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Neurowissenschaft
Mensch gegen Maschine

Eine virtuelle Beziehung mit einem Computer ist inzwischen möglich. Sind natürliche Interaktionen von Mensch und Maschine denn realistisch? Der Neuropsychiater Kai Vogeley untersucht wie Personen auf ihresgleichen und auf virtuelle Charaktere reagieren. Der Mensch gewinnt.

Von Martin Hubert | 07.08.2014
    Ein MRT-Scanner in einem Universitätsklinikum: Ein Patient liegt zur Untersuchung bereit, während zwei Ärzte neben diesem stehen.
    Kai Vogeley untersuchte die Gehirnreaktionen seiner Probanden in einem MRT-Scanner (picture-alliance / dpa / Peter Endig)
    Wenn der Kölner Neuropsychiater Kai Vogeley bei einem Vortrag seine Animationen zum sozialen Blickverhalten präsentiert, wird es still im Auditorium. Die Zuhörer sind dann gebannt und fasziniert. Auf einer Leinwand sehen sie zum Beispiel die Animation einer attraktiven jungen Frau, die verführerisch hin- und herblickt. Kai Vogeley lässt den Zuhörern dann etwas Zeit, denn er weiß, dass sie alle versuchen, Blickkontakt mit der virtuellen Schönen aufzunehmen.
    Was bei seinen Vorträgen klappt, nutzt Vogeley schon seit Jahren, um experimentell zu untersuchen, wie und warum Menschen sozialen Umgang mit anderen suchen. Seine Arbeitsgruppe an der Kölner Universitätspsychiatrie konfrontiert Versuchspersonen mit Animationen und untersucht dabei im MRT-Scanner, was in ihrem Gehirn geschieht. Etwa in Tests, bei denen die Blicke der virtuellen Figuren, mit denen der Versuchspersonen harmonieren.
    "Da waren dann so virtuelle Charaktere abgebildet, die abhängig von dem Blickverhalten der Person im MRT-Scanner auch ihr Blickverhalten nach dem Blickverhalten dieser Person verändert haben und so tatsächlich dann zu einem sehr hohen Grad das Erleben von gemeinsamer Aufmerksamkeit erzeugen konnten."
    Geteilte Aufmerksamkeit als Basis menschlichen Sozialverhaltens
    Das Erleben von "geteilter Aufmerksamkeit" gilt unter Entwicklungspsychologen als fundamentaler Baustein menschlichen Sozialverhaltens. Die Forscher sprechen auch von "joint attention". Kinder entwickeln diese Fähigkeit ab dem neunten Lebensmonat. Sie versuchen dann den Blick anderer Menschen auf etwa zu lenken, das sie interessiert, zum Beispiel ein Spielzeug. Oder sie folgen neugierig dem Blick eines anderen Menschen, weil sie erwarten, dass er etwas Spannendes sieht.
    Kai Vogeley fand heraus, dass bei seinen Versuchspersonen ein ganz bestimmtes Hirnnetzwerk aktiv wird, wenn die virtuellen Akteure die Aufmerksamkeit mit ihnen teilen. Dieses Netzwerk sorgt dafür, dass Menschen über sich und andere Menschen nachdenken. Da es offenbar auch auf einfaches Blickverhalten reagiert, geht Vogeley davon aus, dass es eine intuitive soziale Kognition repräsentiert, eine elementare Fähigkeit, soziale Informationen zu verarbeiten.
    "Mit intuitiv ist dann gemeint, beispielhaft: nonverbale Kommunikation, andere Personen anschauen, andere Personen anlächeln, der klassische Augengruß, also das bloße Hochziehen der Augenbrauen gegenüber anderen Personen bedeutet dieser Person gegenüber schon Interesse, man kann möglicherweise auch Grußareale übertragen."
    Keine Belohnung unseres Gehirns bei Computerinteraktion
    Was aber motiviert Menschen dazu, diese Fähigkeit immer wieder einzusetzen? Und inwieweit ist sie über den Menschen hinaus tatsächlich auf virtuelle Charaktere oder gar Computer übertragbar? Dieser Frage ging jetzt erstmals der Neurowissenschaftler Ulrich Pfeiffer vom Forschungszentrum Jülich nach, der Mitglied von Kai Vogeleys Forschergruppe ist. In Pfeiffers Experiment sahen die Versuchspersonen männliche virtuelle Charaktere auf einem Monitor. Manchmal regierten diese sehr gut und natürlich auf das Blickverhalten der Versuchspersonen, manchmal nur verzögert oder abweichend. Die Versuchspersonen sollten aus dem Verhalten der virtuellen Blickpartner schließen, ob ihre Reaktion von einem wirklichen Menschen oder einen Computer gesteuert wurde.
    Ulrich Pfeiffer scannte dabei ihre Hirnaktivität und befragte sie anschließend nach ihrem Erleben. Das Ergebnis: Immer dann, wenn die Versuchspersonen glaubten, dass die Charaktere auf dem Monitor von einem Menschen gesteuert würden, sprang das Belohnungssystem ihres Gehirns an. Sie fühlten sich angenehm und positiv bestärkt. Ulrich Pfeiffers Schlussfolgerung:
    "Wir haben eine natürliche Prädisposition mit anderen Menschen zu interagieren. Mit Prädisposition meine ich einerseits die Bereitschaft, dies zu tun und andererseits auch das Verlangen oder den Wunsch, dies zu tun."
    Das Belohnungssystem der Versuchspersonen blieb jedoch stumm, wenn sie meinten, dass ein Computer die virtuellen Blickantworten steuerte. Offenbar, so Ulrich Pfeifer, belohnt uns das Gehirn eher dafür, wenn wir sozialen Kontakt mit Unseresgleichen haben. Es geht dabei allerdings sehr differenziert vor. Das zeigte sich, weil Ullrich Pfeiffer das Experiment in zwei Varianten durchführte. Den Versuchspersonen wurde jedes mal vor dem Experiment der Mensch vorgestellt, der alternativ zum Computerprogramm die Blicke der virtuellen Charaktere steuern würde. Aber er wurde unterschiedlich charakterisiert.
    "In der einen Situation haben wir den Probanden erzählt, der weiß gar nichts von Ihrer Aufgabe, der soll einfach ganz natürlich auf sie reagieren. Und im zweiten Kontext haben wir gesagt, der andere ist über Ihre Aufgabe informiert, der weiß zwar selber nicht, wann sich das Computerprogramm einschaltet, aber er wird ihnen durch sein Blickverhalten versuchen, das Lösen der Aufgabe, das Beantworten der Frage, ob sie mit einem Menschen oder einem Computer interagieren, so einfach wie möglich zu machen."
    Das Ergebnis: Wenn die Versuchspersonen nicht davon ausgehen konnten, dass der Mensch besonders kooperativ steuern würde, sprang ihr Belohnungssystem schon sehr früh an.
    "Wenn wir nichts anderes wissen, dann nehmen wir jeden Hinweisreiz sehr ernst, dass da ein Mensch sein könnte, also als ob unser Belohnungssystem sofort angeht sobald wir irgendeinen Hinweis auf menschliche Interaktion haben."
    Unser Belohnungssystem ist genau und differenziert
    Anders war es in den Situationen, in denen der potenzielle Lenker des virtuellen Blickverhaltens als besonders kooperativer Mensch vorgestellt wurde. Hier ließ sich das Belohnungssystem viel mehr Zeit um anzuspringen. Es reagierte offenbar mehr auf die Frage, ob eine Interaktion mit einem Menschen oder einer Maschine stattfand und weniger darauf, ob überhaupt soziale Signale vorhanden waren. Nach Ulrich Pfeiffer greift das Belohnungssystem hier viel stärker auf andere Hirnsysteme zurück, um das Blickverhalten komplexer zu interpretieren:
    "Die Aktivität des Belohnungssystems wird sehr stark moduliert von anderen Systemen im Gehirn und das ist auch gut und richtig so, weil natürlich nicht jede Interaktion einen belohnenden Charakter hat. Und es gibt auch situationale Faktoren, die das Erleben einer Interaktion beeinflussen. Zum Beispiel ob jemand ein Gegenspieler ist oder ob jemand eine Person ist, die mit uns kooperiert. Und hier muss natürlich das Belohnungssystem sehr genau und sehr ökonomisch differenzieren."
    Das Gehirn eicht uns also darauf, soziale Zeichen zunächst einmal als Signale eines Menschen zu interpretieren. Dieses Verlangen reagiert insbesondere dann auch auf künstliche und virtuelle Systeme, wenn keine besonderen menschlichen Alternativen angeboten werden. Können wir aber erwarten mit besonders kooperativen Menschen in Kontakt zu kommen, prüfen wir genauer, ob wir es wirklich mit einem sozialen Menschen zu tun haben.
    Ulrich Pfeiffers Experiment ist nur ein erster Schritt, um diese Annahme experimentell zu untermauern. Es gibt aber bereits Hinweise darauf, wie eine heiß diskutierte Frage beantwortet werden könnte: Inwieweit wir virtuelle Agenten, Simulationen oder Roboter als soziale Partner akzeptieren, hängt davon ab, wie weit es gelingt, den Unterschied zwischen ihnen und der menschlichen Lebenswelt einzuebnen.