Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen
"Wir bekommen eine Verstärkung für unsere Freiheit"

Der Bremer Bürgermeister Carsten Sieling hat die geplante Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen verteidigt. Der Bund werde danach stärker als bislang dafür sorgen, dass es in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse gebe, sagte Sieling im DLF. Es sei wichtig, dass der Bund etwa Kommunen endlich wieder beim Bau von Schulen helfen könne.

Carsten Sieling im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.06.2017
    Der Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Carsten Sieling.
    Der Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Carsten Sieling. (imago / ZUMA PRESS)
    Jasper Barenberg: Just heute sind die Bremer eingeladen und aufgefordert, dieses Lied und andere gemeinsam auf dem Bremer Marktplatz zu singen. Anlass: der 70. Geburtstag des Landes – Motto: "Bremen so frei". Am Telefon ist jetzt der Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen. Guten Morgen, Carsten Sieling!
    Carsten Sieling: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Was ist der Preis der Freiheit? Das ist ja auch wohl die entscheidende Frage bei den neuen Regeln für die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern, oder nicht?
    Sieling: Ja, aber hier etwas umgekehrt als vor 371 Jahren.
    Barenberg: Sie sagen es.
    Sieling: Genau, weil wir jetzt eine Unterstützung für unsere Freiheit bekommen, eine Verstärkung für unsere Freiheit, da es Gott sei Dank so ist, dass Bremen, aber auch die 15 anderen Bundesländer sich über die Jahre erkämpft haben, dass es eine Eigenständigkeit gibt und diese Eigenständigkeit auch in gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland stattfinden muss. Das wird gewährt ab 2020 in weit besserer Form als bisher.
    Barenberg: Das heißt, jetzt klingelt das Säcklein in Bremen im Tausch gegen wichtige Kompetenzen, die Sie an den Bund abgeben. Ist das die Formel 2017?
    "Das ist eine auf die Kommunen gerichtete Unterstützung"
    Sieling: Es klingelt nicht, weil wir nach wie vor gewaltige Anstrengungen unternehmen müssen. Auch ab 2020 wird es keine große Party geben können. Dafür sind die Aufgaben, die wir zu lösen haben, viel zu groß. Das ist die eine Seite und auf der anderen Seite muss ich sagen, das Abtreten von Kompetenzen sehe ich nicht, sondern auch da gibt es wichtige Elemente, wenn zum Beispiel der Bund jetzt endlich wieder im Bereich der Schulinfrastruktur für übrigens gerade Kommunen und Städte, die in schwierigen Lagen sind – das ist ja eine kommunale Unterstützung oder eine auf die Kommunen gerichtete Unterstützung -, wenn er da hilfreich wird. Das wird auch dem Land helfen, das hilft den Menschen sehr direkt.
    Barenberg: An diesem Punkt, was die Freiheit angeht, da sind Sie gern bereit, Kompetenzen in der Bildungspolitik abzugeben.
    Sieling: Wir geben ja gar keine Kompetenzen ab, sondern wir bekommen, wenn wir sagen, wir bauen Schulen, eine Unterstützung für diesen Bau. Die Entscheidung darüber treffen wir selber, wie die Schule aussieht, wo sie steht und Ähnliches. Auch beim Autobahnbau ist es doch so, dass natürlich die baurechtlichen Fragen nach wie vor in der gesamten Hand sind. Ich erkenne auch gar nicht den wesentlichen Verlust.
    Barenberg: Aber Sie würden schon zustimmen, wenn man sagt, die Abhängigkeit Bremens und der anderen Länder vom Bund wird nach den neuen Regeln ungleich größer sein als vorher?
    "Wir sind leider in den letzten 30 Jahren auseinandergefallen"
    Sieling: Der Bund wird in der Tat in weit größerer Weise dafür sorgen, dass das Gemeinwesen Deutschlands eine Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen hat. Wir sind leider in diesem Land in den letzten 30 Jahren auch durch viele politische Entscheidungen so auseinandergefallen, dass die Einkommenslagen in gewissen Teilen sehr stark in Süddeutschland viel, viel stärker sind als in großen Teilen Ostdeutschlands. Das können dann die Länder untereinander gar nicht mehr ausgleichen, ohne schwierige innenpolitische Debatten zu bekommen. Ich verstehe da ein Stück weit auch die Schwierigkeiten, die man in Baden-Württemberg, in Hessen und auch in Bayern hat.
    Barenberg: Da ist auf der anderen Seite die Kritik natürlich groß, unter anderem beim Bundestagspräsidenten, bei Norbert Lammert. Sie hören sich jetzt so an, als würden Sie dieses Prinzip der Solidarität unter den Ländern ziemlich leichtfertig aus der Hand geben und verabschieden.
    Sieling: Nein, ganz und gar nicht. Wir haben eine Ausgleichsstufe herausgenommen. Aber natürlich gibt es immer noch Zu- und Abschläge und so gesehen sagt Frau Hasselfeldt in Ihrem Beitrag sicherlich richtig, dass Bayern eine Entlastung von einer guten Milliarde erfährt. Aber sie hat nicht gesagt, dass Bayern natürlich bisher vier Milliarden hinzutut, und vier Milliarden minus eine Milliarde sind immer noch drei Milliarden, mit denen sich Bayern daran beteiligt.
    Barenberg: Also es gibt ihn noch, den Gedanken, dass die stärkeren die schwächeren Länder unterstützen, dass man füreinander einsteht, nur man sieht es nicht mehr so genau?
    "Eigenständigkeit wird nicht infrage gestellt"
    Sieling: Genau. Es wird nicht mehr so unmittelbar ausgewiesen im Landeshaushalt von Bayern. Das beruhigt die Politik dort, die CSU und Herrn Seehofer sehr. Wenn es ihn beruhigt und wenn es dem Zusammenhalt Deutschlands nützt, dann bin ich damit einverstanden.
    Barenberg: Was antworten Sie denn auf Norbert Lammert, der gesagt hat, das sei ein monströser Eingriff in das Grundgesetz und wir laufen sehenden Auges in einen Zentralstaat?
    Sieling: Dass das eine große Übertreibung ist. Er hat es ja festgemacht an der Bildungspolitik. Wir haben eine verrückte Regelung im Grundgesetz seit 2006, die heißt Kooperationsverbot, zu Deutsch das Verbot, zusammenzuarbeiten. Was für ein Widersinn. Und ich bin froh, dass wir das an dieser Stelle ein bisschen wenigstens verändert haben, so dass die Zusammenarbeit beim Schulbau hier möglich ist. Damit wird Eigenständigkeit nicht infrage gestellt. Herr Lammert übertreibt da, weil er scheinbar auch einer der Väter dieser falschen Entscheidung von 2006 ist oder sich jedenfalls damit identifiziert.
    Barenberg: Wir sprechen mit Carsten Sieling, dem Bürgermeister aus Bremen. – Herr Sieling, wir müssen über Afghanistan sprechen. Nach dem fürchterlichen Anschlag fordern Sie wie andere Politiker der SPD, Abschiebungen nach Afghanistan jetzt zu stoppen, vorläufig zumindest. Nun gab es sieben bis acht schwere Anschläge allein in diesem Jahr in Afghanistan. Was hat sich jetzt für Sie verändert?
    "Afghanistan ist kein sicheres Land"
    Sieling: In der Tat! Ich habe selber immer gesagt, wie viele andere auch, Afghanistan ist kein sicheres Land und kein sicheres Herkunftsland. Diese schrecklichen Anschläge und insbesondere natürlich die gestrigen Ereignisse zeigen das, glaube ich, sehr, sehr deutlich. Wenn das nicht jetzt überprüft werden muss und wenn nicht jetzt sofort wir ein Moratorium brauchen, dass innegehalten wird und überprüft wird, wann dann, und deshalb ist die Bundesregierung hier in der richtigen Verantwortung. Bis dahin darf man auf jeden Fall nicht abschieben.
    Barenberg: In der Verantwortung wäre dann vor allem und in erster Linie auch der Außenminister, den die SPD stellt, Sigmar Gabriel, denn das Auswärtige Amt veröffentlicht nun mal die Einschätzungen der Sicherheitslage. Ist das also ein Appell auch an ihn, jetzt die Situation neu zu bewerten in seinem Verantwortungsbereich?
    Sieling: Natürlich ist das auch eine Aufforderung an den Bundesaußenminister, der dem nachkommen muss. Es ist sein Zuständigkeitsbereich. Ich habe aber es auch so verstanden, dass man das dort machen wird. Es war ja gestern kein Alleingang von Herrn de Maizière. So läuft das ja nicht in der Bundesregierung, dass er den Flug von gestern storniert hat. Man muss sich diese Lage jetzt genau angucken. Bisher ist schon argumentiert worden, nicht alle Regionen Afghanistans seien sicher. Jetzt muss man sich ja fragen, welche Regionen eigentlich sicher sein sollen, und das muss dann die Bundesregierung wirklich auch einmal sagen, wenn sie weiter Abschiebungen nach Afghanistan so möglich machen will.
    Barenberg: Dass es relativ sichere Gegenden in Afghanistan gibt, das sagte gestern zuletzt der Bundestags-Innenexperte Ihrer Partei, Burkhard Lischka. Warum ist die SPD nicht zu einer geschlossenen Haltung imstande?
    "Überall wo große Städte sind in Afghanistan, da ist die Gefahr groß"
    Sieling: Wir sind da zu einer geschlossenen Haltung imstande, schon deshalb, weil Burkhard Lischka gestern ja auch sehr richtig gesagt hat, dass man die Abschiebung jetzt einstellen muss bis auf schwere Straftäter. Dem will ich gar nicht widersprechen. Aber dann wird es sich dabei um eine wirklich ganz, ganz, ganz kleine Zahl von Leuten wahrscheinlich handeln, weil der überwiegende Grund für Abschiebungen natürlich ein anderer ist. In jedem Falle gibt es natürlich, mag es natürlich sichere Zonen geben. Ich bin nur nicht ganz sicher, wie viel Menschen da eigentlich wirklich wohnen und ob man da leben kann in diesen sicheren Zonen, denn überall wo große Städte sind in Afghanistan, da ist die Gefahr ja groß.
    Barenberg: Aber ich habe Sie richtig verstanden, wenn es um Straftäter geht, dann ist Ihnen egal, dass man jemanden in Lebensgefahr bringt?
    Sieling: Nein! Das ist so nicht gesagt. Aber wenn der Begriff schwere Straftäter von Herrn Lischka kommt, dann wird er schon wissen als innenpolitischer Sprecher, welche Abgrenzung das erfährt, und dann gibt es ja Behörden in Afghanistan, an die diese Personen überstellt werden. Und ich glaube, das kann man verantworten, wenn man sicher ist, wo die dann ankommen. Die können ja dann nicht in Afghanistan weiter frei herumlaufen.
    Barenberg: Der Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, der SPD-Politiker Carsten Sieling. Danke für die Zeit heute Morgen.
    Sieling: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.