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Neues Notstandsgesetz in Ungarn
Orbán nutzt die Situation zur "Ausdehnung der Macht" aus

Ungarns neues Notstandsgesetz gibt Ministerpräsident Viktor Orbán weitreichende Befugnisse. Der ehemalige ungarische Außenminister Peter Balázs hält es für möglich, dass Orbán damit auch die nächsten Parlamentswahlen 2022 aufschiebt. Orbán ginge es immer um die Konzentration von Macht, sagte Balázs im Dlf.

Peter Balázs im Gespräch mit Silvia Engels | 31.03.2020
Peter Balazs, ehemaliger Außenminister von Ungarn
Peter Balazs, ehemaliger Außenminister von Ungarn (imago / Katerina Sulova )
Das ungarische Parlament hat ein Gesetz der Regierung gebilligt, die dem rechtsnationalen Ministerpräsident Viktor Orbán umfassende Sondervollmachten zubilligt – zur Bewältigung der Corona-Krise, wie es heißt. Das Notstandsgesetz ermöglicht Orban unter anderem unbegrenzt per Dekret und ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren. Zwar können die Abgeordneten diesen Ausnahmezustand mit Mehrheitsentscheid beenden. Allerdings verfügt Orbáns Regierung im Parlament über eine Zweidrittelmehrheit.
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Der ehemalige ungarische Außenminister und EU-Kommissar Peter Balázs kritisiert im Gespräch mit dem Dlf das Vorgehen der Regierung Orban. Vor allem zwei Punkte seien problematisch: Dass das Gesetz keine Befristung vorsieht und dass es die Presse- und Medienfreiheit einschränke. Orbán habe die durch die Corona-Pandemie ausgelöste problematische Situation ausgenutzt, um seine Macht ausweiten.
Für den Europaexperten bei der Bertelsmannstiftung, Joachim Fritz-Vannahme , liegt der Grund auf der Hand: Ungarn habe ein marodes Gesundheistssystem, sagte er im Dlf. Wenn die Zahl der Toten in Ungarn steige, dann sei Ministerpräsident Viktor Orban dran. Das sei der wahre Grund, weshalb er sich hat umfassende Sondervollmachten ausstellen und Gesetze zurechtschreiben lassen. Das sei "der Schritt von Demokratie in Autokratie, was wir hier beobachten", so Fritz-Vannahme.
Das Interview in voller Länge:
Opposition war zur Zusammenarbeit bereit
Silvia Engels: Welches ist Ihre Hauptkritik am neuen Gesetz?
Peter Balázs: Nun, ich glaube, das größte Problem ist keine Befristung zu diesem Gesetz. Das war die Kritik der Opposition. Und Nummer zwei ist eine Strafrechtsverschärfung in diesem Gesetz. Das Verbreiten von falschen Nachrichten ist mit Haftstrafen bedroht. Das heißt, die Medien können nicht Tatsachen schreiben, weil die Regierung bestimmt, was eine falsche Nachricht ist. – Das sind die zwei größten Probleme.
Ungarn hat ein Corona-Notstandsgesetz verabschiedet
Notstandsgesetz in Ungarn - Orban, Orban über allem
Mit einem Notstandsgesetz bekommt Ungarns Ministerpräsident Victor Orban weitreichende Rechte. So werde Demokratie abgebaut, kommentiert Stephan Ozsváth – und dagegen gebe es keinen Impfstoff.
Engels: Die Befürworter der neuen Regelung argumentieren ja, ein schnelles Agieren ohne Verzögerung sei für eine Regierung im Angesicht einer Pandemie zwingend. Warum lassen Sie das nicht gelten?
Balázs: Nun, das Grundgesetz bietet verschiedene Möglichkeiten an, und die Orbán-Regierung hat schon diese Möglichkeiten genutzt. Ein Notstand war schon in Kraft seit zwei Wochen, aber das ist nur für einen begrenzten Zeitraum. Die Orbán-Regierung hat bekannter Weise eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und mit dieser Zwei-Drittel-Mehrheit haben sie gestern auch dieses Gesetz durchgeführt, aber können weitgehende Maßnahmen ergreifen, die nötig sind. Und die Opposition war bereit, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, haben verschiedene Vorschläge gemacht und sind so weit gegangen, dass ein Notstand bis 90 Tage akzeptabel war – auch für die Opposition. Aber Orbán brauchte einen Feind. Orbán braucht immer einen Gegner und wollte diese Trennlinie aufrecht erhalten, damit er gegen die Opposition auftreten kann.
Vorbereitungen für die Parlamentswahlen 2022
Engels: Es gibt ja durchaus Kritiker, die ihm unterstellen, das soll die Vorbereitung in Richtung eines autoritären Staates werden. Mit welchen Schritten der mächtiger gewordenen Regierung Orbán rechnen Sie nun?
Balázs: Nun, Orbán hat das Recht bekommen, um mit Dekreten zu regieren, verschiedene Gesetze auszusetzen. In dieser Zeit kann man keine Wahlen halten, kann man keine Volksabstimmungen halten und so weiter. Das sind mutmaßlich Vorbereitungen schon für die kommenden parlamentarischen Wahlen, die Anfang 2022 stattfinden sollten.
Engels: Sie sehen auch die Gefahr, dass es dahin nicht kommen könnte, dass möglicherweise dieser Wahltermin gar nicht von Orbán angestrebt wird?
Balázs: Ja, das ist auch möglich. Orbán kann auch mit diesem Mittel spielen. Er möchte für eine weitere Periode in dieser Position bleiben und ergreift diese Situation schon in dieser Vorbereitungsphase. In Ungarn ist die Lage Gott sei Dank noch nicht tragisch. Die Anzahl der Infizierten ist unter 500. Es ist wahr, dass sehr wenige getestet worden sind. Die Toten sind 15 Personen. Das ist eine präventive Phase, aber die Politik reagiert schon und hat eindeutig die Mitwirkung, die Kooperation der Opposition zurückgewiesen.
"Orbán braucht immer einen Feind"
Engels: Nennenswerte Gegenwehr gegen diese Aushebelung des Parlaments in Ungarn in Form von Demonstrationen, von Bürgern auf den Straßen sind in Ungarn aber nicht zu beobachten. Warum ist das so, wenn die Opposition doch so massiv Kritik übt?
Balázs: Nun, Orbán braucht immer einen Feind. Seit zehn Jahren haben wir das beobachtet und gesehen. Diesmal gibt es keinen anderen Feind als die Opposition im Lande. Die Epidemie ist ein Problem und die Regierungsmethoden von Orbán sind ziemlich schwach. Das ist super Konzentration. Er hat auch die militärische Führung von Krankenhäusern angeführt. Schon die Hälfte von allen Krankenhäusern sind unter militärischer Führung. Er möchte alles und immer mit der Konzentration der Macht lösen und dazu braucht er immer einen meistens symbolischen Feind. Dieser Feind ist oft die Europäische Union, Herr George Soros oder der Währungsfonds und andere. Diesmal hat er die Opposition ausgewählt.
"Kein anderes Land ist so weit gegangen"
Engels: Aber lässt sich daraus vielleicht auch ableiten, dass die Bevölkerung letztlich mehrheitlich mit dem autoritären Kurs Orbáns eher einverstanden ist?
Balázs: Gar nicht! – Gar nicht! – Die Bevölkerung reagiert vernünftig und positiv auf diese Lage. Es gibt Ausgangsbeschränkungen in Ungarn. Die Leute sind diszipliniert und die Schulen sind geschlossen, die Theater, alles. Die meisten Leute bleiben zuhause und reagieren gut und es gibt einen Geist von Zusammenarbeit und Verständnis und Solidarität im Gegenteil zu dieser Konfliktstrategie von Orbán.
Engels: Die Kritik von zahlreichen EU-Parlamentariern haben wir gerade schon im Beitrag gehört. Fordern Sie von der Kommission nun konkrete Gegenreaktionen?
Balázs: Nun, wir haben zuerst vom Europäischen Parlament Kritik gehört. Ich glaube, es war schon zitiert. Herr Caspary oder Frau Barley haben darüber gesprochen. Das ist eine Ausnahme, was in Ungarn geschieht. Kein anderes Land ist so weit gegangen und hat diese problematische, manchmal tragische Situation für die Ausdehnung der Macht ausgenutzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.