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Neues Schulfach
An Berliner Schulen gibt es jetzt "Politische Bildung"

Politik als Schulfach gab es in Berlin bislang nicht. Ab dem neuen Schuljahr steht für alle Mittelstufenschüler eine Stunde "Politische Bildung" auf dem Stundenplan. Die Idee finden die Meisten gut. Nur an der Umsetzung gibt es zum Teil harsche Kritik – nicht nur an Lehrern fehlt es.

Von Ralf Pauli | 02.08.2019
28.11.2018, Mecklenburg-Vorpommern: Eine Schülerin des Gymnasium Carolinum Neustrelitz meldet sich im Unterricht Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
In Berlin gibt es bald ein neues Schulfach - aber keine neuen Stunden dafür (dpa-Zentralbild / ZB / picture alliance / Britta Pedersen)
Letzte Absprachen im Lehrerzimmer der Sekundarschule am Schillerpark. In wenigen Tagen beginnt hier wie in ganz Berlin das neue Schuljahr. Und dafür muss Suzan Yılmaz noch einiges mit ihren Kollegen klären. Yılmaz ist Fachleiterin der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Geschichte, Erdkunde und Ethik. Und die bekommen nun ein neues Fach dazu: Politische Bildung.
Für alle Schülerinnen und Schüler zwischen der siebten und zehnten Klasse heißt das ab sofort: mindestens eine Stunde Politische Bildung pro Woche – und am Schuljahresende gibt es in dem neuen Schulfach auch eine eigene Zeugnisnote. So hat es der Berliner Senat vor anderthalb Jahren beschlossen. Suzan Yılmaz begrüßt die Entscheidung:
"Also dadurch, dass das Fach Politische Bildung nicht explizit als Fach an den Schulen stattfand, aber integriert in das Fach Geschichte, denke ich schon, dass es da eine Tendenz dazu gab, dass mehr geschichtliche, also historische, Inhalte thematisiert worden sind und da möglicherweise im Schulalltag politische Inhalte ein bisschen zu kurz kamen."
Von Schülern schon 2011 gewünscht
Mehr politische Inhalte und ein eigenes Fach Politik schon in der Mittelstufe – das haben sich die Berliner Schüler schon 2011 gewünscht. Bildungssenatorin Sandra Scheeres von der SPD hat ihnen nun den Wunsch erfüllt. Allerdings sind nicht alle mit der Umsetzung glücklich, berichtet der Schulleiter der Schillerparkschule, Ronald Fischer:
"Man führt ein neues Fach ein mit einer Stunde, ohne diese Stunde zur Verfügung zu stellen. Das heißt, die Schulen müssen selber gucken, wo kriegen sie diese Stunde her, und die anderen Fächer müssen diese Stunde irgendwo hergeben und das hat natürlich an unserer Schule zu großen Diskussionen geführt."
Mehrmals mussten sich die betroffenen Fachlehrer zusammensetzen, bis sich eine Lösung fand. Und die sieht so aus: In jeder Jahrgangsstufe gibt es nun eine Stunde Politische Bildung. Dafür verzichten die Ethik- und Geschichtslehrer abwechselnd ein über das andere Jahr auf eine ihrer Stunden.
Alexander May, der sowohl Geschichte als auch Politische Bildung unterrichtet, versteht den Unmut seiner Geschichtskollegen. Dennoch überwiegen für ihn die Vorteile der Fächertrennung:
"Ich würde sagen, an sich ist es ein Gewinn, weil beide Fächer voneinander profitieren. Wir in Geschichte arbeiten auch ganz stark mit politischen Begriffen, wir setzen uns mit politischen Prozessen auseinander."
"Man muss aktuell sein, Tagespolitik aufgreifen"
Mit Gewaltenteilung zum Beispiel oder Extremismus. Dennoch soll das neue Fach nicht nur Stichwortgeber für Geschichte oder Ethik sein. Im Gegenteil:
"Man muss aktuell sein, man muss tatsächlich versuchen, Tagespolitik aufzugreifen und in den Unterricht mit einfließen zu lassen, was natürlich in der Vorbereitung mehr Aufwand ist, weil man selber hinterher sein muss, dass man die Sachen zeitnah und schülergerecht aufbereitet", sagt May.
Der Mehraufwand lohnt sich aber, findet Politiklehrerin Suzan Yılmaz. Schließlich erfüllt das neue Schulfach ein zentrales Ziel aus dem Berliner Schulgesetz - das eigene Urteilsvermögen der Schüler und Schülerinnen herausbilden. Für Yılmaz heißt das:
"Extreme Ansichten zu entlarven und sich dem letztendlich auch entgegenzustellen, weil diese extremistischen Ansichten mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Und ich denke, dass das gerade in unserer heutigen Zeit – und das zeigt auch die politische Debatte – besonders wichtig ist. Und da finde ich, dass das Timing im Grunde nicht besser sein könnte."
Zu wenige ausgebildete Politiklehrer
Dem stimmt auch Schulleiter Ronald Fischer zu – und dennoch hält er die Einführung des neuen Faches für verfrüht:
"Wir haben jetzt einen Lehrer, der Politische Bildung als Fach studiert hat und einen Referendar in dem Bereich. Alles andere übernehmen freundlicherweise die Geschichtskollegen und die Ethikkollegen."
Doch warten, bis mehr ausgebildete Politiklehrer von den Unis kommen, kann Schulleiter Fischer nicht.
"Kollegen, die dazu bereit sind und die auch schon an einer Fortbildung teilgenommen haben – ich gehe davon aus, dass die das auch gut umsetzen. Das traue ich meinen Leuten schon zu."