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Neues Prostituiertenschutzgesetz
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Bessere Bordellausstattung, Kondompflicht für Freier, Gesundheitsangebote: Das Prostituiertenschutzgesetz tritt ab sofort in Kraft. Es soll Prostituierten mehr Schutz bieten, aber auch eine bessere Kontrolle des Sexgewerbes insgesamt sicher stellen. Doch es hagelt Kritik - von allen Seiten.

Von Stefanie Meinecke | 01.07.2017
    Passanten laufen am 13.01.2014 in Hamburg über die Reeperbahn. Touristen-Führer und Ladenmitarbeiter auf der Reeperbahn haben die Folgen der Krawalle und der Einrichtung von Gefahrengebieten durch die Polizei gespürt. Foto: Axel Heimken dpa (zu dpa: "Randale, Proteste, Gefahrengebiete: Arbeiten auf der Reeperbahn" vom 14.01.2013)
    Vor gut acht Monaten hat der Bundestag das neue Prostituiertenschutzgesetz beschlossen, jetzt ist es in Kraft. Hier sehen Sie Touristen auf der Hamburger Reeperbahn. (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
    "Prostitution war so ne Sache, daran hätte ich im Leben nie gedacht. Also ich hatte null Ahnung davon und dann hat man mir das vermittelt, da passiert gar nichts. Du bist die Herrin. Du bestimmst den Akt. Du bestimmst, was Du willst und was Du nicht willst. Und das hab ich dann irgendwann mal probiert und ja: Die Realität sieht anders aus."

    "Also es kamen auch schon welche rein, die richtig besoffen waren. Da haben die gestunken und waren nicht duschen. Man blendet das aus. Einfach Kopf ausschalten und einfach durch. Ich bin ganz ehrlich, ich bin froh, wenn ich 20 Euro verdiene. Damit bin ich jetzt gerade im Moment schon zufrieden."
    Frauen wie Patrizia und Julia und zigtausende Frauen mehr in Deutschland sollen vom neuen Prostituiertenschutzgesetz profitieren. Das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 gilt als gescheitert; es hat die Frauen weder sozial noch rechtlich bessergestellt - profitiert haben am Ende nur Zuhälter und Betreiber von Bordellen, Sexclubs und sonstigen Prostitutionsstätten.
    "Jede Pommesbude in Deutschland hat schärfere Regeln als Bordelle"
    Das soll nun anderes werden: 38 Paragrafen hat der Bund im vergangenen Jahr verabschiedet, die den Frauen künftig mehr Schutz ermöglichen sollen. Kernstück des Gesetzes ist die Meldepflicht für Prostituierte und für Betreiber. Die erst kürzlich abgelöste Familienministerin Manuela Schwesig von der SPD hatte über Jahre hinweg für das neue Gesetz geworben.
    "Wir haben die Situation in Deutschland, dass viele Frauen - auch Männer - in der Prostitution ausgebeutet werden, dass sie Gewalt erleben. Deshalb wollen wir Prostituierte besser schützen mit klaren Regeln für dieses Gewerbe. Salopp gesagt hat jede Pommesbude in Deutschland schärfere Regeln als Bordelle. Und das kann nicht sein."
    Eigentlich sollten die Paragrafen, die auch die Kondompflicht für Freier und Mindestanforderungen an Bordellausstattung definieren, ab Anfang Juli greifen. Aber: Es hapert bei der Umsetzung.
    Die Staatssekretärin Bärbl Mielich (Sozialministerium, Bündnis 90/Die Grünen) 
    Für die Ausführung des Gesetzes sind die Kommunen zuständig, sagt die baden-württembergische Sozialministerin Bärbl Mielich. (dpa / Marijan Murat)
    Bisher hat es nur Nordrhein-Westfalen geschafft, eine sogenannte "Durchführungsverordnung" zu erlassen. Alle anderen Länder basteln noch. "Man arbeitet mit Hochdruck", lautet das Mantra in den zuständigen Ministerien; in Baden-Württemberg ist das das Sozialministerium. Die Länder werden die Anwendung und Kontrolle des Prostituiertenschutzgesetzes an die Kommunen delegieren - so viel ist klar. In Baden-Württemberg muss dazu anders als in Nordrhein-Westfalen erst noch ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden, erklärt Staatssekretärin Bärbl Mielich. Formulieren, in die Lesungen gehen, abstimmen - das dauert, sagt Mielich. Wenn alles glatt laufe, könnte der neue Schutz für Prostituierte im Januar kommenden Jahres greifen.

    "Für uns ist klar, dass die unteren Verwaltungsbehörden die Ausführung des Gesetzes übernehmen, das heißt, die Kommunen, und das bedeutet die Gesundheitsämter und dort, wo eben keine Gesundheitsämter sind, die Landratsämter."
    "Riesenherausforderung" für Städte und Kommunen
    Das heißt: Es wird jede Menge Arbeit und Kosten auf die Städte und Kommunen zukommen. Gerhardt Mauch, Dezernent beim baden-württembergischen Städtetag, ist zuständig für Ordnungsrecht:
    "Der Bund bietet insgesamt 13 Millionen an, für ganz Deutschland. Nach dem Königssteiner Schlüssel wären das umgerechnet auf Baden-Württemberg knapp fünf Millionen. Wir sind bereit, das grundsätzlich mal zu akzeptieren. Wir gehen aber davon aus, dass die Kosten höher sind, dass da ein Riesenaufwand entsteht, der für unsere Ordnungsbehörden eine Riesenherausforderung darstellt."
    Die Kontrolle der Umsetzung will das Sozialministerium bei den Ordnungsämtern ansiedeln. Das sind Pläne, aber noch keine verbindlichen Ansagen. In den Kommunen wächst deshalb der Unmut; man wüsste endlich gerne, wer genau wofür wie zuständig ist, sagt etwa Martin Priwitzer, der Leiter des Amtsärztlichen Dienstes am Gesundheitsamt Stuttgart:
    "Wir warten jetzt schon ziemlich lange und sind inzwischen auch verärgert, dass sich da nichts tut. Wir hatten uns auf kommunaler Ebene eigentlich schon im Herbst Gedanken gemacht, wie man das umsetzen könnte. Das heißt, da ist die Zeit schon davon gelaufen."
    Die Nervosität wächst - auch bei Betreibern von sogenannten Prostitutionsstätten, und bei manchen Frauen ist das neue Gesetz in der Warteschleife ein Thema.
    Sex-Geschäft zu Dumpingpreisen
    Stuttgart Leonhardsviertel. Schmale Gassen, schiefe Hauswände, ein paar wenige Leuchtbuchstaben werben für eine Handvoll Clubs, Bordelle und Animierkneipen - ein überschaubares Rotlichtviertel mit Altstadtflair. Alles wirkt harmlos. Ist es aber nicht. Auch hier läuft das Sex-Geschäft knallhart und zu Dumpingpreisen ab. Im Schnitt zahlt der Freier für die Benutzung eines Frauenkörpers 30 Euro. Die allermeisten Prostituierten stammen aus den südosteuropäischen Armutsländern Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Wie viele es sind, die hier und anderswo durch deutsche Bordelle, Terminwohnungen und Absteigen rotieren, kann niemand sagen.
    Rotlichtviertel in Frankfurt.
    Rotlichtviertel in Frankfurt. (picture alliance / dpa / Salome Kegler)
    Seit Langem kursiert die geschätzte Zahl von 400.000 Prostituierten in Deutschland. Nach Schätzung der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sollen in Deutschland täglich 1 bis 1,2 Millionen Männer eine Prostituierte aufsuchen. Laut Statistischem Bundesamt soll der Umsatz in der Branche bei 14,6 Milliarden Euro liegen. Belastbare Zahlen sind das nicht. Aber die wird es vielleicht bald über die neu eingeführte Anmeldepflicht für Prostituierte und die Erlaubnispflicht für Betreiber geben. Das wäre dann ein durchaus interessantes Nebenprodukt des Prostituiertenschutzgesetzes. Einer, der in der Stuttgart Altstadt daran verdient, dass Frauen sich prostituieren, ist John Heer.
    Bordellbesitzer kritisiert Schwächung der Prostituierten
    Heer ist gelernter Immobilienkaufmann. Später wird er - sehr bemüht - die Türen zu einem seiner Laufhäuser öffnen. Laufhäuser, das sind Bordelle, in denen die Frauen bei geöffneter Zimmertür auf die Freier warten; wie es der Name schon sagt, laufen dort die Männer durch die Flure, schauen, taxieren, entscheiden.
    Zunächst aber empfängt John Heer in seinem Büro, trägt Jeans, grauen Pullover, Sneakers. Weiße Wände, schwarze Möbel, auf dem Couchtisch eine Edelstahl-Etagere, darauf: in Reih und Glied rosafarbene Mon Chéri. Alles scheint hier seine Ordnung zu haben - auch das Geschäft mit der Prostitution. Wie zum Beweis zieht John Heer drei Leitz-Ordner aus dem Regal. Darin, so erklärt er, sind die Personalbögen aller Frauen abgeheftet, die bei ihm arbeiten: Alter, Herkunft - alles fein säuberlich nachvollziehbar, sagt der Bordellchef mit dem halblangen, grau melierten Haar. So mache er das schon immer. Ein neues Gesetz, mosert Heer, brauche er dazu nicht.
    "Meiner Meinung nach hat das Ministerium, hier die Familienministerin, überhaupt nicht begriffen, was sie hier eigentlich verabschiedet haben mit diesem Gesetz. Es ist kein Prostitutionsschutzgesetz. Es ist definitiv eine Schwächung der Prostituierten für die Zukunft. Zum Beispiel eine Ausweispflicht, beziehungsweise das Tragen des Ausweise als Prostituierte in den jeweiligen Städten, wo sie arbeitet, empfinde ich persönlich als massiv diskriminierend."
    Sexworker-Verein kritisiert die Kontrolle und Überwachung
    Mit dieser Kritik steht der Bordellbetreiber nicht allein. Auch einzelne Frauenverbände wie zum Beispiel der Deutsche Juristinnenbund befürchten mehr Stigmatisierung und mehr Diskriminierung.
    Der Frankfurter Sexworkerverein Dona Carmen spricht von Beschneidung der Persönlichkeitsrechte und hat gemeinsam mit 15 Bordellbetreibern eine Verfassungsbeschwerde formuliert. Die Vereinsvorsitzende Juanita Henning begründet das so:
    "Das Prostituiertenschutzgesetz schützt die Frauen in der Prostitution so wenig wie die Sonnencreme die Sonne. Das Prostituiertenschutzgesetz ist eine umfassende Kontrolle sämtlicher Frauen. Das Ziel dieses Gesetzes ist die Reduzierung der Angebotsseite an Prostitution. Das machen sie mit Mitteln, wo sie die Frauen sozusagen unter einer extremen Kontrolle, Überwachung unterwerfen." Und natürlich nervt das - nach Jahren der totalen Kontroll- und Regellosigkeit - die Prostitutionslobby nun besonders.
    Eine Prostituierte in Pumps und knapper Hose steht an einem Lkw.
    Eine Prostitutierte auf dem Straßenstrich an der Messe Frankfurt. (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    Auf dem Schreibtisch des Stuttgarter Bordellbetreibers John Heer liegt eine große Medikamentenschachtel, ein Mittel gegen Sodbrennen. Das alles schlage ihm gewaltig auf den Magen, sagt Heer. Ob er sich wegen des bürokratischen Aufwandes sorgt oder mehr um seine Einkünfte, bleibt offen.
    Beim Rundgang durch sein Laufhaus zeigt John Heer immer wieder auf die Alarmknöpfe und abschließbaren Spinde in den Zimmern. Bett, Stuhl, Nachttisch - die Farben grau und rot dominieren. Stolz betont Heer, dass jedes Zimmer ein Fenster nach draußen habe und die Alarmknöpfe getarnt seien.
    "Dass der Freier nicht weiß, Moment mal - manche machen das rot, da weiß der Dümmste, was es ist, dass er sie abhalten kann davon. Es ist in jedem Zimmer ein Kühlschrank mit drin, Telefon mit drin."

    Einen Türrahmen weiter klopft Heer bei Ada an, einer blonden Frau, die in tief ausgeschnittenem Body gerade ihr Waschbecken poliert. Sie kommt aus Lettland und arbeitet seit 2010 bei Heer. Nach sieben Jahren spricht Ada nur gebrochen deutsch. Ein Gespräch ist kaum möglich. Die Frage nach dem neuen Prostituiertenschutzgesetz beantwortet sie mit Schulterzucken und mit Sorge.
    "Wegen wenn muss raus, wegen des neuen Ausweises wegen Prostitution, wenn muss raus geht nix."

    Trotz der Sprachschwierigkeiten wird klar: Ada kann mit dem neuen Gesetz nicht viel anfangen, sieht nichts Positives daran, hat vor allem Angst, dass sie bald auf der Straße sitzen könnte. Die Frauen schaffen in den angemieteten Bordell-Zimmern nämlich nicht nur an, sondern leben dort auch, und das Gesetz schreibt nun vor, dass der Arbeitsbereich von der Privatsphäre getrennt sein muss. Für die Frauen ein Problem: Die allermeisten Frauen können eine zusätzliche Zimmermiete finanziell nicht stemmen.

    Dass ihr das neue Prostituiertenschutzgesetz irgendeinen Nutzen bringt - Schutz vor Ausbeutung, Zwang und Gewalt - daran will auch Julia nicht so recht glauben; Julia ist Deutsche, arbeitet in einem Animierschuppen in der Altstadt; davor hatte sie sich in einem Bordell eingemietet.
    "Ich hab’s halt einfach gemacht. Und man macht sich nicht die Gedanken, gibt es da jetzt ein Gesetz - wenn Du wo arbeitest, dann interessiert es dich ja nicht."
    Wohnwagen für Prostituierte in Rotterdam
    Die Pauluskirche in Rotterdam hatte unter anderem eine Initiative für eine "Humane Prostitution" ins Leben gerufen und Wohnwagen zur Verfügung gestellt. (picture alliance / dpa)
    Selbstbewusste, starke Huren, die richtig gut verdienen: Julia hat sie bisher nicht kennengelernt. Die meisten Frauen, sagt sie, waren - wie sie selbst auch - froh, wenn sie ein paar Kröten zusammenkratzen konnten für Essen oder Kleidung. Der Horror sei es, wenn man krank werde und nicht arbeiten könne und die Kosten weiterlaufen.
    "Krankenversichert war ich bis vor ein paar Wochen gar nicht - also ich konnte es mir nicht leisten, da die Krankenversicherung zu bezahlen."
    Sexuellen Missbrauch erleben viele Frauen vor ihrem Einstieg in die Prostitution
    Keine festen Strukturen, keine Sicherheit, kein soziales Netz: So sah der Alltag bisher für sie aus, sagt Julia. Bürgerliche Normalität - ganz weit weg. Und auch mit gut gemeinten juristischen und politischen Begriffen wie "sexuelle Selbstbestimmung" und "körperliche Unversehrtheit" kann sie wenig anfangen. Die mehrfache Mutter erzählt, wie sie als kleines Mädchen vom Vater missbraucht wurde und später von ihrem Partner. Sexuelle Gewalt, Unterdrückung und Demütigung durchziehen Julias Leben wie ein hartnäckiges Muster.
    "Ja. Eigentlich ein Leben lang. Du kannst nix, du bist nix, du bist nix wert, Du wirst nie was können."
    Sexueller Missbrauch ist eine gängige Form der Gewalt, die sehr viele Frauen vor ihrem Einstieg in die Prostitution erleben, sagt die Mannheimer Sozialwissenschaftlerin Julia Wege. Für ihre Promotion untersuchte sie zahlreiche Biografien von Prostituierten und leitet in Mannheim die diakonische Beratungsstelle "Amalie". Prostituierte erhalten dort auf Wunsch kostenlose Beratung und Unterstützung. Wege hat tagtäglich mit den Frauen zu tun.

    "Tatsächlich gibt es einen Zusammenhang, also wurde herausgefunden, dass wer sexuelle Übergriffe oder Missbrauchserfahrungen in der Kindheit gemacht hat, hat ein höheres Risiko selbst in der Prostitution einzusteigen, und tatsächlich konnte ich das auch in Interviews mit Frauen wiederfinden."
    Mangelnde Ausbildung, Armut und Migration
    Weitere Gründe für einen Einstieg in die Prostitution, so Wege, sind mangelnde Schul- und Berufsausbildung, Armut und Migration. Auch in Mannheim liege wie andernorts der Anteil der Frauen, die aus Armutsländern zuwandern, bei mehr als 80 Prozent.
    "Viele Frauen kommen hierher, sehr, sehr jung, steigen in sehr jungem Lebensalter in die Prostitution ein und haben eigentlich gar keine Kenntnis darüber und finden sich in Strukturen dort ein, wo die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse extrem groß sind. Und ich denke, das ist das Schwierige."
    Möglicherweise ein Schritt in die richtige Richtung
    Ob mit dem neuen Gesetz diese Strukturen geknackt werden können? Die Sozialwissenschaftlerin ist skeptisch, hofft aber dennoch, dass es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Zielführend sei beispielsweise die Vorschrift, dass sich Betreiber künftig einer sogenannten Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen müssen. Wer vorbestraft ist, wird die Konzession nicht bekommen. Hoffnungen knüpft die Fachfrau auch an die Anmeldepflicht von Prostituierten: Möglicherweise, so Julia Wege, lassen sich die Frauen hier deutlicher als bisher erkennen und herausfiltern, die unter Zwang anschaffen, die von sogenannten Freunden, Onkeln, Zuhältern in die Prostitution gedrängt und abkassiert werden. Die vom Gesetz vorgeschriebene Gesundheitsberatung und die Anmeldung bieten zumindest ein Zeitfenster, in dem die Frauen sichtbar werden. Dieses müsse man nutzen, sagt auch die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel. Sie ist die Vorsitzendes des bundesweit tätigen Vereins "sisters", der Hilfe beim Ausstieg aus der Prostitution anbietet.
    Einsatzkräfte durchsuchen ein Groß-Bordell in Berlin Charlottenburg.
    Einsatzkräfte durchsuchen ein Groß-Bordell in Berlin Charlottenburg. (picture alliance/dpa/Paul Zinken)
    "Da ist eine Forderung von "sisters", an diesem Punkt ganz genau hinzuschauen und diese Einschätzung, liegt da Zwang vor, liegt da womöglich Menschenhandel vor, liegt da Fremdbestimmung vor, eben nicht irgendeiner Sozialarbeiterin oder einem Mitarbeiter einer Behörde zu überlassen, sondern diese Einschätzung muss von Fachpersonal getroffen werden. Und das Fachpersonal, das wir haben und das sich um sexuelle Ausbeutung kümmert und da Kompetenzen hat, ist die Polizei. Niemand anderes hat die Fachkompetenz."
    Kein Sexkaufverbot nach skandinavischem Vorbild
    Der Verein "sisters", so Sabine Constabel, hätte sich über mehr Entschiedenheit im Gesetz gefreut. Mehr Bekenntnis zur Menschenwürde und Menschenrecht.
    "Ich hoffe sehr, dass dieses Prostituiertenschutzgesetz dann nach der Umsetzung seinem Namen gerecht wird, also tatsächlich den Schutz der Frauen erhöht. Und dass es nicht stattdessen ein Prostitutionsschutzgesetz oder aber ein Prostitutionsverwaltungsgesetz wird."
    Seit vielen Jahren setzt sich Sabine Constabel für ein Sexkaufverbot nach skandinavischem Vorbild ein - die Franzosen übrigens haben das Konzept ganz zügig für sich im vorletzten Jahr übernommen und gesetzlich verankert. In Deutschland dagegen: Ablehnung.
    Auch der Landesfrauenrat Baden-Württemberg hatte sich in den letzten Jahren klar für ein Sexkaufverbot eingesetzt. Die Vorsitzende Manuela Rukavina schüttelt nur mit dem Kopf.
    "Wir vom Landesfrauenrat Baden-Württemberg waren die ersten, die gesagt haben: Kann das überhaupt sein, dass Prostitution wie ein normaler Beruf behandelt wird. Was macht das mit der Gesellschaft und ist das menschenwürdig - ja oder nein. Wir sagen: Irgendjemand muss hinstehen und muss sagen: Leute, ihr diskutiert über etwas marktförmig, was überhaupt kein Markt sein darf. Also man diskutiert hier über das Leben, die psychische und physische Unversehrtheit und Würde von Frauen und tut so, als würde es drum gehen, ob im Supermarkt die Milch links unten oder rechts oben stehen muss."
    Die Freier zur Verantwortung ziehen - nicht die Frauen
    Das vorliegende Gesetz ist für Manuela Rukavina ein leidiger Kompromiss zwischen Koalitionspartnern, die auf Bundesebene irgendwie und irgendwann einmal zu Potte kommen mussten; viel Theorie, viel bürokratisches Kleinklein und wenig Bezug zum Prostitutionsalltag, sagt sie. Und über alldem der merkantile Blickwinkel: Prostitution - ein Gewerbe, ein Geschäft. Die Schweden zum Beispiel sehen das ganz anders: Ihr Gesetz zur Prostitution basiert auf dem gesellschaftlichen Konsens, dass Prostitution Gewalt gegen Frauen ist. Deshalb fokussiert das schwedische Sexkaufverbot auch nicht auf die Prostituierten, sondern auf die Freier, die Käufer. Sie werden zur Verantwortung gezogen, nicht die Frauen. Eine gedankliche und gesetzliche Konsequenz, die der Vorsitzenden des baden-württembergischen Landesfrauenrats gut gefällt. Und deshalb, sagt Manuela Rukovina, ist sie auch nicht zufrieden mit diesen 38 Paragrafen, die nun unter dem Etikett "Prostituiertenschutzgesetz" in Kraft treten.
    "Nein auf keinen Fall. Also es ist im Grunde für uns die neue Version eines Gesetzes, das wir für nicht hilfreich erachten. Und wir sagen, man muss schauen, dass jetzt der Status quo ordentlich ausgeführt wird, aber in der Debatte ist das für uns jetzt nur noch mal ein Ansporn, die gesellschaftliche Diskussion zu führen und zu sagen: Wie kann das sein, dass andere europäische Länder Prostitution als menschenwürdeverletzend auch unter Straftatbestand stellen, und wir hier das so liberal halten und praktisch zum Puff Europas geworden sind. Das ist für uns erst der Startpunkt."