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Neues vom Mars
Rot und tot

Seit jeher fordert der Mars die Wissenschaft heraus. Meinten Astronomen durch Teleskope zunächst schnurgerade Kanäle oder gar Pflanzen zu erkennen, brachten die ersten Raumsonden Ernüchterung. Deren Bilder zeigten eine trockene und kraterübersäte Mondlandschaft. Doch dann fanden Satelliten vermeintlich schlagende Beweise für Wasser: gewaltige ausgetrocknete Flusstäler, die selbst auf der Erde ihresgleichen suchten.

Von Karl Urban | 12.07.2015
    Der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop
    Der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop (NASA/ESA)
    Bis heute sind Planetenforscher hin- und hergerissen: War der Mars schon immer eine trockene Wüste, durch die nur selten gewaltige Fluten strömten? Oder war er der Erde einst ähnlich, warm und feucht und voller Leben? In 50 Jahren Marsforschung gerieten die Missionen immer größer und teurer, kaum ein Stein blieb dabei unfotografiert. Gerade kommt auch der jüngste Vorstoß in die Jahre: Curiosity. Mit löchrigen Rädern rollt der Rover entlang staubiger Berghänge. Seine Sensoren konnten nicht nur auf, sondern auch in das Gestein blicken. Entdeckt hat Curiosity bisher nur wenig Überraschendes. Gerät die Erforschung der scheinbar lebensfreundlichen Vergangenheit des Mars zur Sackgasse?

    Das Manuskript:
    Am 6. August 2012 erreicht Curiosity den Mars - mit zweieinhalb Milliarden Dollar der teuerste, schwerste und fähigste Rover, der jemals dort gelandet ist. Das wichtigste Ziel: der Nachweis von früher geflossenem Wasser. Der ist zu diesem Zeitpunkt bereits vielfach gelungen.
    "Da muss man mal ganz ehrlich sein. Diese Meldungen kommen jedes halbe Jahr, dass wieder Wasser entdeckt worden ist und wieder Wasser und wieder Wasser." (Harald Hiesinger)
    Und längst planen die Raumfahrtnationen neue Sonden.
    "Ja also, das ist richtig. Die NASA macht damit sehr viel Öffentlichkeitsarbeit und übertreibt das vielleicht von Zeit zu Zeit." (Walter Goetz)
    Rot und tot – Was Neues vom Mars? Von Karl Urban.
    Der Mars ist der vierte Planet des Sonnensystems und Nachbar der Erde. Ein vergleichsweise kleiner Planet: seine Oberfläche gerade so groß wie alle irdischen Kontinente. Mit Beginn des Raumfahrzeitalters bekam er erstmals Besuch. Eine Raumsonde folgte der nächsten: allein in den letzten 20 Jahren elf kreisende Satelliten und Lander. Sie sammelten Unmengen von Daten über den Roten Planeten.
    Walter Goetz kennt sich aus in diesen Datenbergen. In seinem winzigen Büro am Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung steht neben hohen Papierstapeln ein Globus.
    "Mars ist ja im Wesentlichen rot oder rotbraun, entsprechend der Farbe von Eisenoxiden. Aber dieser Mars ist kunterbunt, weil er eine Höhenkarte darstellt."
    Walter Goetz ist als teilnehmender Wissenschaftler dabei, als Curiosity vor drei Jahren ankommt. Der 900 Kilogramm schwere Rover ist von der NASA entsandt worden, das Jahrzehnte alte Rätsel des Wassers auf dem Mars zu lösen. "Follow the water" – die Leitfrage. Seitdem also folgt Curiosity dem Wasser.
    Der Marsrover "Curiosity" von einem Künstler gemalt.
    Der Marsrover "Curiosity" von einem Künstler gemalt. (Nasa)
    "Gale ist hier unterhalb des Elysium-Komplexes. Genau hier. Mit dem Zentralberg."
    Auf seinem Globus zeigt Goetz, wo genau Curiosity aufsetzte. Der Gale-Krater ist auffällig, gut 150 Kilometer im Durchmesser. Mittendrin liegt ein Berg aus geschichteten Ablagerungen, in dem Geologen lesen könnten, wie in einem Geschichtsbuch. Aber den Berg hat der Rover gerade erst erreicht, ganze drei Jahre nach seiner Landung.
    "Wir müssen auch noch eine große Dünenkette überwinden. Es gibt nämlich so dunkle basaltische Dünen, die den Zentralberg umschließen. Und da gibt es verschiedene Lücken. Und das ist einer der Gründe, warum wir zunächst ein Stück, das heißt zehn Kilometer, gefahren sind, um dann durch die Dünen hindurchzufahren zu dem Berg hinauf."
    Die Primärmission endete bereits im August 2014. Curiositys Räder sind heute von der strapaziösen Fahrt über spitze Steine der Ebene so durchlöchert, dass er nur noch rückwärts fährt. Ungeduldig will Walter Goetz darüber noch nicht werden.
    "Nein, es kommen ständig neue Entdeckungen, neue Beobachtungen, neue Überraschungen. Also da geht nichts zu langsam."
    Die richtige Routenplanung eines Marsrovers ist nur eine Herausforderung der äußerst ambitionierten Marsforschung der Gegenwart. Die sucht nämlich nicht nur nach urzeitlichen Spuren für fließendes Wasser. Marsforschern geht es um eine größere Frage: Kann auf dem Mars Leben entstanden sein – und hat es gar bis heute durchgehalten?
    Giordano Bruno denkt im 16. Jahrundert erstmals über Leben auf anderen Planeten nach. 1877 zeichnet der Astronom Giovanni Schiaparelli die Marsoberfläche mit parallelen geraden Linien. Schiaparelli ist Italiener. Seine "canali", wie er sie nennt, stehen in der englischen Übersetzung sowohl für natürliche Wasserstraßen als auch für künstlich angelegte Bewässerungskanäle. Sollte intelligentes Leben diese Kanäle gebaut haben? Eine ganze Generation von Forschern wächst mit dieser ungeklärten Frage auf. Erst der Besuch einer Raumsonde sorgt für Ernüchterung: Das Pendel schlägt um: vom vermeintlich belebten zu einem trockenen und toten Mars.
    "Die ersten Missionen der NASA zeigten uns vor allem eines: Die Oberfläche war so kraterzerfurcht wie der Mond!"
    "Diese riesigen Vulkane, Hinweise auf große Fluten, die Polkappen…"
    Als junger Forscher hat Michael Carr während des Apollo-Programms die sprichwörtlichen Mondlandschaften studiert – und wendet sich jetzt hoffnungsvoll dem Mars zu. Er ist dabei, als die Raumsonde Mariner 9 ab 1971 den Mars umkreist – und mit spektakulären Bildern den Fantasien wieder Nahrung gibt.
    "Bald sahen wir all das, wofür der Mars heute steht: Diese riesigen Vulkane, Hinweise auf große Fluten, die Polkappen, Flusstäler. Am heftigsten wurden diese riesigen Fluten diskutiert, die es gegeben haben muss. Die haben uns wirklich überrascht."
    Klar ist zu diesem Zeitpunkt: Flüssiges Wasser kann es auf dem Mars von heute nicht geben: Die durchschnittliche Lufttemperatur liegt bei minus 50 Grad Celsius. Die Atmosphäre: 200 Mal dünner als die der Erde. Der Luftdruck so niedrig, dass Wasser sich an der Marsoberfläche nicht halten könnte. Zwar besitzt der Mars Polkappen und darin lagert Wassereis. Aber selbst aufgetaut kann es nicht so immense Fluten hervorgerufen haben, wie die Flusstäler nahelegen. Trotzdem sucht die NASA zunächst weiter nach Leben – mit einer Mission, die den Namen von Eroberern trägt: Viking. Zwei der vier Viking-Sonden setzen auf, um gezielt nach molekularen Spuren lebender Organismen zu suchen.
    "Die Vikinglander sind in ziemlich steinigen Lavaebenen gelandet. Große Fluten müssen sie einst ausgespült haben. Die ersten Ergebnisse schienen ziemlich spannend."
    Die Viking-Sonde auf dem Mars
    Die Viking-Sonde auf dem Mars (NASA)
    Die biologischen Versuche von Viking bringen hingegen wenig. Drei Experimente an Bord, die Stoffwechselprodukte des vermuteten Marslebens nachweisen sollen, schlagen fehl. Ein viertes Experiment liefert zwar positive Ergebnisse, die aber bleiben umstritten. Für zwei Jahrzehnte kommt die US-Marsforschung zum Erliegen.
    Die ersten Missionen hinterlassen ein widersprüchliches Bild des Roten Planeten. Der Mars ist eine scheinbar tote Welt, voller rostroter Staubwüsten. Die Oberfläche übersät von Kratern, die einschlagende Meteoriten dort in den letzten vier Milliarden Jahren hinterlassen haben. Krater, die auf der Erde innerhalb weniger Jahrtausende durch Wasser erodiert wären. Trotzdem gibt es Flusstäler auf dem Mars, die jede irdische Dimension sprengen. Allein der Canyon Valles Marineris ist mit 4.000 Kilometern so lang wie die Vereinigten Staaten. Dazu gibt es gewaltige Vulkane: Der höchste unter ihnen ist Olympus Mons und der ragt gut 21 Kilometer über das mittlere Höhenniveau des Planeten hinaus. Marsveteran Michael Carr zerbricht sich darüber bis heute den Kopf.
    "Die pure Größe der Vulkane und dieser Flusstäler ist wirklich verwunderlich. Warum bewegen sich die geologischen Strukturen auf dem Mars auf einer so großen Skala?"
    1997 bricht das Zeitalter der Rover an
    Nach mehreren Fehlschlägen starten die USA ihr Marsprogramm schließlich neu. Zwischen 1997 und 2007 verachtfacht sich das Budget für die US-Marsforschung von kaum 90 auf gut 700 Millionen Dollar pro Jahr. Alle zwei Jahre machen sich neue Raumsonden auf zum Mars. Sie liefern nicht nur immer genauere Fotos: In den ersten detaillierten Höhendaten, gemessen aus dem Marsorbit mit einem amerikanischen Lasermessgerät, finden Forscher auffällige Hügelketten. Sie durchziehen die nördliche Tiefebene des Planeten, die ein Drittel seiner Oberfläche ausfüllt. Diese Hügel scheinen über Tausende Kilometer exakt gleich hoch zu sein. Für die Forscher die Küstenlinien eines alten Ozeans – soweit man das aus dem Orbit beurteilen kann.
    1997 bricht das Zeitalter der Rover an. Gleicht das erste winzige Fahrzeug Sojourner noch einem Spielzeug, landen sieben Jahre später mit Spirit und Opportunity zwei stattliche, 180 Kilogramm schwere Robotergeologen. Sie sind dafür ausgerüstet, die Beschaffenheit des Gesteins und seinen früheren Kontakt mit Wasser zu ergründen. Spirit nimmt dazu den Gusevkrater unter die Lupe. Aus dem Orbit hatte der wie ein ausgetrockneter See ausgesehen: Auf der einen Seite führt ein Flussbett hinein, auf der anderen Seite wieder hinaus. Was Spirit vor Ort findet, ist aber eher eine Geröllebene mit viel Basalt – ein vulkanisches Gestein.
    "Wir waren sehr enttäuscht, weil es überhaupt keine Anzeichen für einen ausgetrockneten See gab."
    Monate später findet Spirit im Gestein eines Hügels dann doch mehr: Hinweise, dass an dieser Stelle etwas Thermalwasser aus der Tiefe aufgestiegen ist. Es waren wohl spärliche, von Vulkanen erwärmte Quellen und nicht wie erhofft reißende Fluten.
    "Der Zwillingsrover Opportunity landete dafür direkt auf geschichteten Sedimenten. Und die haben wir direkt als wasserhaltige Minerale identifiziert. Das war die absolute Bestätigung dafür, dass Wasser einmal auf der Oberfläche aktiv gewesen sein muss!"
    Spätere Analysen zeigen, dass rund um die Landestelle von Opportunity vor Jahrmilliarden eher kleine, salzhaltige Tümpel existiert haben, vielleicht für einige Jahrtausende, bevor sie wieder austrockneten. Hinweise darauf, wie die immensen Flusstäler gegraben wurden? Fehlanzeige. – Doch die NASA verbuchte die Ergebnisse als sensationellen Erfolg.
    Ja also. Das ist richtig. Die NASA macht damit sehr viel Öffentlichkeitsarbeit und übertreibt das vielleicht von Zeit zu Zeit."
    Bei aller Übertreibung: Die Erfolge der letzten Jahre will der Göttinger Walter Goetz nicht schmälern. Die richtige Auswahl eines Landeplatzes ist kein einfaches Geschäft, wenn dafür nur Satellitenbilder verwendet werden können. Bei der Landestelle des neuesten Rovers Curiosity, dem Gale-Krater, sei die NASA besonders sorgfältig vorgegangen.
    "Gale hat keinen Ausfluss. Aber Gale hat verschiedene Flusssysteme, die Sedimente reintransportiert haben in den Krater. Und es gibt auch Erosionsphänomene am Zentralberg selber. Und natürlich haben wir die Signatur der Mineralogie. Wir haben wässrige Verwitterungsminerale im Galekrater. Das wissen wir von den Orbitermissionen, insbesondere von dem Instrument CRISM an Bord des Mars Reconnaissance Orbiter."
    Wasser muss also zwingend in den Gale-Krater hineingeflossen sein – der Rover bestätigt die Satellitendaten nach seiner Landung fast sofort: Er findet gerundete Kieselsteine. Auf der Erde entstehen die nur, wenn sie über Kilometer im Wasser mitgetragen und dabei abgeschliffen werden.
    Später machen die Kameras des Rovers am Kratergrund flache Gesteinsschichten aus feinem Tonstein aus. Chemische Untersuchungen bestätigen: Der Ton war einmal das Bett eines Sees – und das Wasser sogar pH-neutral: also keine ungastliche Salzbrühe, sondern durchaus wohlschmeckend.
    "Curiosity": Auf dem Mars könnte noch heute Leben schlafen
    Mars: Millionen Jahre lang gab es flüssiges Wasser
    In den letzten drei Jahren hat Curiosity die Landschaft und Gesteine am Wegesrand untersucht – mit einer Genauigkeit, die aus dem Orbit gar nicht möglich gewesen wäre. Doch rechtfertigt das den immensen Aufwand: einen Rover, mit einem Massenspektrometer, einem Gaschromatographen und einem Laserspektrometer an Bord? Ernst Hauber arbeitet am Berliner Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt DLR. Er zögert.
    "Also um von einer richtigen Revolution in unserem Wissen bezüglich des Mars zu reden, ist es meines Erachtens noch zu früh. Da hat Curiosity jetzt noch nichts geliefert, was wir nicht schon mehr oder weniger angenommen haben von anderen Rover-Missionen und auch basierend aus unseren Beobachtungen aus dem Orbit."
    Zurückhaltend ist Hauber wohl auch deshalb, weil eine Grundfrage der Marsforschung bis heute unbeantwortet ist: Es gibt Tausende Hinweise auf fließendes Wasser. Dafür braucht es milde Temperaturen. Doch kein Planetologe kann bisher schlüssig erklären, wie der Mars vor 3,7 Milliarden Jahren überhaupt warm gewesen sein kann: in einer Zeit, als die junge Sonne noch 30 Prozent schwächer war als heute und somit die Marsatmosphäre noch weniger wärmte als sie es heute tut.
    Harald Hiesinger: "Das ist eine gute Frage."
    Michael Carr: "One of the puzzling things..."
    Walter Goetz: "Äh"
    "... with respect to the valley networks is [...] the climate."
    Walter Goetz: "Ich war nicht da, habs nicht gesehen."
    James Head: "Well, I think these are all very open questions."
    Harald Hiesinger: "Da habe ich jetzt keine Antwort drauf."
    Karl Urban: "Also das ist eins der großen Rätsel?"
    Harald Hiesinger: "Ja, mit Sicherheit."
    Das Paradox der schwachen jungen Sonne wurde schon vor 40 Jahren vom US-Planetologen Carl Sagan formuliert. Und es ist in gewisser Weise die Sinnfrage der Marsforschung: Entweder der Mars war niemals wirklich warm und erdähnlich und die Hinweise auf reichlich Wasser sind schlicht falsch. Oder das Wasser konnte irgendwie auch auf dem kalten Mars fließen.
    Möglichkeit eins: Der Mars hatte nie viel Wasser.
    Es gibt nicht viele Planetologen, die die Idee eines ehemals wasserreichen Mars ganz ablehnen. Einer von ihnen ist Giovanni Leone an der ETH Zürich – ein junger Außenseiter seines Fachs. Im Jahr 2013 verfasste er einen wissenschaftlichen Fachartikel mit einer provokanten These: Der größte Canyon des Sonnensystems Valles Marineris und viele andere auffällige Täler auf dem Mars seien ohne Zutun von Wasser entstanden und stattdessen von flüssiger Lava ausgespült worden.
    "Wie kann es sein, dass das Wasser aller Marsepochen sich in einem Punkt konzentrierte, um die Schlucht Valles Marineris einzuschneiden, noch dazu so nah an der Flanke eines Vulkans?
    Die von den Rovern gefundenen Hinweise auf ehemals flüssiges Wasser hält Leone für schlüssig – in Form kleiner Pfützen und Bäche. Aber Leone fehlt der Beweis, dass es jemals gigantische Mengen davon auf dem Mars gab.
    "Die Funde müssen wir uns auf einer Karte ansehen. Das sind winzige Tümpel verglichen mit den vielen tausend Kilometern an Lava."
    "(…) die logische Schlussfolgerung, dass es auf dem Mars Wasser gegeben hat"
    Leones Argument besticht – denn Vulkane spielten in der geologischen Geschichte definitiv eine wichtige Rolle. Und vermeintliche Flusstäler gibt es auch auf dem Mond, die in Ermangelung einer Atmosphäre nur durch flüssige Lava ausgespült worden sein können.
    Noch fehlt Leone die Überzeugungskraft. Harald Hiesinger etwa von der Universität Münster widerspricht. Er ist Verfechter eines früheren Marsozeans und vor allem Experte für den Mond.
    "Also, ich möchte jetzt über die Arbeit eines Kollegen nichts sagen. Aber ich persönlich bin da sehr skeptisch. Ich meine, wir sehen große Eiskappen auf dem Mars, wir sehen diese Flusssysteme. Phoenix hat Eis innerhalb der wenigen Zentimeter unterhalb der Oberfläche entdeckt. Also für mich ist die logische Schlussfolgerung, dass es auf dem Mars Wasser gegeben hat."
    Möglichkeit zwei: Das Wasser floss auf dem kalten Mars.
    Wenn die gewaltigen Fluten auf einem kalten Mars geflossen sind, müssen Forscher eines erklären: Wie kann das Wasser flüssig gewesen sein, wenn die Temperatur meist unter dem Gefrierpunkt lag – und der Luftdruck extrem niedrig war? James Head von der Brown University in Rhode Island war lange Zeit Anhänger des warmen Mars – und sogar einer der wichtigsten Befürworter eines ausgedehnten Marsozeans. Vor wenigen Jahren kam er ins Zweifeln. Heute verfolgt er eine andere Idee:
    Die Flüsse strömten vielleicht unter riesigen Gletschern hervor, die große Teile des Planeten zeitweise bedeckt haben könnten. Um diese Idee zu überprüfen, verbrachte Head mehrere Monate in den Trockentälern der Antarktis, die zu den kältesten Orten der Erde gehören.
    "Es war ziemlich erstaunlich: Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt dort bei minus 20 Grad Celsius. Über Null steigt das Thermometer höchstens mal eine Stunde am Tag. Und trotzdem haben sich immer wieder dünne Kanäle gebildet, die ganz so aussahen wie jene auf dem Mars. Es klingt vielleicht widersprüchlich, aber selbst tief im Eis kann immer wieder Schmelzwasser entstehen. Und das kann Flusstäler einschneiden."
    So umstritten wie die Frage nach den großen Flusstälern und dem Wasser ist, ringen vor allem die Marsforscher hinter Curiosity noch mit einem anderen Problem: Sie würden mit dem Rover gerne organische Moleküle nachweisen – und verzweifeln daran. Ernst Hauber am Berliner Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt DLR:
    "Die eigentliche Mission von Curiosity ist ja auch nicht Spuren von Wasser zu finden – die haben andere Missionen auch schon gefunden, – sondern, es ist ja eigentlich ziemlich klar: Sie wollen organische Moleküle finden. Dafür haben sie ihr kompliziertestes und teuerstes Instrument, das sogenannte Sample Analysis on Mars. Und ich denke, erst wenn das der Fall wäre, würde man von einer wirklichen Zeitenwende in der Marsforschung reden."
    Leben braucht nicht nur flüssiges Wasser. Es braucht auch chemische Bausteine. Komplexere organische Moleküle wie Aminosäuren ließen sich auf dem Mars aber bis heute nicht finden. Dabei sollte es die auf dem Mars geben. Denn organisches Material reist auf vielen Kometen und Asteroiden durchs Sonnensystem, erzählt Fred Goesmann vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
    "Einerseits wäre es total schrill, wenn es da nicht wäre. Weil man ja weiß, wie viele Meteoriten runterfallen und dass die was enthalten. Da muss irgendwann was vom Himmel gefallen sein. Wenn es weg ist, ist auch das interessant: Verdammt nochmal, wieso? Was oxidiert mir den Krempel so weit weg, dass ich ihn nicht wiederfinde? Aber ich bin mir nicht sicher. Die Publikationen sind immer so ein bisschen vorsichtig. Wo man dann sagt, wir haben da was gesehen. Aber das könnte so viel Kontamination sein, mitgebrachter Dreck so viel. Am Ende ist wahrscheinlich Organik da. Aber so richtig einzigartige organische Materie auf dem Mars: Da ist noch was zu holen, glaube ich."
    Schon in den 70er-Jahren weisen die Viking-Lander nicht wie geplant organisches Material nach, als sie den Staub an Bord erhitzen und dann spektroskopisch untersuchen, sondern nur eine merkwürdige Chlorverbindung."
    "Die offizielle Interpretation der Instrumentenbauer war es immer gewesen: Das war ein Reinigungsmittel und so ist das eben."
    Dabei gibt es in der Marsatmosphäre winzige Mengen Methangas, ein Zersetzungsprodukt organischer Verbindungen. Erst im Jahr 2007 findet der NASA-Lander Phoenix dann die Erklärung, warum bis dahin keine Sonde organische Moleküle entdeckt hat: Zersetzung. Die Sonde entdeckt aggressive Salze der Gruppe der sogenannten Perchlorate im Marsstaub.
    "Also chlorsauerstoffhaltige Verbindungen. So für Blöde: Das ist wie Salpeter im Schwarzpulver. Wenn man das Zeug heiß macht, dann macht das Puff. Und man sieht dann von der Kohlenstoffchemie nicht mehr allzu viel. Und da kam eine interessante Diskussion auf. Wenn das wirklich so ist: Dieses Perchlorat ist da überall und die Kohlenstoffchemie auch. Dann ist vielleicht die Methode, das Zeug aufzuwärmen und zu hoffen, dass da was rausdampft, gar nicht so gut, um zu untersuchen, woraus das Gelump eigentlich besteht."
    Für Curiosity kommt diese Erkenntnis zu spät – der Rover ist zu diesem Zeitpunkt längst im Bau. Zwar hat er hochgenaue Sensoren für organische Moleküle an Bord – die aber vorher den Marsstaub auf 1.000 Grad Celsius erhitzen und organische Moleküle so noch vor ihrem Nachweis zerstören. Der komplexe Rover stößt an seine Grenzen. Die Suche nach organischem Material oder gar Leben hat die NASA vorsorglich gar nicht zum wichtigsten Ziel von Curiosity erklärt.
    Dafür entwickeln deren Ingenieure längst einen Nachfolger: Im Jahr 2020 soll ein neuer US-Rover zum Mars starten, der wie Curiosity fast eine Tonne wiegt. Zum ersten Mal seit fast 50 Jahren setzt sich die NASA ein wirklich ehrgeiziges Ziel.
    2018 will die ESA einen eigenen Mars-Rover starten
    Auch Europas Raumfahrtagentur gibt sich ambitioniert: 2016 soll der Trace Gas Orbiter dem Ursprung des Methans auf den Grund gehen. Zwei Jahre später will die ESA mit russischer Hilfe einen eigenen 1,2 Milliarden Euro teuren Rover starten: ExoMars. Missionsleiter Jorge Vago glaubt daran: Diesmal sei man den "Außerirdischen" dicht auf den Fersen.
    "Wir suchen nach Biosignaturen, also nach wirklichen Hinweisen für ausgestorbenes Leben, das vielleicht auf dem frühen Mars existierte. Damals vor vier Milliarden Jahren dürfte der Mars ja der Erde geglichen haben, zu einer Zeit, als hier bei uns das Leben entstand! Und sollte es auf dem Mars tatsächlich noch heute Leben geben, werden wir sicherstellen, dass wir es finden."
    US-Forscher denken sogar schon über den übernächsten Schritt nach – der noch vielfach aufwendiger werden dürfte: Eine Sample-Return-Mission, irgendwann im nächsten Jahrzehnt.
    "Der beste Weg zum urtümlichen Leben wäre für mich, Proben zur Erde zu bringen. Dann können wir unsere analytischen Fähigkeiten voll ausspielen."
    Auch Fred Goesmann hätte das Material lieber in seinem Göttinger Labor, als in einem zusammengelöteten winzigen Instrument auf einem kleinen Marsrover.
    "Sample Return hätte sicherlich was. Wenn man Kilowatt und Tonnen zur Verfügung hat, ist das was anderes als Watt und Gramm, gar keine Frage. Da was nach Hause zu holen, wäre sicherlich sinnvoll."
    Es gibt auch günstigere Wege, auf der Oberfläche des Roten Planeten zu forschen. Die 2007 abgesetzte NASA-Mission Phoenix ist lediglich ein stationärer Lander ohne schweres Fahrgestell. Dennoch gelangen in seinem kleinen chemischen Labor wichtige Entdeckungen, wie der Fund der aggressiven Perchlorate im Marsstaub. Für 2016 geplant ist die Mission InSight. Sie soll erstmals Daten über den Untergrund des Mars liefern, für gerade 425 Millionen Dollar. Ein Bruchteil der Kosten von Rovern wie Curiosity oder ExoMars.
    Ernst Hauber glaubt trotzdem nicht, dass man ganz auf bewegliche Fahrzeuge verzichten kann. Er ist Teammitglied von Europas ExoMars-Mission. Die hat als wichtigstes Instrument einen Bohrer an Bord, der erstmals bis zu zwei Meter tief im Marsboden nach organischen Molekülen fahnden soll. Wo genau, wollen die Forscher entscheiden, wenn Sie die Umgebung nach der Landung in Augenschein genommen haben.
    "Wenn Sie auf der Suche nach Sedimenten, also geschichteten Ablagerungen, sind und nach Lebensspuren suchen wollen, dann brauchen Sie eine Mission, die mobil ist. Dann können Sie nicht irgendwo landen und hoffen, dass das der richtige Ort ist."
    So kann man argumentieren. Doch dem Außenseiter in der Marsszene Giovanni Leone erscheint es unehrlich, auf dem heutigen Stand der Forschung die teuren Missionen weiter mit der Suche nach Wasser und Leben zu begründen.
    "Das Geld macht den Mars nass und trocken! Ich fürchte wirklich, die ganze Geschichte mit dem Wasser und dem möglichen Leben war einfach der bequemste Weg, Geld für die Missionen zu bekommen. Ich denke, wir sollten so nicht weitermachen."
    Planetenforscher Harald Hiesinger aus Münster wünscht sich ebenfalls mehr Ehrlichkeit – für bislang weniger gut beleuchtete Aspekte des Roten Planeten.
    "Es wird sich in den Medien auf ein Thema eingeschossen. Und Mars und Wasser passt einfach immer zusammen. Das wird immer noch von der NASA propagiert. Das ist auch der Grund, warum man so viele Missionen fliegt. Das muss man ganz offen zugeben."
    Vom Mars, seinen Vulkanen, Einschlagskratern und Klimazyklen lässt sich immerhin auch etwas über die Erde lernen. Dazu ist die Marsforschung ein innovatives Geschäft: hier können Ingenieure viel Neues entwickeln, von riesigen Fallschirmen bis zu hoch automatisierten Laborgeräten. - Nur lässt sich das schwerer vermitteln.
    "Ich meine, Mars hat 1.000 andere Prozesse, die mindestens so spannend sind wie das Wasser."
    Doch die dürften kaum reichen, Milliarden teure Raumsonden schmackhaft zu machen: nicht den Raumfahrtagenturen – und schon gar nicht der Öffentlichkeit. So klammern sich auch die Forscher weiter an einen einst nassen, belebten Mars. Eine Hoffnung, die die kommenden hochgerüsteten Rover nur allzu leicht enttäuschen könnten.
    "Entweder ist das ein weiterer Punkt auf dem Weg nach oben, an dem man sagt: Wir suchen weiter nach Biologie auf dem Mars und machen das. Und wenn dabei wieder nichts rauskommt, kann das auch einen gegenteiligen Effekt haben: Okay, mit Mars, das war ja ganz nett. Da kann man ganz gut hin, da hätte was sein können. Ist aber nicht. Durch, anderes Thema."
    Rot und tot. Was Neues vom Mars?
    Von Karl Urban
    Regie: Friederike Wigger
    Redaktion: Christiane Knoll