Lehrerin über den Ramadan

"Schule geht vor"

08:05 Minuten
Julia Wöllenstein im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 06.05.2019
Audio herunterladen
Nach Beobachtung der Lehrerin Julia Wöllenstein fasten immer mehr muslimische Schüler während des Ramadans. Ihre Schule stellt das vor Herausforderungen - wenn es den Kindern nicht gut damit geht, werden sie zum Essen und Trinken angehalten.
Unkonzentrierte, müde und hungrige Schüler - der Fastenmonat Ramadan stellt auch für Lehrer an deutschen Schulen eine Herausforderung dar. Denn immer mehr muslimische Schüler fasteten, sagt die Lehrerin Julia Wöllenstein, die an einer hessischen Gesamtschule arbeitet.
Im Ramadan müsse die Schule deswegen schauen, ob es den Kindern mit dem Fasten auch gut gehe. Wenn das nicht der Fall sei, würden die Kinder auch zum Essen und Trinken angehalten: "Da sagen wir dann immer ganz bewusst: Schule geht vor."

Liberale Muslime unter Druck

Die Kinder fasteten freiwillig, betonte Wöllenstein im Deutschlandfunk Kultur: "Das sind einfach diese familiären Strukturen, die bei den Kindern diesen Wunsch auslösen, da mitzumachen."
Unter Druck sieht sie allerdings jene, die nicht mitmachen wollen: "Wir haben sehr, sehr viele liberale und aufgeklärte Muslime an unserer Schule, die aber inzwischen in einen Strudel reinkommen, weil die von den anderen hinterfragt werden, frei nach dem Motto: Bist du überhaupt ein richtiger Muslim, wenn du nicht fastest im Ramadan?"
Geschätzt 85 Prozent der Schüler an Wöllensteins Schule sind muslimischen Glaubens. Über ihre Erfahrungen hat die Lehrerin ein Buch geschrieben: "Von Kartoffeln und Kanaken. Warum Integration im Klassenzimmer scheitert".
Zu Wöllensteins Forderungen gehört u.a. ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 16 Jahren. Es gehe ihr nicht darum, Frauen generell das Kopftuch zu verbieten oder alle religiösen Symbole aus der Öffentlichkeit zu verbannen, betonte sie: "Aber man kann eben in einem Alter von 10 bis 15 noch gar keine Entscheidung treffen, die letztendlich für das ganze Leben danach gilt. Ausziehen kann man das Kopftuch offiziell dann wirklich nur noch ganz, ganz schwierig."

Religionsunterricht als Integrationshemmnis

Obwohl sie selbst evangelische Religionslehrerin ist, plädiert Wöllenstein für eine Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts. Ihrer Ansicht nach ist er eine "verschenkte Chance", weil er die Schüler eher trennt anstatt zusammenbringt:
"Letztendlich müssen diese Menschen später mal alle zusammen hier in unserer Gesellschaft leben. Dann wäre es ja sinnvoll, dass sie wirklich auch im Klassenzimmer schon in diesen 90 Minuten miteinander ins Gespräch kommen und merken, wie viele Gemeinsamkeiten sie eigentlich haben."
(uko)
Mehr zum Thema