Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Neues Verständnis von Kommunikation

"Form und Formen der Kommunikation" verlangt dem Leser viel ab. Wer sich jedoch den Herausforderungen des Abstraktionsniveaus in Dirk Baeckers Buch stellt, wird schließlich auch reichlich belohnt. Denn der Schüler von Niklas Luhmann eröffnet ein völlig neues Verständnis von Kommunikation, indem er gerade nicht die Teilnehmer selbst, sondern die Spielregeln, unter denen Menschen an Kommunikation teilnehmen, analysiert.

Von Matthias Eckoldt | 20.07.2006
    Menschen, so belehrte der Soziologe Niklas Luhmann die staunende Wissenschaftlergemeinde, Menschen können überhaupt nicht kommunizieren, sondern nur die Kommunikation kann kommunizieren. Der Luhmann-Schüler Dirk Baecker nimmt den provokanten und beim ersten Hören nicht leicht zu verstehenden Ausspruch seines Lehrers zum Ausgangspunkt seiner Kommunikationstheorie, die er nun mit dem Buch "Form und Formen der Kommunikation" im Suhrkamp Verlag vorgelegt hat.

    "Wenn man den Satz von Luhmann hört, 'nur Kommunikation kann kommunizieren', dann denkt man zuweilen, das sei so eine Art Selbstlauf, was er nicht so meinte und was ich auch nicht so meinen würde, sondern man meint damit hauptsächlich, dass die Kommunikation eine eigene Dynamik hat, die aber als solche nur dann läuft, wenn Individuen mitspielen. Die Beobachtung dahinter ist eine ganz schlichte, nämlich die dass wir - wir mögen uns denken, was wir wollen - nicht aus unserem Kopf herausdenken können."

    Man kann weder aus seinem eigenen Kopf herausdenken, noch in einen anderen hineindenken. Niemals wird man die Welt mit den Augen eines anderen sehen können, niemals einen Gedanken im Kopf des Gegenübers zu Ende denken können. Wenn wir die Resultate unseres Denkens mitteilen wollen, sind wir auf Sprache angewiesen. Wenn man aber zu sprechen beginnt, merkt man bereits, dass die Formulierungen nicht das transportieren, was man sich eigentlich gedacht hatte. Wenn man kommuniziert, herrschen völlig andere Gesetzmäßigkeiten als im Denken. In Kommunikation ist man auf Höflichkeitsrituale, Floskeln und Wörter angewiesen, die alle anderen auch benutzen. Das Denken hingegen ist hochgradig individuell. Damit wir trotzdem miteinander kommunizieren können, tritt etwas Drittes hinzu.

    "Wir sind nicht in der Lage, uns miteinander zu unterhalten, wenn wir nicht irgendwelche Vorstellungen, wie man sich jetzt wohl verhält, so mitlaufen lassen, dass wir wissen, was man tut. Wenn wir in eine Kirche hineinkommen, merken wir, wie uns eine bestimmte Haltung plötzlich überfällt, wie wir unsere Stimme dämpfen, nicht weil uns irgend jemand gegenübersteht, der uns sagt, nun benimm dich mal, sondern weil wir uns von einem Dritten beobachtet und an die Hand genommen fühlen, der uns jetzt sagt, nun mach mal Dieses und Jenes. Das ist die Art, wie man sich in diesem Zusammenhang unterhält."

    Dieses Dritte ermöglicht Kommunikation und gibt ihr zugleich eine spezifische Form. Wie das geschieht, das untersucht Dirk Baecker auf knapp 300 Seiten in seinem unnachahmlichen Stilmix aus theoretischer Virtuosität und alltagsnaher Beobachtung. So entstehen äußerst lesenswerte Passagen, in denen es Baecker gelingt, den Inhalt des hochformalisierten mathematischen Kommunikationsbegriffs von Shannon anhand des häuslichen Besteckkastens zu erläutern. Gleich darauf erhöht Baecker wieder die Schlagzahl seiner theoretischen Erwägungen, wenn er folgert:

    "Kommunikation, so dürfen wir im Anschluß daran formulieren, ist ein Vorgang, der insofern, als er etwas mit Informationserarbeitung zu tun hat, die Orientierung in einer Welt ermöglicht, deren Ordnung weder vorausgesetzt noch in Frage gestellt werden muss, sondern in einer Sequenz endlicher Kontingenzen erschlossen werden kann."

    Kommunikation, so könnte man Baeckers Gedankengang nachzeichnen, bestimmt unser Verhältnis zur Welt und ordnet die gesellschaftlichen Beziehungen. Obwohl - oder gerade weil - in Kommunikation unsere Bewusstseinsinhalte nur eine untergeordnete Rolle spielen, bringen die Spielregeln der Kommunikation Ordnung in die Welt, die man zwar nicht letztgültig erschließen kann, auf die man sich aber doch zu verlassen gelernt hat. Man weiß, dass, wenn auf ein "Bitte" ein "Danke" folgt und auf ein "Guten Tag" ein "Guten Tag", man sich in einer relativ stabilen sozialen Umgebung befindet. Und das weiß man, obwohl man nicht in den Kopf des Anderen hineinschauen kann – allein aus der Kommunikation.

    In der Folge geht es Baecker nun, wie bereits der Titel nahe legt, um die zentrale Form der Kommunikation, die er in der Erwartung sieht:

    "Eine Erwartung ist eine Struktur auf dem Sprung, aber immerhin eine Struktur. Sie bestimmt sich selbst im Unterschied zu ihrer möglichen Enttäuschung, nutzt jedoch die Enttäuschung nicht etwa dazu, gar nicht mehr zu erwarten, sondern dazu, etwas anderes zu erwarten."

    Die Erwartung identifiziert Baecker als ein Kommunikationsspiel, auf das man sich einlassen muss, sobald man kommuniziert. Besonders erhellend ist nun, dass sich dieses Kommunikationsspiel selbst steuern und deshalb nicht vom Menschen zu kontrollieren ist.

    "Form und Formen der Kommunikation" ist ganz sicher keine leichte Kost. Daran ändern auch die Beispiele und Vergleiche nichts, die der Autor zur Illustration seiner Theorie einfügt. Der Leser muss sich wohl auf einen längeren Leseprozess einstellen, wenn er dieses Buch durchdringen möchte. Aber man weiß es ja - die süßen Trauben hängen hoch. Wer sich den Herausforderungen des Abstraktionsniveaus in Baeckers Buch stellt, wird schließlich auch reichlich belohnt. Denn Baecker eröffnet ein völlig neues Verständnis von Kommunikation, indem er gerade nicht die Teilnehmer selbst, sondern die Spielregeln, unter denen Menschen an Kommunikation teilnehmen, analysiert. Die Kenntnis dieser Regeln ermöglicht es schließlich sogar im privaten, beruflichen und öffentlichen Umgang, die Chancen der Kommunikation zu erhöhen. Dafür aber muss man sich von der gewohnten Ordnung, die uns der Glaube an die Kausalität von Ursache und Wirkung gibt, verabschieden.

    "Wir neigen nämlich in Deutschland genauso wie im ganzen Westen dazu, zu glauben, dass uns nur dann Gesellschaft ein verlässlicher Ordnungszusammenhang ist, wenn er auf irgend eine Art von Technik reduziert werden kann, auf irgend eine Art von Technik, die etwas mit Kausalität, mit Ursache- und Wirkungsverhältnissen zu tun hat. Wir kriegen das innere Kribbeln, wenn wir merken, hier hat man es nicht mit Kausalität zu tun, hier läuft kein technischer Prozess, hier gibt es keinerlei Verlässlichkeit, was als nächstes passiert, sondern nur Unzuverlässigkeit und ein extremes Raffinement der Verhältnisse, mit dieser Unzuverlässigkeit umzugehen. Das ist für PR-Kampagnen genauso wichtig wie für eine Marketingstrategie und genauso wichtig wie für ein Verführungsprozess unter zwei, drei, vier Personen. Und dieses nicht nur als Leiden unter der Unkalkulierbarkeit der Verhältnisse wahrzunehmen, sondern als Konfrontation mit Freiheitsspielen, die den eigentlichen Spaß und die Subtilität am Umgang mit Kommunikation ausmachen, das ist das Ziel, das dieses Buch verfolgt."