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Neuregelung
ALG II von der Supermarkt-Kassierin

Zigaretten, Schokolade und Bargeld - das gibt es an Supermarktkassen. Und künftig auch Leistungen von der Arbeitsagentur. Wer Anspruch darauf hat und kein Konto besitzt, kann sich das Geld bar auszahlen lassen. Datenschützer kritisieren die Neuregelung.

Von Mischa Ehrhardt | 13.11.2017
    Eine Kassiererin nimmt am in einem Supermarkt das Geld einer Kundin entgegen.
    "Gerne auch noch eine Tragetasche und das ALG II": So könnte es bald an Supermarktkassen zugehen (dpa)
    Wie so oft hat die Medaille zwei Seiten. Auf der einen Seite erscheint die Sichtweise der Bundesagentur für Arbeit. Sie will vor allem Kosten sparen: 3,2 Millionen Euro kosten die rund 300 Bargeldautomaten, die in den Arbeitsagenturen und Jobcentern bislang stehen. Acht Euro für jede Transaktion muss die Bundesagentur für die Automaten bezahlen. Das ist zu viel, hat die Agentur entschieden und wirbt für die Vorteile, die Supermarktkassen den Betroffenen bieten können:
    "Es war unser Ziel das ganze kostengünstiger, effizienter und für die Menschen leichter zu gestalten. Denn jetzt durch das neue System ist es so, dass sie über 8.000 Auszahlungsstellen im Einzelhandel haben. Hauptgrund ist also das Thema Einsparpotential und zum anderen wollten wir es aber auch komfortabler für die Menschen machen, die Arbeitslosengeld beziehen."
    Nur mit Bescheinigung
    Sagt Frauke Wille, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Vor allem in ländlichen Gebieten werde es für die Bezieher von Arbeitslosengeld einfacher sein, an Auszahlungen zu kommen. Das allerdings ist nur zum Teil richtig. Denn vor dem Gang in den Supermarkt braucht man eine Bescheinigung. Betroffene müssen also zwei Wege gehen, um schließlich an das Bargeld im Supermarkt zu kommen. Dass die Bargeldausgabe in Anspruch genommen wird zeigt die Zahl der Transaktionen im vergangenen Jahr - 400.000 Bar-Transaktionen hat die Bundesagentur im vergangenen Jahr an den Automaten gezählt. Der Arbeitsmarktforscher Stefan Sell von der Hochschule Koblenz kann aus Beobachtersicht die Gründe der Bundesagentur – also Kosten zu sparen zu wollen – nachvollziehen. In der Bewertung sieht er das Ganze allerdings kritisch:
    "Das Bedenkliche ist: Das ist eine hoheitliche Aufgabe, dafür sind die Agenturen selber zuständig und sie müssen auch rechtzeitig und ausreichend eigene Dienste zur Verfügung stellen."
    Ein Datenschutzproblem
    Die Bundesagentur sieht dieses Hindernis nicht – sie geht davon aus, dass sich diese Bestimmung nicht auf die Art und Weise der Auszahlung beziehe. Stefan Sell sieht darüber hinaus bei dem Plan der Bundesagentur aber vor allem noch ein anderes Problem:
    "Das Entscheidende ist das Datenschutz-Problem. Die Leute werden an der Kasse erkennbar und das verstößt eigentlich gegen Datenschutzbestimmungen."
    Nichts schön reden
    Ein Thema, das aktuell natürlich im Hause der Bundesbeauftragten für Datenschutz diskutiert wird. Noch habe man sich zu keiner Stellungnahme entschließen können heißt es aus der Bonner Behörde – das weist übrigens darauf hin, dass der Vorschlag der Bundesagentur wohl nicht im Vorfeld mit der Datenschutzbeauftragten abgesprochen wurde. Wie auch immer, jedenfalls sieht die Bundesagentur auch dieses Problem nicht. Sie verweist darauf, dass es auch andere Formen der Gutscheine und Gutschriften gebe, die man an der Supermarktkasse einlösen kann. Dem widerspricht der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider:
    "Machen wir uns nichts vor: Wenn jemand in der Kassenschlange 50 oder 150 Euro abhebt dann kann man wohl davon ausgehen, dass das kein Flaschenpfand ist. Man braucht da jetzt nichts schön reden. Wir sagen ja nicht, dass man das Problem nicht lösen kann, aber es muss eine bessere Lösung her, und daran sollten wir jetzt arbeiten."
    Übrigens ist der neue Vorschlag auch nicht kostenlos für die Bundesagentur. Denn ein Finanzdienstleister wird zwischengeschaltet, der die Anbindung an die rund 8000 Supermärkte herstellt. Und der will bezahlt sein. Nur in welcher Höhe, darüber schweigt sich die Bundesagentur aus. Diese andere Seite der Medaille heißt: Vertragsangelegenheit – und über die spricht man nicht.