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Neuordnung des Verfassungssgerichts
"Eine Angelegenheit der Polen selbst, diese Dinge zu klären"

Die Menschen in Polen seien relativ sensibel, wenn es um Fragen ihrer nationalen Souveränität gehe, sagte Thomas Nord (Linke), Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe, im DLF. Die Kritik der EU an den Änderungen beim Verfassungsgericht seien zwar berechtigt, dennoch müsse man zurückhaltend sein.

Thomas Nord im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 23.12.2015
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    Matthias von Hellfeld: Die Maßnahmen in Polen werden in Brüssel bei den Institutionen der Europäischen Union kritisch beäugt, denn es werden in Polen nicht nur polnische Gesetze geändert, sondern auch Grundrechte infrage gestellt, die konstituierend für die Europäische Union sind. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn rief die EU zum Handeln auf und stellte die Maßnahmen der neuen Regierung in Polen in eine Reihe mit diktatorischen Regimen.
    Die Reaktionen von Jean Asselborn sind deutlich und animieren vielleicht jedenfalls auch andere Politiker, sich den Forderungen des Luxemburgers anzuschließen oder sie zumindest zu kommentieren. Dazu bin ich jetzt verbunden mit Thomas Nord. Er ist Bundestagsabgeordneter der Fraktion der Linken, er sitzt als Vorsitzender in der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe und er ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Guten Abend, Herr Nord!
    Thomas Nord: Einen wunderschönen guten Abend!
    Hellfeld: Jean Asselborn hat gefordert, die polnische Regierung zu einer Anhörung nach Brüssel zu zitieren. Halten Sie das für eine geeignete Maßnahme?
    Nord: Na ja, was soll ich sagen. Einerseits ist die Kritik der Europäischen Union sicherlich berechtigt, weil, die Einschnitte bei der Gewaltenteilung in Polen machen natürlich Sorgen und es ist völlig berechtigt, wenn die Europäische Kommission an der Stelle dann Kritik übt. Auf der anderen Seite denke ich mir, dass man auch aufpassen muss, dass man das Kind nicht mit dem Bade auskippt.
    "Polen hat eine sehr tragische Geschichte"
    Hellfeld: Wie meinen Sie das mit dem Bade auskippen? Ich meine, es geht um Werte der Europäischen Union, die da missachtet werden offenbar.
    Nord: Selbstverständlich ist das zu kritisieren. Auf der anderen Seite sollte man bedenken, dass das eine demokratisch gewählte Regierung ist, die sicherlich im Wahlkampf einen anderen Eindruck hinterlassen hat als den, den sie jetzt praktisch bei den Bürgerinnen und Bürgern auch in Polen hinterlässt. Auf der anderen Seite hat Polen eine sehr tragische Geschichte und die polnischen Bürgerinnen und Bürger sind nach meiner Erfahrung relativ sensibel, wenn es um Fragen ihrer nationalen Souveränität geht.
    Hellfeld: Wie werden denn die Maßnahmen und die neue Regierung und das, was sie vorhat, in der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe diskutiert?
    Nord: Na ja, zunächst waren wir von dem Wahlergebnis so auch erst mal überrascht, wir hatten mit einem so klaren Wahlergebnis für die PiS nicht gerechnet, waren aber der Ansicht, dass es möglicherweise doch so ist, dass die PiS das macht, was sie im Wahlkampf verspricht, nämlich eine relativ moderate Politik. Und da man einer Regierung immer erst mal 100 Tage gibt, bevor man sie kritisiert, hatte man sich zunächst darauf verständigt, dass wir diese 100 Tage abwarten.
    Hellfeld: Aber in diesen 100 Tagen passiert sehr viel und da ist die Verfassung schon verändert und damit sind ja auch schon Fakten geschaffen worden.
    Nord: Ja, selbstverständlich, mit diesem Tempo der Veränderung in Polen hatten wir jetzt aber so nicht gerechnet. PiS hat sehr schnell deutlich gemacht, dass man sich an das, was man im Wahlkampf verspricht, nicht hält, sondern dass man sehr deutliche Einschnitte bei den demokratischen Rechten vornimmt, dass man die Gewaltenteilung infrage stellt, dass sehr schnell Personalentscheidungen getroffen worden sind, die man sehr kritisch sehen kann. All das sind Dinge, die so auch nicht erwartet worden waren, auch nicht bei uns.
    "Mit der gewählten Regierung reden"
    Hellfeld: Nun sind ja die beiden Länder, Deutschland und Polen, gemeinsam in der Europäischen Union, in vielen anderen Organisationen auch gemeinsam und eben auch diesen berühmten Werten verpflichtet. Was machen wir denn jetzt?
    Nord: Ja, zunächst erst mal muss man, glaube ich, mit der gewählten Regierung in Polen noch reden. Unsere Aufgabe als Parlamentarier und Parlamentarierinnen ist natürlich, vor allen Dingen das als Erstes zu tun, auch mit den gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern, um deutlich zu machen, dass wir hier Kritik haben, dass wir denken, dass das so nicht geht, dass die PiS sehr wohl bedenken sollte, dass Polen ein sehr erfolgreiches Land in der Europäischen Union in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, dass sich das auch sehr wohl zugunsten der Polinnen und Polen ausgewirkt hat und dass es nicht zuletzt auch im Interesse Polens selber ist, hier gute Beziehungen in der Europäischen Union aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus, denke ich, ist es ganz wichtig, dass wir jetzt die guten Kontakte, die ja vor allen Dingen auch in der Zivilgesellschaft zwischen deutschen und polnischen Bürgerinnen und Bürgern bestehen, jetzt intensiv pflegen und denen, die sich in Polen vor allen Dingen auch Gedanken machen über die Demokratie in ihrem Land, Rückendeckung geben, dass wir sie unterstützen darin, dagegen anzukämpfen, dass sich eine solche Entwicklung in ihrem Land vollzieht, und dabei zugleich berücksichtigen, dass es eine Angelegenheit der Polen selbst sein muss, diese Dinge zu klären.
    Hellfeld: Würden Sie denn als letzte Maßnahme, wenn das alles nicht hilft und Sie keine Veränderung sehen in die Richtung, die Sie ja auch gerade angedeutet haben, würden Sie dann Sanktionen oder Maßnahmen gegen Polen für richtig halten oder würden Sie das dann doch nicht machen?
    Nord: Ich glaube, solche doch sehr drastischen Maßnahmen sind das letzte Mittel, das man in der Europäischen Union zur Verfügung hat, um Entwicklungen aufzuhalten. Ich glaube, dass man beim Einsatz dieser Mittel immer sehr vorsichtig sein sollte, auch schon deswegen, damit man damit oder mit der Drohung, solche Mittel einzusetzen, nicht das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen möchte. Polen hat eine sehr tragische Geschichte, viele Polinnen und Polen reagieren sehr allergisch auf Eingriffe in die nationale Souveränität und sie haben gute Gründe dafür, so zu reagieren. Man muss da, glaube ich, aufpassen, was man tut, man muss vor allen Dingen an die Bürgerinnen und Bürger in Polen selbst appellieren und die, die sich dort gegen diese Entwicklung stemmen, auch unterstützen. Aber ich sage jetzt mal, der Einsatz von solchen Druckmitteln, das ist etwas, was ich glaube ich wirklich nur als allerletzte Instanz betrachten würde. Und nach so kurzer Zeit sehe ich das im Moment noch als vielleicht doch zu früh an, über solche Dinge zu reden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.