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Neues Buch von Laurie Penny
"Jede Politik ist Identitätspolitik"

Laurie Penny ist für viele junge Frauen eine Ikone: Die Britin analysiert in ihren Schriften Möglichkeiten eines politischen Feminismus unter den Bedingungen neoliberaler Politik. Nun ist ihr neues Buch erschienen: "Bitch Doktrin" - wieder mit kraftvollen und direkten Denkanstößen.

Von Heidemarie Schumacher | 26.09.2017
    Laurie Penny
    Die britische Autorin und Bloggerin Laurie Penny. (Jon Cartwright)
    Die britische Bloggerin, Aktivistin, Essayistin und Schriftstellerin Laury Penny wurde mit ihrem Buch "Fleischmarkt" (deutsch: 2012) zu einer Ikone des jungen Feminismus. In "Fleischmarkt" geht es um den weiblichen Körper in Mode, Werbung und Pornografie unter kapitalistischen Bedingungen.
    Irgendwie hatte man das ja schon einmal gehört und hätte gern erwidert, dass im Kapitalismus nicht nur weibliche Körper zur Ware werden, sondern Körper generell, wenn man an die Medizin-, die Sport-, Pharma-, oder Bestattungsindustrie denkt. Dennoch: Die Vermarktung des weiblichen Körpers ist visuell sehr viel präsenter, spezifisch in der Präsentation und sie hat vor allem schwerwiegende Folgen für die Frauen selbst. Die Vehemenz, mit der Penny, die selbst lange unter Anorexie litt, ihre Thesen vertrat, brachten dem Thema eine neue Beachtung, vor allem bei jungen Frauen, die für die Diktate der Mode- und Werbeindustrie besonders anfällig sind.
    "Riot not diet" hieß Pennys Appell. Frei übersetzt: Rebelliere statt zu hungern. Gender, das soziale Geschlecht und seine mediale Repräsentation, kolonialisiere unsere Gedanken, begrenze unseren Horizont und damit die Rebellion gegen die Normen des Mainstream.
    Inzwischen ist die punkige Autorin zu einer Journalistin mutiert, die regelmäßig für den "New Statesmen", die "New York Times" oder den "Guardian" schreibt.
    Oft genug musste sich Penny das Schimpfwort Bitch anhören
    "Bitch Doktrin", ihr neuestes Buch, hat Penny so genannt, weil sie sich, wenn sie für soziale Veränderung plädiere, oft genug das Schimpfwort Bitch (Schlampe, Miststück) anhören müsse. Das Gute daran sei: Bitches get stuff done. - Miststücke bekommen was auf die Reihe.
    Wer aber glaubt, mit den Bitches seien Frauen gemeint, die es nach "oben" geschafft haben in unserer Gesellschaft, der irrt. Karrierefrauen sind für Penny die Prototypen des Neoliberalismus. Dem feministischen Mainstream gehe es nur um Aufstiegschancen für Mittelschichtsfrauen.
    So heißt es in "Unsagbare Dinge", ihrem zweiten Manifest:
    "Die Art Feminismus, die seit Jahren in den Medien eine Rolle spielt und die Schlagzeilen beherrscht, nützt in erster Linie den heterosexuellen, gut verdienenden weißen Frauen der Mittelschicht und der oberen Mittelschicht. Öffentliche 'Karrierefeministinnen' sind damit beschäftigt, 'mehr Frauen in die Vorstände' zu bringen, dabei besteht das Hauptproblem darin, dass es schon viel zu viele Vorstandszimmer gibt und keins von ihnen brennt. Es hieß, die Geschlechterbefreiung würde wie der Wohlstand nach unten 'durchsickern'. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Feminismus sickert wie Wohlstand nicht nach unten durch, und während sich eine kleine Zahl extrem privilegierter Frauen Gedanken über die gläserne Decke macht, füllt sich der Keller mit Wasser, und Millionen von Frauen und Mädchen sind samt ihren Kindern da unten eingesperrt und starren nach oben, während ihnen das Wasser in die Schuhe läuft, um die Knie schwappt und langsam zum Hals steigt."
    Charakter eines politischen Traktats mit appellatorischer Funktion
    "Bitch Doktrin" ist wie die anderen Bücher in der Reihe "Flugschriften" der edition nautilus erschienen und wie alle Non-fiction-Bücher von Penny hat auch dieser Text den Charakter eines politischen Traktats mit appellatorischer Funktion. Ihr Hauptanliegen macht die Autorin in der fast 30-seitigen Einleitung deutlich: Der Themenkomplex Hautfarbe, Gender, Klassenzugehörigkeit, sexuelle Orientierung, genannt Identitätspolitik, scheint ihr so aktuell wie eh und je und gehe nur mit der Kritik am Neokapitalismus zusammen.
    "Der Kapitalismus hat die verfügbaren Arbeitskräfte stets nach Hautfarbe und Geschlecht getrennt und dafür gesorgt, dass wir in Krisenzeiten nicht die Maschine in Brand setzen, sondern einander. Jede Politik ist Identitätspolitik, und heute ist wahrlich nicht die richtige Zeit, unser Engagement für die Rechte von Frauen und ethnischen Minderheiten und für sexuelle Gleichberechtigung einzustellen."
    Klagt die Autorin damit ein demokratisches Recht für die im Hinblick auf Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe Unterprivilegierten ein? Mitnichten. Penny begreift sich als Sozialistin, sie sieht toxische Männlichkeit, wie sie es nennt, durchaus strukturell und ökonomisch begründet. Die alte identitätspolitische These, dass es weiße, alte Männer sind, die weltweit an den Schalthebeln des patriarchalen Kapitalismus sitzen, hat sich für Penny nach der Wahl Trumps in den USA bestätigt. Und es waren überwiegend weiße Arbeiter die Trump gewählt haben, Arbeiter, die meinten, um ihr Geburtsrecht betrogen worden zu sein. Sie haben recht, sagt Penny, man hat sie übers Ohr gehauen, "sie haben sich aber gefährlich täuschen lassen darüber, wer den Schwindel angezettelt hat." Junge heterosexuelle Männer, die wirtschaftlich gescheitert sind, hierzu zählt sie auch junge Immigranten, ließen ihre Wut da aus, wo der Kapitalismus es ihnen erlaube, an Frauen und Schwulen.
    "Wir jungen Frauen des 21. Jahrhunderts müssen den Bartleby in uns wiederentdecken"
    Für die Privilegierten dieser Gesellschaft bezweifelt Penny die Möglichkeit einer Work-Life-Balance. Aus Anne-Marie Slaughters Buch "Was noch zu tun ist" liest sie die Botschaft, dass Frauen sich noch ein bisschen mehr anstrengen müssten, damit alle glücklich sind. Denn, so Penny, es sind nicht nur Job und Hausarbeit, es sei vor allem die emotionale Arbeit, die überwiegend den Frauen aufgehalst werde. Ihr Rat an junge Leserinnen lautet daher, allein zu leben und sich zu verweigern. Besonders für heterosexuelle junge Frauen sei es nicht nur "okay", nicht nur "erträglich" – es sei wirklich besser.
    "Da das Frausein nach wie vor mutmaßlich nicht enden wollende ermüdende Arbeit mit sich bringt, müssen wir jungen Frauen des 21. Jahrhunderts den Bartleby in uns wiederentdecken. (…) 18 Jahre lang geplagt sein von Erschöpfung und schlechtem Gewissen, ständig bemüht, allen Erwartungen der Lohnarbeit und des Mutterseins gleichzeitig zu genügen? Ich möchte lieber nicht. Ich habe noch so viel zu tun. Staffel fünf von Kampfstern Galactica habe ich noch nicht zu Ende gesehen! Noch nie habe ich mir in einer Moskauer Schwulenbar die Kante gegeben! Ich will noch so viele Bücher lesen! Abenteuer bestehen! Und klar, manches von dem könnte ich mit einem Baby auf dem einen Knie und der Aktentasche auf dem anderen, aber ich möchte lieber nicht."
    Im Sinne Simone de Beauvoirs fordert Penny junge Frauen auf, sich finanziell und emotional Unabhängigkeit zu bewahren und sich an die Frauen der letzten Jahrhunderte zu erinnern, die aus eigenem Entschluss ohne Partner blieben, damit sie Kunst und Geschichte machen konnten, "ohne dass ständig ein Mann um sie herumlungerte und ein warmes Abendessen oder ein Lächeln von ihnen erwartete."
    Pennys Ansichten sind streitbar und erfrischend
    Der abgeschotteten heterosexuellen Paarromanze setzt sie ihr Modell der Polyamorie entgegen, wohlwissend, dass sie damit auf gesellschaftlichen Widerstand stößt. Interessant ist auch ihre Sicht auf Transgender-Frauen. In ihren Augen spielen sie eine wichtige Rolle im Rahmen des Feminismus, indem sie jedes soziale Stereotyp über Männer und Frauen infrage stellen.
    Viele Argumente in "Bitch Doktrin" ließen sich leicht relativieren. Man ist jedoch als Leserin eher geneigt, sich von der Energie und dem Zorn der jungen Autorin mitnehmen zu lassen. Ihre Gewaltmetaphorik von den brennenden Maschinen und Vorzimmern nimmt man ihr dabei nicht ganz ab:
    "Oft höre ich auch die Hypothese, dass diese nörgelnden Schlampen nur mal richtig durchgevögelt werden müssten. Ich habe sie empirisch überprüft, aber mein Forderungskatalog hat sich nicht verändert. Ganz oben steht eine freundlichere Welt."
    Und eine freundlichere Welt erzielt man eher nicht, indem man sie in Brand setzt. Pennys Ansichten sind streitbar und erfrischend, weil sie kraftvoll und direkt Denkanstöße liefern. Aus einer an Streitschriften armen Generation junger Publizisten ragt sie wohltuend heraus.
    Laurie Penny: "Bitch Doktrin"
    Edition Nautilus, 320 Seiten, 22 Euro.