Freitag, 19. April 2024

Archiv

Neues Stück von SEE!
Wenn das Publikum zur Performance wird

Zwischenmenschliche Nähe bis zur Grenze des Erträglichen - darum geht es im neuen Performance-Stück der Künstlerinnengruppe „SEE!“. In "The Audience Is Present" rückt das Publikum ins Zentrum. Das packende Stück zeigt: Performance mit einfachen Handlungen ist in der Kunst zunehmend wichtig.

Von Peter Backof | 30.11.2018
    "The Audience is present"
    Szene aus der Performance der Gruppe SEE!: "The Audience Is Present" (See! ©Janosch Pugaghi)
    Alexandra Knieps: "Ich glaube, wenn Du rein gehst, kannst Du es mal erfahren, was passiert."
    Peter Backof: "Dann würde ich das mal testen!"
    Alexandra Knieps: "Viel Spaß!"
    Peter Backof: "So, Tür auf."
    Performerin: "What's your name?"
    Peter Backof: "Äh, Peter."
    Performerin: "Peter is present!"
    Peter Backof: "Was soll ich tun?"
    Gast: "Also ich bin kein Performer. Obwohl ..."
    Performerin: "What´s your name? Kerstin is present!"
    In der Galerie "Gemeinde Köln - Raum für alles Mögliche" scheinen mich die anderen zehn Anwesenden spontan zu mögen; so wie alle anderen gemocht werden, die die Schwelle nehmen. Die Schaufenster sind mit pinkfarbener Folie bespannt, was den Blick nach drinnen wie draußen entsprechend färbt: Trifft sich hier eine Sekte?
    Besucherin: "Es ist mir selten passiert, dass ich in eine Galerie gekommen bin - und wurde mit Applaus begrüßt."
    Nach ein paar Minuten bin ich akklimatisiert und erkenne vier Menschen im Raum als Performer: die gruppieren sich um Neuankömmlinge und schauen sie an. Sonst nichts.
    Die Performerinnen SE Struck und Alexandra Knieps
    Die Performerinnen SE Struck und Alexandra Knieps von der Gruppe SEE! (SEE! (c) Christian Knieps)
    Alexandra Knieps: "Performance ist für mich deswegen interessant, weil es von Mensch zu Mensch geht. Für mich ist das irgendwie so die Aufgabe der Zeit."
    S.E. Struck: "Dieses Gesehenwerden finde ich so wichtig: Dass wir alle mitgestalten und dass wir uns nicht mit Konsum oder mit was immer zudecken, sondern uns ansprechen lassen. Also wir sind gemeint!", definieren Alexandra Knieps und Simone Esther - kurz S.E. - Struck von der Gruppe "SEE!" ihre Auffassung von Performance. Seit 2005 arbeiten die beiden zusammen, verbinden und transformieren Tanz, Musik, Theater zu Arbeiten wie zuletzt einem Selfie-Ballett.
    S.E. Struck: "Eine Choreografie, die nur aus Selfies besteht, aus YouTube-Material, also Tutorials, Instagram. Wie wirke ich? Das macht ganz viel mit der Seele, würde ich fast behaupten."
    Performance mit Wir-Gefühl
    Vergleichsweise rudimentär verläuft nun "The Audience Is Present". Die vier Performer machen dann doch mehr, als einen nur anzustarren. Manchmal räkeln sie sich behaglich oder rauchen zusammen, tun so als ob, um das Soziale am Rauchen darzustellen. Tatsächlich entsteht im Raum der Gemeinde, in den maximal vielleicht 50 Menschen passen, ein Wir-Gefühl. Andererseits kommt auch Unbehagen auf, wenn man immer wieder fixiert wird oder plötzlich jemand schreit.
    Sechs Handlungen laufen in Loops ab. Die Performance packt mich. Auf der Straße würde ich fragen: "Warum schauen Sie mich an?" Hier muss ich mir das bieten lassen. Oder rausgehen.
    S.E. Struck: "Performancekunst zeichnet sich auch dadurch aus, dass es Demokratisierung gibt - des Raums. Der Raum ist nicht aufgeteilt in Zuschauerfläche und Performerfläche."
    Inklusion statt Frontalunterricht: Noch ein Prinzip der Gruppe "SEE!"
    Ein Performer, Hautfarbe schwarz, trägt – als etwas sarkastische Pointe – einen offiziellen Pulli der Europäischen Union, blau mit goldenen Sternen. Eine andere hat Trisomie 21. Da guckt man im Alltag schnell mal weg, aus Angst, sich falsch zu verhalten. Doch alles, auch Angst, beruht auf Gegenseitigkeit, sagt sie: "Ich kann das auch machen!"
    Performences - zunehmend wichtig in der Kunst
    In "The Audience Is Present" gucke auch ich ständig hin. Und denke: Performance mit einfachen Handlungen ist in der Kunst zunehmend wichtig geworden. Angefangen mit Marina Abramović, die im MoMA New York endlos Menschen ansah, über den Berliner Tino Seghal, der die Dokumentation seiner Happenings verbietet. Bis hin zu Anne Imhoffs "Faust"-Performance in Venedig, die ohne Teilhabe der Besucher keinen Sinn macht. Alles gerade wegen der Selbstbespiegelung via Smartphone, die körperlos bleibt?
    Alexandra Knieps: "Und das ist natürlich der Ansatz, wo wir dann wieder kommen und sagen: Wir holen auch die Anwesenheit und die Präsenz des Körpers zurück."
    Als Assoziation aller möglichen Gefühle, von der Unsicherheit bis zu wohliger Geborgenheit, habe ich eine körperliche Erfahrung gemacht.
    Peter Backof: "Die Gesellschaft, der Flow im Alltag, das ist eine Macht, die ist hier außer Kraft gesetzt."
    S.E. Struck: "Das wäre schön, wenn es so wäre ... ist ein Kompliment."