht für den Machterhalt. Für eine kluge Politik, um sich irgendwie mit ihrer Bevölkerung, ihrem Volk zu vereinen, dem Volk Gutes zu tun. Dass der Wohlstand der Deutschen nicht beeinträchtigt wird, dass er weiter steigt. Ich glaube, da verkörpert sie schon so eine aktuelle Zeitstimmung. Die Deutschen möglichst rauszuhalten aus der internationalen Krisenbewältigung. Die Deutschen insgesamt zu schonen. Und was ja auch sehr, sehr gut ankommt",
    sagt der Autor und Journalist Dirk Kurbjuweit, der auch im "Spiegel" über Angela Merkel schreibt. Sein Buch hat er in acht Kapitel unterteilt, er stellt Fragen, die er erzählerisch beantwortet. Leben wir in einer Ära Merkel? Wie haben die früheren Kanzler ihre Macht ausgeübt? Was hat sich unter Merkel verändert? Und was sagt es über die Deutschen und die Demokratie aus, wenn man fast von einer Symbiose zwischen Kanzlerin und Volk sprechen kann?
    "Merkels Inszenierung wirkt wie eine Nicht-Inszenierung. Sie ist eine karge Kanzlerin, sie regiert unauffällig, beherrscht, nüchtern ... Sie wirkt wie eine Politikerin, die über den Dingen steht, sich aber kümmert und dabei achtsam und seriös vorgeht. Sie drängt sich nicht vor, sie fällt nicht auf, und wahrscheinlich wollen viele Leute genau das. Merkel nervt nicht, sie provoziert keine Ablehnung."
    Die Kanzlerin der großen Ruhe
    Egal, ob sie die Eurokrise meistert, ihre Koalitionspartner domestiziert oder aktuell in der Ukraine-Krise agiert: Angela Merkel ist die Kanzlerin der "ganz großen Ruhe", schreibt Kurbjuweit. Was kein Kompliment ist, sondern Kritik: Weil Merkel der Bevölkerung nichts abverlangt - keine Reformen, keine Opfer, keine Debatten, keinen Streit. Stattdessen schonen sich Kanzlerin und Volk gegenseitig.
    "Sie wirkt so alternativlos, weil da niemand ist, der sie wirklich herausfordern kann, weil sie so ein gerade symbiotisches Bündnis mit der Bevölkerung eingegangenen ist, sodass auch der Wunsch der Bevölkerung fehlt, dass doch mal eine andere Kanzlerin oder ein anderer Kanzler sie ablöst. Früher hat man ja Sätze gehört wie 'Kohl muss weg' oder 'Schröder muss weg'. Ich glaube, niemand sagt jetzt 'Merkel muss weg', weil sie niemand bedroht oder lästig wird, weil sie einfach so ist, wie sie ist."
    Die Konsens- und Schonungsnation Deutschland habe sich in der Konsens- und Schonungskanzlerin Merkel gefunden. Ein ideales Zusammenspiel, urteilt der Journalist wortreich. Wobei er betont, ideal heiße nicht gut, sondern nur passend. So sei "alternativlos" ein treffendes Wort für Merkels Kanzlerschaft - traurigerweise, fügt er hinzu. Sein Fazit ist dann auch deutlich.
    "Volkskanzlerin wäre eine gute Bezeichnung für Merkel, weil die Alternativlosigkeit in diesem Wort steckt. Oder, ganz einfach: Sie ist die Lieblingskanzlerin der Deutschen".
    Es ist Dirk Kurbjuweits zweites Buch über Angela Merkel. Ob sie eine Kanzlerin für alle ist, hat er sich in einem im Jahr 2009 veröffentlichten Porträt gefragt. Sie kennen sich schon lange, er ist mehrfach mit ihr gereist, hat viel mit ihr gesprochen, ihr Fragen gestellt, ihr vor allem zugehört.
    "Bei meinem letzten Buch, da gab es so ein Mittagessen und da sagte sie, ihre Mutter würde gerade mein Buch lesen über Angela Merkel, ihre Tochter. Und es sei interessant für ihre Mutter zu erfahren, wie Angela Merkel in Berlin so leben würde und welchen Kräften sie so ausgesetzt sei."
    Sein neues Buch dürfte Merkels Mutter nicht gefallen, denn es liest sich wie eine Abrechnung mit Tochter Angela – vor allem wenn Kurbjuweit über ihre sieben Vorgänger scheibt. Es geht um Kanzlergeschichten, Kanzlerdasein. Indem er sich ausführlich mit den Amtszeiten von Adenauer bis Schröder befasst, macht er Merkels Kanzlerschaft in ihren – wie er es nennt - "Eigentümlichkeiten" deutlich.
    "Merkel ist nicht aggressiv. Sie kann sarkastisch sein, schadenfroh, aber sie greift nur selten jemanden an. Und wer nicht angreift, liefert weniger Grund, selbst angegriffen zu werden. Sie spitzt nicht einmal zu, eröffnet keine Debatten, sondern redet in der Regel neutral daher. Sie verbreitet die Aura der Aufregungslosigkeit um sich, der Langeweile. Das ist wirklich innovativ, diese Machtstrategie hat noch keiner versucht."
    Man muss sein Urteil nicht teilen, Fakt aber ist: Ihre Vorgänger hatten stets Ärger, wenn sie gestalten und etwas verändern wollten. Bei Konrad Adenauer war es die Wiederbewaffnung, bei Willy Brandt die Osterweiterung. Helmut Kohl wurde angefeindet, weil er den Euro wollte und Gerhard Schröder die Agenda 2010.
    "Merkel ist als Impulsgeberin bislang ausgefallen, und genau das will sie. (...) Sie hat erkannt, dass die Europa- und Euro-Begeisterung vor allem in der Seele von Helmut Kohl liegt, dass die Bevölkerung eher skeptisch ist und dass ihr dies Spielräume für eine selbstbewusste Europapolitik gewährt. Sie hat erkannt, dass zu den Konsenswünschen der Deutschen eine Große Koalition am besten passt. Das alles ist Schonung pur. Niemand muss sich aufregen. Ein Slogan wie "Stoppt Merkel" würde die Frage provozieren: Wobei?"
    Kurbjuweit spricht vom Ende der Politik, wenn auch mit einer Spur zu viel Leidenschaft. Davon dass der Demokratie die Lebendigkeit fehle, weil sich Angela Merkel dem Dissens verweigert.
    "Politik in der Demokratie entsteht über die Auseinandersetzung. Und dieses Klima, das für Demokratie so wahnsinnig wichtig ist, ist uns in den Merkel-Jahren leider verloren gegangen. Wir haben immer noch viele Arbeitslose, die Unterschiede zwischen arm und reich, die wachsen, die Durchlässigkeit der Schichten, die wird immer geringer und das sind doch noch große ungelöste Fragen, genauso wie das demografische Problem. Und da hätte eine Frau mit so viel Macht wie Angela Merkel, die hätte mal was riskieren müssen. Bei Angela Merkel und da bin ich wirklich enttäuscht, sehe ich so was nicht."
    Eine bedeutende Kanzlerin? "Nein"
    Im kommenden Jahr wird Angela Merkel zehn Jahre lang regieren; länger als alle ihre Vorgänger von der SPD, bald so lange wie Adenauer. Ob sie eine bedeutende Kanzlerin ist? Dirk Kurbjuweit sagt: Nein. Denn noch hat sie in seinen Augen nichts Herausragendes geleistet. Und fast hat man als Leser den Eindruck, er warte sehnsüchtig auf das Ende ihrer Kanzlerschaft.
    "Der UNO-Generalsekretär wird, glaube ich, 2017 abgelöst und das wäre für sie eigentlich ein ideales Datum. Deshalb könnte ich mir vorstellen, wenn Angela Merkel das Gefühl hat, dass sie eine Chance hat auf dieses Amt, dann würde sie auch auf die Fortsetzung ihrer Kanzlerschaft verzichten."
    Dirk Kurbjuweit: "Alternativlos. Merkel, die Deutschen und das Ende der Politik"
    Carl Hanser Verlag, 288 Seiten, 19,90 Euro,
    ISBN: 978-3-446-24620-1