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Neurochirurgie
Neuartiger Roboter ermöglicht schonendere Operationen

Medizintechnik. - 2,5 Millimeter dünne Tentakel aus Titan bringt der jüngste Operationsroboter mit an den Chirurgentisch. Sie sollen Eingriffe um kritische Areale herum ermöglichen und so die Operationen für Patienten schonender machen. Im Mechatronik-Zentrum der Uni Hannover arbeiten Wissenschaftler an der Serienreife des Systems. In fünf Jahren könnte die OP-Hilfe zum Einsatz kommen – vor allem in der Neurochirurgie.

Von Michael Engel | 18.09.2014
    Fünf mal fünf Zentimeter groß ist die knöcherne Öffnung hinter dem Ohr, wenn Dr. Omid Majdani vom Hörzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover am Hörnerv operiert. Der sogenannte Zugang muss bis heute immer noch sehr groß sein, sagt der HNO-Mediziner
    "weil man entsprechend in einem Korridor sich nach vorne bewegen will und entsprechend Platz braucht, um an den inneren Gehörgang ran zu kommen. Dazu muss das Kleinhirn zur Mitte hin verlagert werden. Und das ist ja das, wovon sich die Patienten dann bis zu zwei Wochen erholen müssen."
    Besser wäre, wenn es flexible Geräte gäbe, mit denen man um kritische Hirnareale herum hantieren könnte. Das wünscht sich auch sein Kollege Professor Makoto Nakamura aus der Neurochirurgie.
    "Eine weitere Möglichkeit wäre die Entfernung von Gehirnblutungen beim Schlaganfall. Wenn man diese Operation nur mit einem kleinen Loch mit einem robotisch geführten Instrument beispielsweise durchführen könnte, kann man sich auch vorstellen, dass solche Operationen letztendlich für den Patienten schonender sind als die konventionelle Methode."
    Biegsamer Roboter umschifft kritische Areale
    Als Prototypen gibt es den biegsamen OP-Roboter bereits. Das Gerät besteht aus mehreren metallischen Röhrchen, ähnlich einer Teleskopantenne, doch sind sie nur 2,5 Millimeter dünn. Das Ganze ähnelt eher einer Tentakel, die sich in alle Richtungen winden kann, erklärt Dr. Jessica Burgner-Kahrs vom Mechatronik-Zentrum der Uni Hannover.
    "Und dann kann diese Antriebseinheit, die wir gerade gehört haben, quasi je nach Patient die Röhrchen derart antreiben, dass die Operation durchgeführt werden kann."
    Zum Beispiel in das Nasenloch hinein. In Kurvenfahrt geht es weiter durch die verzweigten Gänge der Nasennebenhöhle bis vor eine knöcherne Wand. Dahinter liegt die Hirnanhangdrüse, an der die Patienten nunmehr schonend operiert werden können. Da die flexiblen Röhrchen innen hohl sind, passen Kamera, Skalpell und auch der Bohrer für das Loch im Schädelknochen hindurch.
    Jessica Burgner-Kahrs: "Letztendlich werden diese Röhrchen mechanisch angetrieben. Die allerdings sind vorab vorgebogen. Das heißt, wenn ich ein solches Röhrchen aus Nickel-Titan habe, kehrt es nach Rücknahme der Kräfte wieder in die ursprüngliche Form zurück. Und dieses Prinzip macht man sich nun zunutze, indem man solche vorgebogenen Röhrchen zueinander anordnet, konzentrisch, tentakelartig, und letztendlich so die Bewegung erzielt, durch Translation und Rotation dieser Röhrchen zueinander."
    Da die metallische Tentakel immer aus mehreren vorgebogenen und ineinander gesteckten Röhrchen besteht, kann durch Drehung einzelner Elemente die Kurvenform gezielt verändert werden. Auch das teleskopartige Verschieben der Röhrchen ineinander erzeugt zielgenaue, wellenförmige Verläufe. Die Informatikerin entwickelt die Programme für die Antriebseinheit:
    "Wenn der Arzt uns sagt, hier habe ich den Patienten, und ich möchte gern diesen Tumor dort erreichen. Der ist eben genau hinter dieser anatomischen Struktur, hinter so einer knöchernen Wand, und ich möchte gerne um diese Ecke herum diesen Tumor entfernen. Wenn er uns quasi die Distanzen nennt, das Volumen des Tumors und die Geometrie ein bisschen beschreibt, dann können unsere Algorithmen berechnen, wie diese Röhrchen vorgebogen werden müssen."
    Der Chirurg führt die Tentakel während der Operation mit einem Joystick zum Zielgebiet. Bewähren könnte sich das System neben der Neurochirurgie auch bei komplizierten Kniegelenkseingriffen - sogar "Fetaloperationen" sind denkbar, um einem herzkranken Kind noch vor der Geburt zu helfen. Momentan schreiben Omid Majdani, Makoto Nakamura und Jessica Burgner-Kahrs Anträge an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Sie wollen das System an menschlichen Leichen, dann im Tierversuch erproben. Wenn alles klappt, könnte sich das tentakelartige System schon in fünf Jahren im OP bewähren.